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Wie ein Patron aus der Lohngleichheit Kapital schlägt

Frauen in der Schweiz verdienen jedes Jahr insgesamt 7,7 Milliarden Franken weniger als Männer. Davon werden knapp 3 Milliarden Franken der reine Diskriminierung zugeschrieben. Keystone

In der Schweiz gehören unterschiedliche Löhne für Männer und Frauen bei gleichwertiger Arbeit nach wie vor zum Berufsalltag. Dabei ist Lohngleichheit durchaus auch aus unternehmerischer Sicht profitabel. Diese Haltung vertritt jedenfalls Pierre-Alain Urech, Direktor von Romande Energie. Die Firma gehört zu den wenigen Schweizer Unternehmen, die für ihre Politik der Lohngleichheit zertifiziert wurden.

“Die Schweiz liefert ein vorbildliches Beispiel für eine Unternehmens-Zertifizierung auf Grundlage des geschlechtsspezifischen Lohngefälles”: So steht es in einem Bericht der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2014. Diese ‘heisst “equal-salaryExterner Link” und wird von der gleichnamigen Agentur in Vevey vergeben. Das Energieunternehmen Romande Energie mit Sitz in Morges (Kanton Waadt) hat dieses Label erhalten.

Das Verfahren für die Zertifizierung einer Firma dauert vier bis sechs Monate. Es beinhaltet eine Analyse der vom Unternehmen bezahlten Löhne, welche vom Observatorium für Arbeit der Universität Genf durchgeführt wird. Dazu kommt ein Audit einer internationalen und auf Lohnfragen spezialisierten Gesellschaft. Wenn Lohnunterschiede festgestellt werden, muss das Unternehmen diese beseitigen, um das Label “equal-salary” zu erhalten. Die Zertifizierung gilt für drei Jahre.

Pierre-Alain Urech, ein Chef, der sich die gleiche Entlöhnung für Frau und Mann auf die Fahne geschrieben hat. zvg

“Ich dachte nicht, dass die Expertise so sehr ins Detail gehen würde”, sagt Pierre-Alain Urech, Direktor von Romande EnergieExterner Link, während er von den minutiösen Analysen erzählt. Den Gutachtern musste eine genaue Dokumentation vorgelegt werden, das Personal wurde befragt, die Kaderleute mussten Rede und Antwort stehen.

“Alle meine Aussagen musste ich belegen können: Mit Protokollen, Reglementen, Lohnausweisen, und so weiter.” Urech räumt ein, dass es Momente gab, in denen er fast die Geduld verloren hätte, weil er den Eindruck hatte, dass man seinen Aussagen keinen Glauben schenkte.

Mangelnder Wille

Die Lobeshymnen aus Brüssel auf dieses Schweizer Zertifizierungs-Instrument stellen in gewisser Weise ein Paradox dar. Denn in der Schweiz selbst ist das Label nur äusserst selten vergeben worden. Gerade mal neun Unternehmen führen das Zertifikat “equal–salary”.

Nicht einmal der “Lohngleichheitsdialog” hat substanziell etwas verändert. Es handelt sich um ein freiwilliges und kostenloses Programm des Bundes sowie von Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Organisationen, das Unternehmen mit mehr als 50 Angestellten ermöglicht, die Lohnstruktur zu erfassen und allfällige Ungleichheiten abzuschaffen. Doch in der Schweiz haben nur 51 von landesweit 10’000 Firmen an diesem Programm teilgenommen, davon waren 36 staatliche oder halbstaatliche Unternehmen.

Dabei hat sich die Lohnschere zwischen Frauen und Männern in den letzten Jahren in der Schweiz wieder weiter geöffnet. Gemäss Angaben des Bundesamts für Statistik für das Jahr 2012 lag der Unterschied bei 18,9 Prozent gegenüber 18,4 Prozent im Jahr 2010.

Der Lohnunterschied nach Geschlecht (gender pay gap, GPG) ist je nach Branche sehr unterschiedlich und reicht von 6 bis 32 Prozent, wie die folgende Grafik zeigt. In der Hotellerie und Gastronomie, einer Tieflohnbranche, beträgt er 8 Prozent, während in der Finanz- und Versicherungsbranche, einer Hochlohnbranche, die Frauen sogar einen Drittel weniger verdienen als die Männer.

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Die Schweiz schneidet im internationalen Vergleich nicht besonders gut ab. Die folgende Grafik zeigt auf, dass der GPG höher ist als im Durchschnitt der OECD-Länder. Die Schweiz steht schlechter da als ihre drei grossen Nachbarländer Deutschland, Frankreich, Italien.

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Eine Hälfte des Lohnunterschieds lässt sich durch Faktoren wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung oder berufliche Stellung erklären. Die andere Hälfte ist nicht erklärbar – und stellt somit eine Diskriminierung dar. Gemäss dem Bundesamt für Statistik betrug die Lohnkluft in der Privatindustrie 2010 im Mittel 8,7 Prozent.

Neue gesetzliche Massnahmen

Nachdem freiwillige Massnahmen seitens der Wirtschaft nicht zu Lohngleichheit geführt haben, will der Bundesrat gesetzlich gegen die Lohndiskriminierung von Frauen vorgehen. Das erklärte die Regierung im Oktober 2014.

Unternehmen mit mehr als 50 Angestellten sollen verpflichtet werden, regelmässig Lohnanalysen durchzuführen. Der Gesetzesentwurf soll bis Mitte 2015 stehen und dann in die Konsultation gehen.

Die Lohnanalyse soll von Dritten kontrolliert und im Geschäftsbericht publiziert werden. Bundesrätin und Justizdirektorin Simonetta Sommaruga geht von 10’000 betroffenen Unternehmen in der Schweiz aus, die mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen.

Die Kontrolle soll entweder von Sozialpartnern, einer Revisionsstelle oder einer staatlich anerkannten Prüfungsorganisation durchgeführt werden. Der Bundesrat will die Wahl der Kontrollinstanz den Unternehmen überlassen, weil diese auch Einblick in die Lohnbuchhaltung erhalten soll. Eine “Lohnpolizei” soll es aber laut Sommaruga nicht geben.

Regierung will handeln

Angesichts dieser Situation und einem fehlenden Willen von Arbeitgeberseite, diese Lohnunterschiede aufzuheben, hat der Bundesrat angekündigt, bei Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden regelmässig Kontrollen auf Lohngleichheit durchzuführen. Der Gesetzesentwurf soll bis Mitte dieses Jahres vorliegen.

Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) hat gegen diesen Vorschlag externer Kontrollen sofort Opposition angekündigt. Für den Dachverband von kleinen und mittleren Unternehmen handelt es sich um eine “bürokratische und teure Übung”. Der SGV fordert, auf dem Weg des Dialogs fortzuschreiten. Diese Haltung teilt der Schweizerische Unternehmerverband, der seinerseits von einer “nutzlosen Pflicht” und einem “Misstrauensvotum gegenüber der Wirtschaft” spricht.

Pierre-Alain Urech hält es zwar für bedenklich, dass es für gleichwertige Arbeit bei gleicher Kompetenz und Erfahrung unterschiedliche Löhne für Männer und Frauen gibt, gleichwohl ist er auch gegenüber dem neuen Gesetz mit externen Kontrollen kritisch: “Ich bin der Meinung, dass man an die Verantwortung der Führungskader appellieren muss, ohne gleich eine Generalmobilisierung zu veranlassen.”

Eine Frage der Verantwortung

Romande Energie hat jedenfalls aus eigener sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung gehandelt, als es sich für das Zertifizierungs-Verfahren “equal-salary” entschied. “Mit der Auftragsvergabe an ein externes Unternehmen wollten wir sicherstellen, dass unser erklärtes Ziel im Unternehmen tatsächlich umgesetzt ist”, so Urech.

Das Label sei wichtig, um Spannungen und Konflikte am Arbeitsplatz zu vermeiden und ein gutes Betriebsklima zu schaffen. Zudem bringe es eine Sichtbarkeit nach aussen, “verbunden mit der Möglichkeit, neue Talente zu gewinnen, welche das Unternehmen stärken”.

Gemäss dem Direktor des Westschweizer Energieunternehmens liegt eine Lohngleichheit der Mitarbeitenden sowie – im Idealfall – ein externes Gutachten letztlich im Interesse jedes Unternehmens: “Es lohnt sich auch in ökonomischer Hinsicht. Zufriedene und motivierte Mitarbeitende spiegeln sich in der Performance des Unternehmens.” Er hofft, dass viele seiner 750 Mitarbeiter im Unternehmen zu Botschaftern dieser Überzeugung werden.

Verfassungsbruch seit 34 Jahren

In der Schweiz ist die Lohngleichheit das Thema am Internationalen Frauentag 2015. Ein breites Bündnis aus Frauenorganisationen, Gewerkschaften und politischen Parteien haben für Samstag, 7. März, zu einer Kundgebung auf dem Bundesplatz in Bern aufgerufen.

Ihrer Meinung nach ist es nicht länger tolerierbar, dass seit 34 Jahren gegen den 1981 in die Verfassung aufgenommenen Grundsatz “Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit” und das seit 1996 geltende Gleichstellungsgesetz verstossen wird.


(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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