Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Mafia-Prozess: Imageschaden für die Schweiz?

Viele Fragen nach dem Urteil - Staatsanwalt Lienhard Ochsner (Mitte) vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona. Keystone

Im Prozess gegen mutmassliche Helfer der italienischen Zigarettenmafia vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona wurden nur zwei von neun Angeklagten für schuldig befunden. Die Schweizer Bundesanwaltschaft reagierte enttäuscht.

Über drei Monate dauerte vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona die Hauptverhandlung gegen den mutmasslichen Schweizer Zweig der internationalen Zigarettenmafia.

Es war der bisher grösste Prozess im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen.

Die Bundesanwaltschaft (BA) hatte neun Personen angeklagt. Nur zwei der Angeklagten wurden aber verurteilt: Der im Tessin wohnhafte 70-jährige Italiener Paolo Savino zu 2 Jahren und 9 Monaten Gefängnis, davon 9 Monate unbedingt, wegen Unterstützung einer kriminellen Organisation. Und der ebenfalls im Tessin wohnhafte 64-jährige Italiener Pietro Virgilio zu 2 Jahren Gefängnis bedingt auf 3 Jahre für das gleiche Delikt.

Bundesstaatsanwalt erstaunt

Freisprüche erfolgten für alle neun Angeklagten vom Vorwurf der Geldwäscherei, sieben Angeklagte wurden zudem vom Vorwurf der Beteiligung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung freigesprochen.

Unter den Freigesprochenen waren auch der bekannte Tessiner Geldwechsler Alfredo “Fredi” Bossert, der stets öffentlich seine Unschuld beteuert hatte, und Franco Della Torre, der schon im legendären Prozess “Pizza Connection” bekannt geworden war.

Die BA hatte für die Hauptangeklagten zwischen drei und viereinhalb Jahren Gefängnis beantragt. Entsprechend enttäuscht reagierte man auf den Urteilsspruch.

Bundesstaatsanwalt Lienhard Ochsner zeigte sich erstaunt, zumal der Sachverhalt grundsätzlich als erwiesen erachtet worden sei: “Der Freispruch ist offenbar wegen fehlenden Vorsatzes beziehungsweise Eventualvorsatzes erfolgt.” Es sei zu hoffen, dass sich der Imageschaden in dieser für die Schweiz ohnehin schwierigen Zeit in Grenzen halte.

“Grenzen der Gesetzgebung”

In der Sache ging es um die Beteiligung der Angeklagten in den internationalen Zigarettenschmuggel in den 1990er-Jahren.

Unversteuerte Zigaretten gelangten damals in gewaltigen Mengen nach Montenegro, wurden auf dem Seeweg nach Italien gebracht und dort auf dem Schwarzmarkt unter Aufsicht der Mafia-Organisationen Sacra Corona Unita und Camorra verkauft. Das Geld wurde in die Schweiz transferiert, in den legalen Geldkreislauf eingeschleust und dann in den Einkauf neuer Zigaretten investiert.

Doch die Abläufe des Zigarettenschmuggels sowie die strafrechtliche Würdigung in der Schweiz sind ganz offenbar zwei Paar Stiefel. “Keine Strafe ohne Gesetz. Der Gerichtshof ist an die Grenzen der Gesetzgebung gestossen”, sagte Gerichtspräsident Walter Wüthrich in seinen einleitenden Bemerkungen.

Die Tätigkeit der Angeklagten habe nichts mit der Schmuggelromantik vergangener Zeiten zu tun. Sie hätten Geschäfte in Millionenhöhe aus reiner Geldgier getätigt, fügte er an. Doch Anhaltspunkte dafür, dass sie beim Aufbau der Mafia-Organisationen geholfen hätten, gebe es hingegen nicht. Sie hätten aber die bestehende Struktur für ihre Zwecke genutzt.

Argumente der Verteidiger

In seiner mündlichen Urteilsbegründung wies Walter Wüthrich die Anklage der Beteiligung an einer kriminellen Organisation zurück.

Kein Angeklagter sei direktes Mitglied der mafiösen Organisationen gewesen. Nur in zwei Fällen habe durch die Bezahlung von Schutzgeldern eine Unterstützung statt gefunden. “Wer Geld an die Mafia abliefert, muss wissen, dass er dadurch eine verbrecherische Tätigkeit mitfinanziert”, sagte der Gerichtspräsident.

In der Hauptsache setzten sich die Argumente der Verteidiger durch, die darauf gepocht hatten, dass weder Schmuggel noch Handel mit Zigaretten zum Zeitpunkt der Handlungen strafbare Delikte in der Schweiz gewesen waren. Demnach könne auch der Erlös aus solchen Tätigkeiten nicht kriminellen Ursprungs sein. Dies erklärt, warum der Anklagepunkt der Geldwäscherei fallengelassen werden musste.

Angeklagte können jubeln

Die Angeklagten durften jedenfalls weitgehend jubeln. Und die Freude war ihnen ins Gesicht geschrieben. Sämtliche beschlagnahmte Vermögenswerte aller Angeklagten werden im übrigen freigegeben. So erhält auch Geldwechsler Fredy Bossert seinen Porsche zurück. Die Pflichtverteidiger erhalten zudem aus der Staatskasse Beträge von insgesamt mehr als 2 Millionen Franken.

Gerichtspräsident Wüthrich kündigte das schriftliche Urteil “in einigen Monaten” an. Dann haben die Parteien 30 Tage Zeit, Rekurs einzulegen. Die Bundesanwaltschaft wird dies mit Sicherheit tun. “Das letzte Wort in dieser Sache wird wohl das Bundesgericht sprechen”, sagte Bundesstaatsanwalt Ochsner.

In den 1990er-Jahren blühte der Zigarettenschmuggel in Südeuropa. Dabei wurden unversteuerte Zigaretten in Zollfreilagern (Rotterdam oder Antwerpen) billig gekauft und per Land- oder Luftweg nach Montenegro geschafft. Montenegro vergab sogar Import- und Transitlizenzen und kassierte kräftig mit.

Von den Küsten Montenegros wurden die Zigaretten mit Schnellbooten via Adria nach Süditalien gebracht und dann über den Schwarzmarkt, vor allem in Neapel, verkauft. Die Gewinne wurden unter den diversen Mafia-Gangs aufgeteilt. Die Gelder wurden dann für den Einkauf neuer Zigaretten in den Zollfreilagern eingesetzt.

Das Geschäft brach zusammen, als die italienischen Behörden im Jahr 2000 den Schmuggel auf Schnellbooten von Montenegro nach Süditalien mit militärischen Mitteln unterbanden. Dabei kam es wiederholt zu Feuergefechten zwischen Militärs und Schmugglern.

In dem nun zu Ende gegangenen Prozess war das Bundesgericht bereits involviert: Die Verteidiger der neun Angeklagten reichten eine Beschwerde ein, weil das Verfahren und die Gerichtsverhandlung in deutscher Sprache geführt wurden.

Damit seien die Rechte der Angeklagten beschnitten worden, da keiner von ihnen deutscher Muttersprache sei, kritisierten die Verteidiger.

Im Mai 2009 hatte das Bundesgericht diese Beschwerde, zusammen mit der beantragten Nichtigkeitserklärung der Anklageschrift, abgewiesen.

swissinfo.ch

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft