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Managerin ohne Portefeuille

Das "fleissige Hausmütterchen" macht die Bohnen zum Dörren bereit. swissinfo.ch

"Das fleissige Hausmütterchen" war der erfolgreichste Ratgeber, welcher die junge Schweizer Frau der bürgerlichen Oberschicht im 19. Jahrhundert auf ihre Rolle als Hausfrau vorbereitete.

Im Bieler Museum Neuhaus zeigt eine Ausstellung Geräte und Stimmung des Haushaltens im 19. Jahrhundert.

Die Hauswände sind versprayt. Zudem nehme die Gewalt immer mehr zu, heisst es. Im Kanton Waadt lehren die städtischen Verkehrsbetriebe die jungen Leute, wie man anständig grüsst und dass man die Fahrzeuge nicht beschädigen soll. Der Berner Bahnhof – so SVP-Präsident Ueli Maurer – sei eine “Sauerei”. Manch einer und eine beginnt zu denken, früher sei es besser gewesen.

Dieser leisen Sehnsucht stellt das Bieler Museum Neuhaus bis zum 22. August folgende rhetorische Feststellung entgegen: “Stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihren Haushalt wie im 19. Jahrhundert führen, ohne Kühlschrank und Tiefkühltruhe, ohne Staubsauger und andere elektrische Haushaltgeräte, ohne Mehrzweckreiniger und Vollwaschmittel, ohne vollautomatische Waschmaschine und natürlich auch ohne zentral gesteuerte Heizung.”

Was das im Klartext heisst, kann in der Hausfrauenliteratur des 19. Jahrhunderts nachgelesen werden. Der gängigste Ratgeber in der Schweiz nannte sich “Das fleissige Hausmütterchen” und wurde von der Zürcherin Susanna Müller verfasst, die von 1829 bis 1913 lebte.

Der Ratgeber für die bürgerliche Hausfrau des 19. und frühen 20. Jahrhunderts entwickelte sich zum Bestseller. Die Erstausgabe datiert von 1860 und erschien in Briefform. 16 weitere Auflagen folgten noch zu Lebzeiten der Autorin. Insgesamt wurden bis und mit der 30. Auflage fast 200’000 Stück – nun zum dicken Buch geworden – an die Frau gebracht.

Bedingte historische Realität

Aus dem “Fleissigen Hausmütterchen” auf den Alltag der Schweiz zu dieser Zeit zu schliessen, wäre jedoch verfehlt. “Das Buch vermittelt das bürgerliche Rollenbild der Frau, die sich vollumfänglich der Haushaltführung und der Kindererziehung widmet”, sagt Pietro Scandola, der Direktor des Museums Neuhaus gegenüber swissinfo. “Der bürgerlichen Hausfrau standen ein oder mehrere Dienstboten zur Verfügung. Sie verrichteten die schwere Arbeit.”

Die Mehrheit der Arbeiter- oder Landfrauen der Unterschicht seien im Erwerbsleben gestanden. “Einen Haushalt zu führen, wie das Bürgertum, wäre finanziell und vom Zeitaufwand unmöglich gewesen.”

Es gebe auch kaum Haushalt-Gegenstände aus dieser Zeit, welche die meist erbärmlichen Zustände der Mehrzahl der Haushalte illustrieren würden.

“Die wurden alle bis zum letzten Moment gebraucht und dann fortgeworfen.” Eines sei aber weit verbreitet gewesen: Die Sehnsucht nach der bürgerlichen Lebensweise. “Unser Leben heute ist die aktualisierte Form der bürgerlichen Vorgaben aus dem 19. Jahrhundert”, sagt Scandola.

Das neue Frauenbild

Und so illustriert die Ausstellung mit einer Fülle von Gegenständen, was der Frauenratgeber beschreibt. Ältere Besucherinnen und Besucher kennen die Gerätschaften teilweise noch aus ihrer Kindheit. “Sie sehen hier das Anforderungsprofil einer bürgerlichen Haushalts-Managerin”, wie sich Pietro Scandola ausdrückt.

Das “fleissige Hausmütterchen” gibt Kunde von einem damals geschaffenen, völlig neuen Frauenbild. Die Rollenteilung Frau-Mann war nun strikte. Die Frau am Herd, im Haushalt, bei den Kindern und der Mann im produktiven Bereich. Er verfügte über die Finanzen und das gesellschaftliche Ansehen. Sie hatte die Infrastruktur zu liefern.

“Es ist die Zeit, in der das Haushaltsgeld eingeführt wurde”, sagt Scandola. Das Budget, welches der Mann seiner Gattin zur Verfügung stellte, musste strikte für den Haushalt gebraucht werden. Die Frau hatte auf den Rappen genau Buch zu führen. Davon zeugen etliche ausgestellte Haushaltbücher, welche dies auf fast traurige Art und Weise belegen.

Kampf dem “Bschiss”

Deshalb finden sich im Hausfrauen-Ratgeber diverse Kapitel, welche die Frauen anhalten, das vom Mann zur Verfügung gestellte Geld “ehrsam und sparsam” zu verwenden. Schon deshalb musste die Hausfrau eine absolute Fachperson sein, um überhaupt auf dem Markt einkaufen zu können.

Der Ratgeber beschreibt über Seiten hinweg, wie man den Betrügereien der Bauern auf dem Markt auf die Schliche kommt, denn die Milch war oft gepanscht, die Butter gestreckt, die Gewichte gefälscht.

Selbst bei Obst wurde versucht, klammheimlich das Wurmstichige an die Frau zu bringen. Wer nicht unterscheiden konnte zwischen gutem und schlechtem Brennholz, verfeuerte zu viel davon und kriegte die Wohnung doch nicht warm. “Gritli lernt heizen” heisst denn auch ein Kapitel im Haushalt-Ratgeber. Es wird geraten, nur bei “absolut Vertrauen erweckenden Personen” einzukaufen.

Dass selbst die Heirat mehr materiellen Hintergrund denn Liebe zueinander hatte, beweist das “fleissige Hausmütterchen” mit folgendem Hinweis an die dienende Hausfrau: “Sollte sich nach der Heirat so etwas wie Zuneigung zum verehrten Ehegatten einstellen, dann soll ihm das auch gezeigt werden.”

Der Traum von der Bürgerlichkeit

Eine Abteilung der Ausstellung in Biel zeigt uns die heimlichen Träume der Hausfrau im 19. Jahrhundert: Wenn es doch nur möglich wäre, dass Maschinen all die harte Arbeit übernehmen würden.

Als die Industrie mehr und mehr Arbeitskräfte abzog, Dienstboten rarer und damit teurer wurden, schritt die Industrie zur Tat. Die Forschung und der aufkommende elektrische Strom machten es möglich. Die Fertigsuppe kam, das Vollwaschmittel, die Waschmaschine und der Kühlschrank. Das Bügeleisen und der Kochtopf. Die Büchsen-Konserve und der Heizapparat. Und – last but not least – die Glühbirne.

Doch war es erneut die bürgerliche Oberschicht, welche sich diese Annehmlichkeiten leisten konnte. All die andern, die Mehrheit also, mussten noch bis in die frühen 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts das “Fleissige Hausmütterchen” lesen.

Allerdings fehlten in den überarbeiteten neusten Ausgaben die Hinweise, wie man Waschlauge herstellt oder alle Tage die Lampen putzt.

Und noch etwas veränderte sich: Durch die technischen Apparate wurde auch das Interesse der Männer an Haushaltarbeit geweckt. Zaghaft wagten sie sich in die Küche vor oder füllten schon mal die vollautomatische Waschmaschine ein.

“Es war weniger die Einsicht der Männer, man könnte auch etwas im Haushalt mithelfen, als vielmehr die Neugierde an den technischen Hilfsmitteln”, sagt Museumsdirektor Scandola.

swissinfo, Urs Maurer, Biel

“Das fleissige Hausmütterchen” – Haushalten im 19. Jahrhundert.
Ausstellung vom 13.05 bis 22.08. 2004 im Museum Neuhaus in Biel.

Herstellung von Waschlauge:
Man legt in einen Waschkorb ein nicht besonders dickes Tuch und stellt den Korb auf die mit zwei Stäben überlegte Stande. Schüttet dann gute, schnell abgebrannte weisse Buchenasche darauf, legt – für eine mittelgrosse Wäsche – ein paar fetthaltige Knochen darauf, 2 Hände voll Eierschalen, 1 Hand voll Salz, etwas Harz und ¼ Kilo Soda und schüttet wieder Asche darüber. Nun giesst man strudelndes kochendes Wasser langsam darüber und fährt so fort mit Angiessen, bis man genug Lauge hat.

Susanne Müller: Das fleissige Hausmütterchen

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