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Markante Unterschiede bei Sozialhilfe-Einkommen

Trotz Sozialhilfe: Arbeiten ist in jedem Fall lukrativer. imagepoint

In der Schweiz steht Sozialhilfe-Beziehenden trotz einheitlichen Richtlinien je nach Wohnort unterschiedlich viel Geld zur Verfügung.

Die Kantone berechnen die Lebensunterhaltskosten und die Zulagen verschieden. Auf diese Weise schaffen sie grosse Ungleichheiten. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Konferenz für Sozialhilfe.

Die Studie zur Sozialhilfe zeige: “Arbeit lohnt sich, zwar ungleich viel, aber in jedem Fall”, erklärte Walter Schmid, Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) in Bern.

Fast überall lohne es sich, trotz Sozialhilfebezug einer Arbeit nachzugehen, und zwar dank den Anreizen zur beruflichen Integration und zur Erwerbsarbeit in der Sozialhilfe. Der SKOS-Präsident bezeichnete die Studie als einen “Quantensprung”.

Sie bringe “Licht in die Sache” und widerlege den Vorwurf, dass die Sozialhilfe nicht transparent sei und dass sich Niedriglohnarbeit nicht mehr auszahle.

Gemäss der Studie lohnt sich eine Erwerbsarbeit, wenn auch der grösste Teil des Lohnes der Reduktion der Sozialhilfe zum Opfer fällt. Dies variiert interkantonal stark.

Dort, wo es zu sogenannten Schwelleneffekten kommt – wo sich Niedriglohnarbeit nicht oder kaum lohnt – gelte es nun genauer hinzusehen, sagte Schmid. Die SKOS sei gerne bereit, mit den Kantonen zusammenzuarbeiten, falls diese das wünschten.

Grosse Unterschiede

Die SKOS publizierte am Mittwoch zum ersten Mal einen Vergleich der frei verfügbaren Einkommen von Sozialhilfe beziehenden Haushalten in allen 26 Kantonshauptorten.

Untersucht wurde, wie viel einem Haushalt mit Anspruch auf Sozialhilfe am Ende bleibt, nachdem Miete, Krankenversicherungsprämien, Krippekosten und eventuell Steuern beglichen wurden.

Wie die Autorinnen der Studie, Caroline Knupfer und Natalie Pfister aufzeigten, bleiben beispielsweise einer allein erziehenden Frau mit einem Kind, die wegen ihrer Betreuungsaufgabe nicht erwerbstätig ist, in Sitten 23’377 Franken am Ende des Jahres, während es in Appenzell lediglich 16’986 Franken sind.

Lebensunterhalt unterschiedlich berechnet

Auch Erwerbstätige, die auf Teilunterstützung angewiesen sind, leben je nach Kantonshauptort in markant unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen. Während einer Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 28’800 Franken in Sitten 36’044 Franken zur freien Verfügung bleiben, sind es in Bellinzona nur 26’559 Franken.

Die Unterschiede erklären sich einerseits dadurch, dass einzelne Kantone bei der Berechnung des Grundbedarfs für den Lebensunterhalt von den SKOS-Richtlinien abweichen.

Anderseits werden die Zulagen zur Honorierung von sozialer und beruflicher Integration unterschiedlich angewendet.

Steuerbefreiungen

Lebenshaltungskosten wie Miete und Krankenversicherungsprämien, die je nach Kanton unterschiedlich hoch sind, spielen dagegen kaum eine Rolle, da sie in der Regel von der Sozialhilfe gedeckt werden.

Eine gerechte Behandlung zwischen Sozialhilfebeziehenden und nicht unterstützten Haushalten mit niedrigen Einkommen – Working Poors – würde laut der Studie mancherorts auch familienfreundliche Steuersysteme erforden.

Zudem empfiehlt die SKOS, das Existenzminimum ganz von den Steuern zu befreien. Mit einigen Kantonen, namentlich Zürich und Luzern, ist die SKOS bereits im Gespräch, damit diese ihre sozialpolitischen Instrumente auf der Basis der neuen Kenntnisse optimieren können.

swissinfo und Agenturen

In der Schweiz ist die Sozialhilfe in der Bundesverfassung verankert.

Für die Organisation und den Vollzug sind die Kantone zuständig.

Die Leistungen der öffentlichen Sozialhilfe sind für jene Personen bestimmt, die nicht in der Lage sind, für sich oder ihre Familie zu sorgen.

Ziel der Sozialhilfe ist es, das Existenzminimum zu garantieren, Hilfe zur Selbsthilfe, die Unterstützung der Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit, die Förderung der sozialen und beruflichen Integration.

Rund 237’000 Personen haben im Jahr 2005 Sozialhilfe im Gesamtbetrag von 3,1 Mrd. Franken erhalten (gemäss den jüngsten Daten des Bundesamts für Statistik BFS).

Das entspricht einer Zunahme von 8% im Vergleich zum Vorjahr. Jugendliche, junge Erwachsene und alleinerziehende Eltern sind als Empfänger übervertreten.

Ein Viertel von ihnen lebt in den 5 grössten Städten der Schweiz: Zürich, Genf, Basel, Bern und Lausanne.

Während die Zahl der Sozialhilfe-Empfänger in den Städten Zürich, Basel, Schaffhausen und Winterthur kleiner wird, dürfte sie sich in den Städten Bern, St. Gallen und Luzern erhöhen.

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