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Mehr Zeit zur Anklage für Opfer von Missbrauch?

Wie lange brauchen Opfer von Pädophilie, bis sie ihr Schweigen brechen?

Eine Initiative verlangt, dass pornografische Straftaten an Kindern unverjährbar sein sollen. Opfer solcher Taten sollen nicht nur bis 33-jährig klagen können, wie dies die Regierung will. Die Vorlage kommt am 30. November an die Urne.

Nach derzeitigem Schweizer Recht besteht für schwere Straftaten gegen die sexuelle Integrität von Kindern unter 16 Jahren eine Verjährungsfrist von 15 Jahren.

Die Verjährung dauert aber in jedem Fall mindestens bis zum vollendeten 25. Lebensjahr des Opfers.

Diese Regelung geht dem Verein “Marche Blanche” zu wenig weit. Er hat deswegen eine Volksinitiative mit über 119’000 Unterschriften eingereicht.

Um ein Begehren an die Urne zu bringen, sind in der Schweiz mindestens 100’000 Unterschriften nötig.

Opferschutz?

Die Volksinitiative “für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern” verlangt, dass die Verfolgung sexueller oder pornografischer Straftaten an Kindern vor der Pubertät sowie die Strafe für solche Taten unverjährbar sein sollen.

Die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten erlaube es den Opfern auch noch Jahre später, eine Strafverfolgung gegen den Täter aufnehmen zu können, betonen die Initianten.

Somit könnten sie sich als Erwachsene von dem in der Kindheit erlebten Trauma befreien. Denn in den meisten Fällen werde der Missbrauch des Opfers erst sehr viel später bekannt, könne aber wegen der Verjährung der Tat schliesslich nicht geahndet werden.

Entgegenkommen

Der Bundesrat stellt der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag entgegen.

Dieser sieht vor, dass die Verjährung der Strafverfolgung bei solchen Delikten erst ab dem Tag beginnt, an dem das Opfer mündig wird. Das heisst, dass die 15-jährige Verjährungsfrist bis zum 33. Geburtstag dauert.

Diese Regelung gilt nur bei mündigen Tätern. Über den indirekten Gegenvorschlag wird aber am 30. November nicht abgestimmt.

Die Räte folgten in der Sommersession 2008 den Anträgen des Bundesrats. Sie sprachen sich für den indirekten Gegenvorschlag aus und empfehlen Volk und Ständen die Ablehnung der Volksinitiative.

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Pro und Kontra

Unterstützt wird die Initiative vom Walliser Nationalrat Oskar Freysinger von der Schweizerischen Volkspartei (SVP). “Dieser Eingriff ins Leben eines jungen Menschen, eines Kindes, bewirkt Zerstörungen in der Psyche, die bis zu seinem Tod Wirkung zeigen werden”, erklärt er.

Viele Menschen würden erst nach 40 mit diesem Tabuthema ans Licht kommen, “weil sie sehr lange unter der Kontrolle des Schänders stehen”. Deshalb greife der Gegenvorschlag des Bundesrats zu wenig weit.

“Ich sehe nicht ein, wieso es eine Verjährung geben sollte für den Verbrecher, wobei es für den leidenden Menschen nie eine Verjährung geben kann”, sagt Freysinger.

Gegen die Vorlage setzt sich die freisinnige Berner Nationalrätin Christa Markwalder ein. Für sie ist die Initiative unverhältnismässig. “Unverjährbarkeit von sexuellen Straftaten an Kindern würde bedeuten, dass diese Straftaten gleichgesetzt würden mit qualifizierten terroristischen Akten oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.”

Natürlich verurteile auch sie solche Straftaten “aufs Schärfste”, betont Markwalder. Der bessere Weg sei aber der indirekte Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament mit der Verjährungsfrist bis 33 Jahre.

“Es wird immer schwieriger, einen Täter zu überführen, wenn eine Tat sehr lange zurückliegt. Und es kann durchaus sein, dass dann ein Opfer ein zweites Trauma erlebt. Nämlich, dass ein Täter dann in dubio pro reo, also im Zweifel für den Angeklagten, freigesprochen wird.”

Volks und Ständemehr nötig

Da eine Volksinitiative immer eine Änderung in der Bundesverfassung verlangt, kommt sie automatisch vors Volk.

Entscheidend sind am 30. November das Volksmehr und das Ständemehr, also eine Mehrheit der Kantone.

swissinfo, Jean-Michel Berthoud und Christian Raaflaub

Heutiges Recht:
15 Jahre Verjährung für Kinder unter 16 Jahren. Bis mindestens zum 25. Altersjahr.

Gegenvorschlag:
15 Jahre Verjährung ab Mündigkeit (18. Lebensjahr), also bis maximal 33 Jahre.

Initiative:
Keine Verjährung.

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