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Mehrwertsteuer “feiert” zehn Jahre

Der MWSt-Satz liegt derzeit bei 7,6%. Keystone Archive

Zehn Jahre nach der Einführung der Mehrwertsteuer kann sich keine Schweizer Partei deren Abschaffung vorstellen.

Im Gegenteil: Derzeit steht wieder einmal eine Anhebung zur Finanzierung der angeschlagenen Sozialversicherungen zur Diskussion.

Für die Linke ist die Mehrwertsteuer (MWSt) ungerecht, weil sie im Gegensatz zu den progressiven Steuern Arme und Reiche gleich stark belastet. Die Rechte bezeichnet die Steuer als den grössten Wachstumsblocker der letzten zehn Jahre. Trotzdem kann sich keine Partei deren Abschaffung vorstellen.

Erhöhung nicht vom Tisch

Nun wird wieder über eine MWSt-Erhöhung diskutiert: Obwohl das Stimmvolk einer Erhöhung um 1,8 Prozentpunkte zur Finanzierung der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) und der Invalidenversicherung (IV) letzten Mai eine Absage erteilt hatte, kam der Bundesrat bald wieder darauf zurück. Er schlug eine MWSt-Erhöhung unter anderem zur IV-Sanierung vor.

Unterstützung findet er bei der Linken und einem Teil der Bürgerlichen. Andere Kreise wollen eine MWSt-Erhöhung jedoch vermeiden, um den Konsum anzukurbeln.

Vier Anläufe

Erst im vierten Anlauf hatte sich das Volk am 28. November 1993 damit einverstanden erklärt, die Warenumsatzsteuer (WUST) durch die Mehrwertsteuer zu ersetzen.

80% der MWSt-Einnahmen fliessen in die Staatskasse und sind nicht zweckgebunden. Klar definiert ist hingegen die Bestimmung der restlichen 20%: AHV, Verbilligungen der Krankenkassen-Prämien und Bahnprojekte wie die NEAT (Neue Eisenbahn-Alpentransversale) oder Bahn 2000.

Für die Sozialdemokratische Partei (SP) zeichnet sich in nächster Zukunft keine Notwendigkeit ab, die MWSt zu erhöhen – höchstens zugunsten der Sozialversicherungen, wie SP-Sprecher Jean-Philippe Jeannerat sagte.

Anhebung bei EU-Beitritt

Sicher stelle sich die Frage einer Erhöhung mittelfristig im Falle eines Schweizer EU-Betritts wieder, so Jeannerat. Dann müsste die Schweiz die MWSt auf den EU-Mindestsatz von 15% anheben.

Diese Zusatzeinnahmen sollten nach Ansicht der SP nicht mit Steuersenkungen kompensiert werden, wie dies die Bürgerlichen und der Wirtschaftsverband economiesuisse möchten.

Ein Teil davon müsste vielmehr in die obligatorische Krankenversicherung fliessen, erklärte Jeannerat. Dadurch würden die höheren Einbussen, welche die ärmsten Bevölkerungsschichten durch die MWSt erlitten, wenigstens zum Teil wieder etwas ausgeglichen.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) schlägt vor, im Falle eines EU-Beitritts auf mehrere Jahrzehnte angelegte Übergangsbestimmungen auszuhandeln.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) will weder von einer Mehrwertsteuer- noch von einer sonstigen Steuer-Erhöhung etwas hören. Für Freisinnige (FDP) und Christlichdemokraten (CVP) hingegen kann eine solche durchaus diskutiert werden, sofern sie mit Kompensationen verbunden ist. Zum Beispiel mit Steuersenkungen, wie dies die FDP gerne sähe.

Enormer Druck

Der Druck, die MWSt zur Finanzierung der Sozialwerke zu erhöhen, sei enorm, sagte der Thurgauer SVP-Nationalrat Peter Spuhler. Zwar war die SVP 1998 damit einverstanden, der AHV einen Prozentpunkt zusätzlich zu gewähren. Sie hält dies jedoch für eine wenig wirksame Politik, mit der die IV- und AHV-Probleme nicht zu lösen sind.

Für die SVP ist die MWSt-Einführung der grösste Wachstumsblocker der letzten zehn Jahre. Eine Auffassung, die economiesuisse nur teilweise teilt. Die MWSt sei nicht der Hauptgrund für das verlangsamte Wirtschaftswachstum. Es sei aber klar, dass jede MWSt- Erhöhung die Konsumfreudigkeit dämpfen würde.

Die FDP kritisiert die ständig wiederkehrenden Rufe nach MWSt-Erhöhungen. Laut Sprecher Christian Weber ist die Partei aber bereit, eine Anhebung zugunsten der Sozialversicherungen, namentlich der IV, zu diskutieren. Die Mehrwertsteuer sei jedoch nicht das Huhn mit den goldenen Eiern.

Administrativ schwerfällig

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) beklagen die Schwerfälligkeit und Komplexität der Abrechnungen der Mehrwertsteuer. Laut CVP-Sprecherin Béatrice Wertli führt diese nicht zuletzt zu juristischen Unsicherheiten. So sehen es auch die FDP und economiesuisse.

Einig sind sich fast alle Parteien und Verbände darin, dass der MWSt-Satz einheitlich sein sollte. Denn gewisse Branchen sind von der MWSt befreit, etwa die Banken und Versicherungen. Dasselbe gilt für Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie öffentliche Betriebe.

Auch der Staat will eine Vereinfachung

Die Kritiker finden beim Staat Gehör. In einem Bericht wird eine Reihe von Massnahmen vorgeschlagen, um die Anwendung der Mehrwertsteuer zu vereinfachen und die Verzerrungen zwischen den Wirtschaftszweigen zu beseitigen.

Nach einer internen Anhörung wird der Bericht dem Bundesrat vorgelegt, ehe er Ende Januar veröffentlicht wird.

swissinfo und Agenturen

Mehrwertsteuer-Erträge:
2004: ca. 17,7 Mrd. Fr.
2003: 17,156 Mrd. Fr.
2002: 16,857 Mrd. Fr.
2001: 17,033 Mrd. Fr.
2000: 16,594 Mrd. Fr.
1999: 15,060 Mrd. Fr.
1998: 13,255 Mrd. Fr.

Seit 1995 erhebt die Schweiz die Mehrwertsteuer (MWSt). Der Normalsatz liegt derzeit bei 7,6%, der tiefste Satz bei 2,4%.

Ihr Vorläufer war die Warenumsatz-Steuer (WUST), 1940 als Notmassnahme eingeführt, nach dem Krieg jedoch weiter erhoben.

Erst im vierten Anlauf hatten 1993 66,7% der Stimmenden Ja zur Einführung der MWSt gesagt.

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