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Meinungen über Flugverbot sind geteilt

Vulkanasche stellt eine bisher wenig bekannte Herausforderung für die Zivilluftfahrt dar. Reuters

Das Startverbot wegen der Vulkanasche lähmte den Flugverkehr fünf Tage lang. Die Schweizer Behörden und einige Experten sind der Meinung, dass die Entscheidung richtig war. Andere fragen sich, ob das Verbot nicht überstürzt verhängt worden war.

Die Schweiz hat ihren Luftraum am Dienstag um 8 Uhr Morgens wieder geöffnet. Er war aufgrund der Befürchtung gesperrt worden, die Flugzeuge könnten durch Aschepartikel beschädigt werden. Die Asche stammt aus dem isländischen Vulkan Eyjafjalla.

Ein grosser Teil von Europa öffnete seinen Luftraum ebenfalls wieder, doch jener über Grossbritannien blieb geschlossen, weil sich bereits eine andere Aschewolke auf das Land zubewegte. Verzögerungen im Flugverkehr über Europa werden noch für mehrere Tage erwartet.

Die Fluggesellschaften nehmen diese Anzeichen der Entspannung der Lage erleichtert zu Kenntnis. Sie schätzen, dass sie mindestens 200 Millionen Franken pro Tag, an dem sie stillstanden, verloren haben. Einige hatten bereits vor Dienstag gefordert, das Verbot müsse aufgehoben werden.

Sie waren nicht die einzigen mit dieser Forderung. Andere Stimmen, auch diejenige der Internationalen Luftfahrtvereinigung (IATA) und sogar eine offizielle hochsrangige Europäische Kommission stellten die Aussagekraft der Daten, auf welchen das Verbot basierte, in Frage.

Richtiger Entscheid?

Für Peter Müller, Direktor des Bundesamts für Zivilluftfahrt (BAZL), war das Flugverbot gerechtfertigt, da für die Aufsichtsbehörde die Sicherheit im Vordergrund stehe. Es sei bekannt, dass Flugzeuge in dichten Aschewolken beschädigt werden könnten, wie das ein Vorfall in Indonesien gezeigt habe.

“Was wir nicht genau wissen, ist, wie dick die Wolke sein muss, damit sie Schäden verursacht, und wie viel die Triebwerke aushalten können”, sagte Müller an einer Medienkonferenz am Dienstag. Aus diesem Grund hätten sich Massnahmen aufgedrängt.

Der Entscheid der Behörden vom Montag, das Verbot bis Dienstag zu verlängern, war ebenfalls unter Beschuss geraten. Der Aviatik-Experte Max Ungricht sagte in der Dienstagausgabe der Aargauer Zeitung/MLZ, die Behörden hätten überreagiert. Es habe von Physikern keine genauen Daten gegeben, welche die Schliessung des Luftraums gerechtfertigt hätten.

Gemäss Ungricht wurde Beamten und Meteorologen beim Entscheid zu viel Gewicht beigemessen. “Meiner Meinung nach hätte in die Gesamtbeurteilung auch die Sicht der Flugzeug- und Triebwerkhersteller einfliessen müssen”, so der Experte.

“Keine Überreaktion”

Für den französischen Aviatik-Spezialisten Pierre Condom hat die Schweiz ihren Flugraum rechtzeitig gesperrt und hat Europa insgesamt korrekt auf den Vulkanausbruch reagiert. Laut Condom mache man es sich zu einfach, jetzt von einer Überreaktion zu sprechen.

“Hätte eine Regierung die Öffnung des Flugraums angeordnet und wäre es in Folge zu einem Unfall gekommen, hätten genau die Leute, die heute kritisieren, man sei übervorsichtig, den Ministern und der Zivilluftfahrtsbehörde Vorwürfe gemacht”, sagt Condom gegenüber swissinfo.ch.

“Es hätte geheissen, diese seien nicht in der Lage der Airline-Lobby zu widerstehen und sie würden lieber die Airlines retten als die Sicherheit der Passagiere garantieren”, wie Condom gegenüber swissinfo.ch. sagte.

Zur Diskussion stand, insbesondere von der internationalen Flugbehörde IATA, ob Europa sich am amerikanischen System orientieren sollte. Dies überlässt den Airlines den Entscheid, ob sie fliegen wollen, selbst.

“Es ist nicht im öffentlichen Interesse, dass jene, die noch andere Interessen als die Flugsicherheit haben, über die Wiederaufnahme des Flugbetriebs entscheiden”, so Condom. Die Entscheidungsbefugnis sollte seiner Meinung nach bei den Zivilluftfahrtbehörden liegen.

Die Lektion gelernt?

Aber Condom bemängelt die Koordination zwischen den Europäischen Behörden und deren später Reaktion. Der Koordinationsprozess müsse beschleunigt werden, sagte er.

“Es gibt keine wirklichen wissenschaftlichen Daten der vulkanischen Asche als Bedrohung. Die Partikel werden im Radar nicht erfasst, deshalb sind die Behörden auf Simulationen angeweisen. Diese basieren auf den Wetterdaten”, erklärt der Experte.

Auf diese haben sich die europäischen Länder abgestützt. Für die Zukunft allerdings könne man daraus Lehren ziehen.

Beim isländischen Vulkanausbruch handle es sich um ein eher kleines Ereignis. Dadurch, dass er in der mittleren Flugroute im Nordadlantik liege, habe er stark an Bedeutung gewonnen.

“Doch die künftigen grossen Flugrouten führen durch Asien, einer Zone mit weit grösseren Vulkanen – also kann man damit rechnen, dass sich ein solches Ereignis wiederholen wird. Wir brauchen deshalb irgendein Luftbeförderungsmittel und eine bessere Informationsbeschaffung auf einer globalen Basis.”

Isobel Leybold-Johnson, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Eveline Kobler, Gaby Ochsenbein, Corinne Buchser)

Forscher des Schweizer Paul Scherrer Instituts (PSI) haben einen Schritt gemacht, um die Gefährlichkeit der Vulkan-Aschewolken für die Flugzeuge zu berechnen.

Mit ihrem Umrechnungsfaktor lässt sich aus Laser-Messungen berechnen, wie hoch die Konzentration der gefährlichen Teilchen in der Wolke ist.

Laut Urs Baltensperger, Leiter des Labors für Atmosphären-Chemie beim PSI, ist die Masse der Aschepartikel in der Luft die entscheidende Grösse, um zu errechnen, wie gefährlich eine Asche-Wolke für Flugzeuge werden kann.

Gefährlich für Flugzeuge sind kleinste Teilchen, so genannte Vulkanaerosole.

Die in der Aschewolke aus Island enthaltenen Teilchen breiten sich in hoher Konzentration vor allem in Europa aus.

Davon betroffen sind Turbinenflugzeuge, da diese Aerosole durch die Hitze in den Triebwerken schmelzen und zu Glasablagerungen führen können. Dadurch kann es zu Fehlfunktionen kommen.

Der Eyjafjallajökull vor der Südküste Islands ist der fünftgrösste Gletscher auf der Atlantikinsel. Er birgt einen Vulkan im Untergrund und liegt 125 Kilometer östlich der Hauptstadt Reykjavik. Er erreicht eine Höhe von 1666 Metern.

Der zum vierten Mal seit der Besiedlung Islands aktive Vulkan unter dem Gletscher hat, wie bei Vulkangletschern in Island üblich, keinen eigenen Namen.

“Jökull” ist das isländische Wort für Gletscher.
“Eyjafjalla” bedeutet “Insel-Berge”.

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