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Minarett-Verbot: Zwei Beschwerden unzulässig

Das Minarett auf dem Dach des Türkischen Kulturvereins während der Einweihungsfeier des Minaretts am 27. Juni 2009 in Wangen bei Olten. Keystone

In Strassburg hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwei Beschwerden gegen das Bauverbot an Minaretten endgültig abgewiesen. Im November 2009 hatte das Schweizer Stimmvolk überraschend klar die "Minarettverbot-Initiative" angenommen.

Im Herbst 2009 sagte das Schweizer Stimmvolk mit 57% Ja zur im Ausland vielbeachteten Minarettverbots-Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Kurz darauf legten muslimische Organisationen und der ehemalige Sprecher der Genfer Moschee, Hafid Ouardiri, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerden ein.

Dieser hat nun am Freitag zwei dieser Beschwerden für unzulässig erklärt. Laut Strassburg sind die Urheber der Klagen weder direkte noch indirekte Opfer dieses Volksentscheids, der eine Änderung in der Verfassung der Schweiz zur Folge hatte.

Das freut einerseits das damalige Initiativ-Komitee und die SVP, während sich andererseits die Muslime in der Schweiz nicht sonderlich überrascht vom für sie negativen Urteil aus Strassburg zeigen. Sie betrachten es jedoch als Zeichen an die Schweizer Justiz, jetzt aktiv zu werden.

Die Beschwerdeführer haben laut EGMR in ihren Klagen gegen die Schweiz nicht behauptet, dass der Verfassungszusatz mit dem Minarett-Bauverbot irgendeine konkrete Auswirkung auf sie haben könnte. Sie hätten lediglich gerügt, sie würden in ihren religiösen Überzeugungen verletzt.

Nach Ansicht der Richter in Strassburg können sie damit aber nicht als unmittelbare Opfer einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) betrachtet werden. Auch eine indirekte oder potentielle Opferstellung sei zu verneinen.

Weiter hält der Gerichtshof fest, dass die Schweizer Gerichte in der Lage sein würden, zu prüfen, ob die allfällige Ablehnung einer Baugenehmigung für ein Minarett-Projekt mit der EMRK vereinbar wäre.

SVP “nicht überrascht”

Laut der stellvertretenden SVP-Generalsekretärin Silvia Bär “ist die SVP nicht überrascht von diesem Entscheid. Wir sind davon ausgegangen”. Es sei klar, dass die Urheber der Klagen nicht beschwerdeberechtigt seien. “Wie wir das immer gesagt haben, ist weder die Religionsfreiheit noch die Ausübung der Religion durch die Minarett-Initiative tangiert”, so Bär gegenüber swissinfo.ch. Die noch hängigen Beschwerden beurteilt die Partei laut Bär genau gleich.

Als “natürlich erfreut” bezeichnete sich der Präsident des Initiativkomitees des Minarett-Volksbegehrens, der Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann. Das Strassburger Gericht habe ja auch gar nicht anders entscheiden können.

“Wir sind ein souveräner Staat, das Volk hat der Minarett- Initiative deutlich zugestimmt, und die Initiative war von jeher für gültig erklärt worden”, sagte Wobmann. “Es gab also keinen Grund für das Gericht, daran zu rütteln.”

Ein Prozess wurde ausgelöst

Die erste Beschwerde in Strassburg war von Hafid Ouardiri, dem früheren Sprecher der Genfer Moschee, eingereicht worden. Die Beschwerdeführer im zweiten Verfahren sind drei Vereine und eine Stiftung zur sozialen und geistlichen Betreuung von Muslimen in der Schweiz.

Ouardiri hat gegenüber der Schweizerischen Depeschenagentur nach dem Strassburger Entscheid festgehalten, dass trotz allem durch seine Beschwerde ein Prozess ausgelöst worden sei. “Wir zweifelten an dieser Unzulässigkeit, aber das Vorgehen war notwendig.”

Die Schweizer Behörden müssten eine Lösung für dieses Problem bieten, damit es sich nicht wiederhole. Für Ouardiri ist eine Verstärkung des Rechtsstaats eine unerlässliche Bedingung für gute Beziehungen zwischen den Religionen.

Yahya Hassan Bajwa, der in Baden ein Büro für interkulturelle Kommunikation führt, bereits die Primarschule in der Schweiz besucht hat und Mitglied des Aargauer Grossen Rates ist, versteht, dass eine Minderheit, die gerade gesetzlich in die Schranken gewiesen worden sei, sich wehren wolle und Beschwerden eingelegt habe.

Grundsätzlich ärgert er sich gegenüber swissinfo.ch darüber, dass die SVP mit solchen Initiativen wie dem Minarettverbot “den sozialen Frieden im Land stört”. Das Verhalten der Muslime in der Schweiz zeige jedoch, dass sie sich demokratisch verhielten.

Der Aargauer Grossrat vermutet, dass der jüngste Strassburger Entscheid in den muslimischen Ländern kommentiert werde. Die Initiative habe ja schon hohe Wellen geschlagen. “Früher konnte ich mit Stolz sagen, dass das Hilfswerk LivingEducation, bei dem ich mich engagiere, eine Schweizer Organisation ist. Heute muss ich zuerst erklären, was es mit der Minarett-Initiative auf sich hat.”

Kein Einfluss auf Langenthaler Bauvorhaben

Der Strassburger Gerichtshof hebt hervor, dass die Urheber der Beschwerden nicht argumentiert hätten, in nächster Zeit den Bau einer Moschee mit Minarett zu planen. Die blosse Möglichkeit, dass sie dies in fernerer Zukunft tun könnten, reicht laut EGMR nicht aus.

Im bernischen Langenthal jedoch ist ein Projekt hängig. Es hatte im Vorfeld und währen der Abstimmung für viele Schlagzeilen gesorgt. Einen direkten Einfluss auf das eigene Bauvorhaben in Langenthal habe das Strassburger Urteil nicht, heisst es in der Stellungnahme der Islamischen Glaubensgemeinschaft Langenthal (IGGL). Die IGGL habe mit den beiden beurteilten Beschwerden nichts zu tun.

Das Vorhaben zur Errichtung eines minarettähnlichen Turms in Langenthal ist laut IGGL zurzeit das einzige konkrete Projekt, das vom Minarettverbot in der Bundesverfassung betroffen ist.

Die bernische Baudirektion kam zum Schluss, der Bau sei rechtmässig, weil die Stadt Langenthal die Bewilligung noch vor der eidgenössischen Abstimmung erteilt habe. Die Minarett-Gegner zogen dieses Urteil ans bernische Verwaltungsgericht weiter.

Seit 2006 sorgen Kontroversen um den Bau von Minaretten in den Gemeinden Langenthal (Bern), Wangen bei Olten (Solothurn) und Wil (St. Gallen) für rote Köpfe.

Gebetsturm-Baugesuche in diesen drei Gemeinden 2007 lösten in Teilen der Bevölkerung grosse Proteste aus, im Gegensatz zu islamischen Gebetsräumen, die nie Kontroversen auslösten.

Die erste Moschee samt Minarett der Schweiz war 1960 in Zürich gebaut worden und hat ebenfalls nie Kontroversen ausgelöst.

In Bern Wankdorf sollte gar ein Islamisches Zentrum entstehen, das zu den grössten in Europa gezählt hätte. Dieses Projekt wird jedoch nicht weiterverfolgt.

Die Auseinandersetzungen führten dazu, dass die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei eine Volksinitiative “gegen den Bau von Minaretten” lancierte. Über diese wurde Ende November 2009 abgestimmt.

Entgegen vieler Erwartungen wurde sie mit 57,5% Ja klar angenommen, was zu weltweiten Reaktionen und Protesten führte. Sie führte aber dazu, dass die Diskussionen um den Islam in Europa in anderen europäischen Ländern zugenommen haben.

In der Schweiz leben rund 350’000 bis 400’000 Muslime.
Rund 12% sind Schweizer Staatsbürger.
 
Ihre Zahl hat in den letzten Jahren zugenommen. Ihr Anteil an der Bevölkerung stieg von 2,2% 1990 auf 4,3% im Jahr 2000.
 
In der Schweiz sind drei Viertel der Bevölkerung Christen. Davon sind 42% Katholiken, 35% Protestanten und 2,2% andere christliche Bekenntnisse.

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