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Minarette – auch ein Zeichen der Integration

Keystone

Wenn Zuwanderer in der Schweiz religiöse Bauten erstellen, dann sei das auch ein Zeichen dafür, dass sie Teil der Schweiz werden wollen. Das sagt der Religionswissenschafter Martin Baumann im swissinfo-Interview.

Martin Baumann ist seit 2000 Professor für Religionswissenschaft und seit 2007 Dekan der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern.

swissinfo: Die Initianten der Minarettinitiative haben Angst, dass der Islam in der Schweiz überhand nimmt. Können Sie diese Haltung nachvollziehen?

Martin Baumann: Indizien dafür gibt es meines Erachtens nicht. Der Grossteil der Muslime in der Schweiz besteht ja aus Zuwanderern, die vor allem aus dem Balkan stammen. Europäische Muslime also. Arabische Muslime aus dem Maghreb, aus dem Nahen Osten, sind zahlenmässig nicht so stark.

Auch mit der Geburtenrate wird argumentiert, da Zuwandererfamilien oft eine höhere Anzahl Kinder haben als in der Schweiz üblich sind. Die Forschung zeigt aber auf, dass Emigrantenfamilien meist schon in der zweiten Generation das Muster der Aufnahmegesellschaft annehmen. Sie haben auch weniger Kinder.

Zudem wendet sich der Aufmerksamkeitsfokus der zweiten Generation der Zuwanderer zur Schweiz hin. Auch deshalb erstellt man religiöse Bauten, die sich nicht mehr verstecken. Man investiert Zeit, Geld, Ressourcen. Das ist auch ein Integrationszeichen. Sie wollen Teil der Schweiz werden, wollen hier bleiben. Sie wollen aber ihre Kinder in ihrem eigenen Glauben erziehen.

Man kann hochgradiger Staatsbürger sein und einen anderen Glauben pflegen. Das zeigt das jüdische Volk seit 2000 Jahren.

swissinfo: Hat es das Christentum nötig, sich mit einem Verbot von Minaretten gegen den Islam zu wehren?

M.B.: Meines Erachtens nicht Der katholische Bischof Koch sagte in einem pointierten Brief, die Muslime sässen in einem ähnlichen Boot wie die christlichen Kirchen. Denn in den westlichen Gesellschaften sei die Religion selbst unter Verdacht geraten.

Das heutige Wettern gegen den Islam, der Streit um seine Symbole, werde früher oder später auf andere Religionsgemeinschaften übergreifen. Man reklamiere dann etwa gegen das Geläute von Kirchenglocken oder wolle den Religionsunterricht aus der Schule verbannen.

swissinfo: Weshalb gibt es gegen viele Projekte anderer Religionsgemeinschaften längst nicht so viel Widerstand wie gegen Moscheen mit Minaretten?

M.B.: Dafür ist das Negativbild des Islams verantwortlich, das nach 2001 und den Anschlägen von Madrid und London entstanden ist. Der Islam wird in den Medien zudem oft als Bedrohung dargestellt. Als ob in jeder Moschee Terroristen ausgebildet würden.

Man nimmt nicht wahr, dass in den Moscheen Integrationskurse angeboten werden, Deutschkurse für Frauen, Tauschbörsen. Leider halten sich manche Moscheen-Vereine gesellschaftlich sehr zurück. Dabei wären sie gut beraten, mehr den Kontakt nach aussen zu suchen, zu den Behörden, zu den lokalen Politikern.

Tage der offenen Tür, wie sie von Moscheen im Kanton Aargau durchgeführt werden, kommen gut an. Das ist ein Weg der Vermittlung und des Angstabbaus.

Aufgrund ihres christlichen Verständnisses herrscht sowohl in traditionellen, aber auch freikirchlichen und sehr konservativen evangelikalen Kreisen oft eine sehr antiislamische Einstellung.

Aber der Grossteil von reformierten oder katholischen Gläubigen ist an einer Verständigung interessiert und versucht, an Vermittlungsprojekten teilzunehmen.

swissinfo-Interview: Etienne Strebel

In der Schweiz gibt es vier Minarette. Die Gebetstürme stehen in Genf, Winterthur, Zürich und in Wangen bei Olten.

Gemäss einer von der Eidg. Ausländerkommission veröffentlichten Studie bestehen in der Schweiz rund 130 muslimische Kulturzentren und Gebetsstätten. Die meisten dieser Stätten sind in gewöhnlichen Wohnungen oder Gebäuden untergebracht.

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