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Minarettinitiative kommt vors Volk

Das Minarett der Moschee in Genf. Keystone

Der Nationalrat befindet die Volksinitiative "gegen den Bau von Minaretten" für gültig, lehnt sie jedoch ab, da sie gegen international garantierte Menschenrechte verstosse. Religionswissenschafter Martin Baumann begrüsst diesen Entscheid.

Eine solide Mehrheit der Grossen Kammer, 129 zu 50 Stimmen bei 7 Enthaltungen, folgte dem Vorschlag des Bundesrates und lehnte die Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ab.

Noch weiter wollten die Vertreter der Linken und Grünen gehen. Sie verlangten, die Initiative für ungültig zu erklären. Eine Mehrheit der Volksvertreter (128 zu 53 bei 5 Enthaltungen) folgte jedoch der Argumentation des Bundesrates, der die Initiative als gültig taxierte, da sie nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstosse.

Die Initiative verstosse gegen international garantierte Menschenrechte und gegen zentrale Grundrechte der Bundesverfassung, wurde von den Gegnern angeführt. Zudem bedeute ein Bauverbot für Minarette die Diskriminierung einer religiösen Minderheit. Die dazu führende Erniedrigung und Demütigung schüre letztlich Hass und Radikalismus.

Die Befürworter betonten, ihre Initiative richte sich nicht gegen die Religionsfreiheit. Man wolle einzig und allein keine Gebetstürme in der Schweiz haben.

Im Gespräch mit swissinfo nimmt Martin Baumann vom Zentrum für Religionsforschung der Universität Luzern dazu Stellung.

swissinfo: Die Initianten der Minarettinitiative haben Angst, dass der Islam in der Schweiz überhand nimmt. Können Sie diese Haltung nachvollziehen?

Martin Baumann: Indizien dafür gibt es meines Erachtens nicht. Der Grossteil der Muslime in der Schweiz besteht ja aus Zuwanderern, die vor allem aus dem Balkan stammen. Europäische Muslime also. Arabische Muslime aus dem Maghreb, aus dem Nahen Osten, sind zahlenmässig nicht so stark.

Auch mit der Geburtenrate wird argumentiert, da Zuwandererfamilien oft eine höhere Anzahl Kinder haben als in der Schweiz üblich sind. Die Forschung zeigt aber auf, dass Emigrantenfamilien meist schon in der zweiten Generation das Muster der Aufnahmegesellschaft annehmen. Sie haben auch weniger Kinder.

Zudem wendet sich der Aufmerksamkeitsfokus der zweiten Generation der Zuwanderer zur Schweiz hin. Auch deshalb erstellt man religiöse Bauten, die sich nicht mehr verstecken. Man investiert Zeit, Geld, Ressourcen. Das ist auch ein Integrationszeichen. Sie wollen Teil der Schweiz werden, wollen hier bleiben. Sie wollen aber ihre Kinder in ihrem eigenen Glauben erziehen.

Man kann hochgradiger Staatsbürger sein und einen anderen Glauben pflegen. Das zeigt das jüdische Volk seit 2000 Jahren.

swissinfo: Hat es das Christentum nötig, sich mit einem Verbot von Minaretten gegen den Islam zu wehren?

M.B.: Meines Erachtens nicht Der katholische Bischof Koch sagte in einem pointierten Brief, die Muslime sässen in einem ähnlichen Boot wie die christlichen Kirchen. Denn in den westlichen Gesellschaften sei die Religion selbst unter Verdacht geraten.

Das heutige Wettern gegen den Islam, der Streit um seine Symbole, werde früher oder später auf andere Religionsgemeinschaften übergreifen. Man reklamiere dann etwa gegen das Geläute von Kirchenglocken oder wolle den Religionsunterricht aus der Schule verbannen.

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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swissinfo: Weshalb gibt es gegen viele Projekte anderer Religionsgemeinschaften längst nicht so viel Widerstand wie gegen Moscheen mit Minaretten?

M.B.: Dafür ist das Negativbild des Islams verantwortlich, das nach 2001 und den Anschlägen von Madrid und London entstanden ist. Der Islam wird in den Medien zudem oft als Bedrohung dargestellt. Als ob in jeder Moschee Terroristen ausgebildet würden.

Man nimmt nicht wahr, dass in den Moscheen Integrationskurse angeboten werden, Deutschkurse für Frauen, Tauschbörsen. Leider halten sich manche Moscheen-Vereine gesellschaftlich sehr zurück. Dabei wären sie gut beraten, mehr den Kontakt nach aussen zu suchen, zu den Behörden, zu den lokalen Politikern.

Tage der offenen Tür, wie sie von Moscheen im Kanton Aargau durchgeführt werden, kommen gut an. Das ist ein Weg der Vermittlung und des Angstabbaus.

Aufgrund ihres christlichen Verständnisses herrscht sowohl in traditionellen, aber auch freikirchlichen und sehr konservativen evangelikalen Kreisen oft eine sehr antiislamische Einstellung.

Aber der Grossteil von reformierten oder katholischen Gläubigen ist an einer Verständigung interessiert und versucht, an Vermittlungsprojekten teilzunehmen.

swissinfo-Interview: Etienne Strebel

Geboren 1960 in Swakopmund (Namibia)
Studium der Religionswissenschaft, Philosophie und Anglistik
1988 Magister Artium in Marburg
1993 Dr. phil. In Hannover
1998-1999 Forschungsprojekt “Migration, Religion, Integration”
1999 Habilitation in Leipzig
2000-2003 Arbeiten am Forschungsprojekt “Rekonstituierung von Sinn mittels Religion in fremdkultureller Umwelt
Seit Herbst 2001 Professur für Religionswissenschaft an der Universität Luzern
2002-2007 Leiter Religionswissenschaftliches Seminar
2007-2009 Dekan der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern

In der Schweiz gibt es vier Minarette. Die Gebetstürme stehen in Genf, Winterthur, Zürich und in Wangen bei Olten.

Ein weiterer ist in Langenthal im Kanton Bern geplant. Dessen Gesuch ist noch hängig.

Das Minarett in Wangen bei Olten, eine sechs Meter hohe Stahlkonstruktion, wurde nach einem längeren Rechtsstreit vor einem Monat errichtet.

Minarette waren auch in Emmenbrücke bei Luzern und im st. gallischen Wil geplant. Beide Vorhaben wurden jedoch aufgegeben.

Gemäss einer von der Eidg. Ausländerkommission veröffentlichten Studie bestehen in der Schweiz rund 130 muslimische Kulturzentren und Gebetsstätten. Die meisten dieser Stätten sind in gewöhnlichen Wohnungen oder Gebäuden untergebracht.

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