Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Mit Gleichstrom in den Kampf für Energie-Effizienz

Windpark vor der Küste Dänemarks. Mit Hochspannungs-Gleichstromnetzen könnte der Strom effizienter verteilt werden. Keystone

ABB hat im Wettbewerb um eine gesteigerte Energie-Effizienz die Messlatte nach oben verschoben: Der schweizerisch-schwedische Technologiekonzern rüstete das gesamte Stromsystem auf einem Schiff mit Gleichstrom-Technologie aus.

Den entsprechenden Auftrag hat ABB von einer norwegischen Gesellschaft erhalten.

Mit dem bord-internen Gleichstrom-System wird ein 93 Meter langes Schiff ausgestattet, das Offshore-Plattformen mit Nachschub versorgen soll. Die Auslieferung soll gemäss dem Technologie-Konzern in rund einem Jahr erfolgen.

Dies bedeutet eine Art Revival, denn Gleichstrom-Lösungen gab es schon vor rund 100 Jahren, zum Beispiel für den Antrieb von Lokomotiven sowie für Stromnetze.

Das von ABB entwickelte neue Gleichstromnetz an Bord des Schiffes soll den Ölverbrauch und damit auch den Ausstoss an Kohlenstoff um 20% senken. Das Unternehmen hofft, dass dieses energiesparende Stromsystem für Fährschiffe, Jachten, Schleppschiffe und Offshore-Plattformen bald zum Standard wird.

Doch es gilt zu relativieren, denn die Entwicklung ist nur ein winziger Schritt innerhalb der Anstrengungen, die Energieproduktion insgesamt effizienter zu gestalten.

Boom in Indien und China

Dank dem schnellen Wachstum der Schwellenländer und der Weltbevölkerung insgesamt habe auch die weltweite Nachfrage nach Energie im letzten Jahrzehnt um 20% zugenommen, schreibt der internationale Think Tank World Energy Council (WEC).

Rund ein Drittel der weltweit produzierten Energie entfällt auf elektrischen Strom. Dabei falle fast die Hälfte des Energie induzierten CO2-Ausstosses ab, schätzen die Fachleute vom WEC. Das macht es immer schwieriger, die steigende Nachfrage und die strengeren Umweltauflagen unter einen Hut zu bringen. Eine Lösung mit beträchtlichem Potenzial besteht in der Steigerung der Energie-Effizienz.

ABB und andere Konzerne haben Millionen in die Forschung investiert. Diese konzentriert sich insbesondere auf drei Bereiche, nämlich den besseren Transport von Strom über längere Distanzen, die Verbindung bisher nicht kompatibler Stromnetze sowie den Einsatz von Gleichstrom- statt der Wechselstromtechnik.

ABB glaubt, dass die Gleichstromtechnik nicht nur auf dem Wasser, sondern auch in Fabrikationsbetrieben und computerisierten Datenzentren einsetzbar ist. 

Verluste minimieren 

Üblicherweise wird Elektrizität über Wechselstromnetze verteilt. Immer mehr Haushaltsgeräte und Computer verlangen aber nach Gleichstrom. Ein Umschalten von Wechsel- auf Gleichstrom ist zwar mittels Konverter möglich. Aber das bedeutet einen zusätzlichen Stromverbrauch.

Eine Stromverteilung über Gleichstromsysteme mache einfach mehr Sinn, sagt Jochen Kreusel, bei ABB verantwortlich für die Sparte intelligente Versorgungsnetze (smart grid): “Eine Minimierung der Schaltstellen bei der Umwandlung von Wechsel- zu Gleichstrom reduziert Energieverluste und damit Kosten.”

Gleichzeitig weist Kreusel aber darauf hin, dass eine vollständige Umstellung der gegenwärtigen Wechselstromnetze auf Gleichstrom noch ein rein theoretisches Konzept darstelle.

Dies werde so lange so bleiben, bis Gleichstromnetze wirtschaftlich konkurrenzfähig seien, betont Christoph Frei. “Bei Distanzen bis 600 Kilometer ist der Energietransport mit Wechselstrom Standard”, sagt der WEC-Sekretär.

Die Umstellung auf Gleichstrom sei eine Frage der Distanzen sowie der Kosten. Die Energiepreise müssten noch weiter ansteigen, damit die Netzbetreiber eine System-Umstellung ins Auge fassten, so Frei.

Strom-Autobahnen verbinden 

Eine weitere wichtige Sparte sind die Hochspannungs-Gleichstrom-Systeme. Diese Technologie wurde zwar schon in den 1930er-Jahren von der Asea, der schwedischen ABB-Vorgängerin, angewandt. Die andere ABB-Ahnin, die schweizerische BBC, baute um die Jahrhundertwende Gleichstrom-Lokomotiven.

Doch die Nachfrage nach Gleichstrom ist erst in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Schwellenländer wie China und Indien müssen ihre Stromnetze dringend modernisieren, um ihre stetig wachsende Stromproduktion über lange Distanzen zu verteilen.

Dazu kommt, dass Energie zunehmend auch in abseits gelegenen Gebieten produziert wird, beispielsweise in Windfparks vor den Meeresküsten. Solchermassen hergestellter Strom ist zwar nachhaltiger, doch wird auch der Weg zum Endkonsumenten länger. Da nachhaltiger Strom aber immer billiger werde, steige auch der Druck, ihn ins allgemeine Stromnetz einzuspeisen, so Kreusel.

“Der Preisunterschied zwischen herkömmlich und nachhaltig produzierten Energien schwindet”, sagt er gegenüber swissinfo.ch. “Über den ganzen Kontinent hinweg werden wir sehen, dass ein grösserer Anteil erneuerbarer Energie von abgelegenen Orten aus verteilt wird.”

Potenzial für Afrika 

Hochspannungs-Gleichstromsysteme sind insbesondere auch für Afrikas Stromzukunft entscheidend. Der schwarze Kontinent hat grosse Pläne, die sich an Chinas Ausbau der Wasserkraft orientieren. So ist für den Fluss Inga in der Demokratischen Republik Kongo eine Sperre vorgesehen, die den chinesischen Drei-Schluchten-Damm übertreffen soll.

“Afrika nützt gegenwärtig nur 7% seines hydro-energetischen Potenzials”, sagt WEC-Generalsekretär Christoph Frei gegenüber swissinfo.ch. “Der Kontinent könnte riesige Mengen von Energie produzieren. Das würde aber nur Sinn machen, wenn die Energie mit Hochspannungs-Gleichstrom über sehr lange Strecken transportiert und verteilt werden könnte.”

Stabilitätsfaktor

Als letzter fehlender Teil im Puzzle wird gemeinhin jene Technologie erachtet, die es erlaubt, Stromnetze zueinander zu schalten, die untereinander bisher nicht kompatibel waren. Dabei ermöglicht Hochspannungs-Gleichstrom nicht nur, Elektrizität über lange Strecken zu transportieren, sondern auch deren Verteilung über eine riesige Fläche.

Dieser Schritt brächte neben wirtschaftlichen auch gesellschaftlichen und politischen Nutzen, ist Christoph Frei überzeugt. “Das Zusammenschalten der Stromquellen verschiedener Länder hat positive Auswirkungen nicht nur auf die Handelsbeziehungen, sondern auch auf Aspekte wie Frieden und Sicherheit.”

Nicht alle Regionen seien gleichermassen mit Energiequellen gesegnet. “Wenn dies einigermassen ausgeglichen werden soll, braucht es ‘Interkonnektivität’, das heisst, ein Zusammenschalten von Stromproduktion und Verteilung.”

Bei ABB geht man davon aus, zur Zeit rund 40% des bestehenden Marktes für Hochspannungs-Gleichstrom zu halten. Konkurrent Siemens dürfte einen etwa gleichgrossen Marktanteil besitzen. Doch konkrete Umsatzzahlen für diese Geschäftsbereiche werden nicht publiziert.

Weitere Konkurrenten, hauptsächlich aus Asien, sind jedoch scharf darauf, ihren Marktanteil auszubauen. Denn die Sparte Hochspannungs-Gleichstrom verfügt über ein jährliches Potenzial von schätzungsweise 7 bis 9 Milliarden Franken – sofern die letzten technologischen Hürden einmal überwunden sind. Diese bestehen vor allem in der Erhöhung der Kapazitäten und der Geschwindigkeit, mit welcher der Hochspannungs-Gleichstrom verteilt werden kann.

Stromnetze sind Netzwerke elektrischer Stromleitungen. Sie werden auch Energie-, Stromverbund- oder Stromversorgungsnetz etc. genannt.

Stromnetze sind Verbundnetze zur Versorgung der Verbraucher mit elektrischer Energie durch Versorgungs-Unternehmen.

In Europa wird elektrische Energie in der Regel mittels Wechselstrom übertragen.

Um grosse Mengen zu übertragen, benötigt man hohe Spannunge zur Verminderung der Verluste.

Asea, die später in ABB aufging, entwickelte schon Anfang des 20. Jahrhunderts Hochspannungs-Gleichstromsysteme. In den 1950er-Jahren erreichten sie den Höhepunkt der Marktreife.

Damit wurden zum Beispiel weit entfernte Inseln in ganz Skandinavien ans Stromnetz angebunden.

Im Schweizer Bahnnetz gab es seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch Gleichstrom-Lokomotiven.

Ende des 19. Jahrhunderts stritten die beiden Amerikaner Thomas Edison, der für Gleichstrom optierte, und George Westinghouse, der den Wechselstrom bevorzugte, darüber, welche Technik für die grossflächigere Versorgung der USA mit elektrischer Energie geeigneter sei.

Dabei ging es auch um Marktanteile für ihre jeweiligen Unternehmen General Electric (Edison) und Westinghouse Electric.

Edisons Gleichspannung mit 110 Volt liess sich jedoch nicht weit transportieren, ohne dass viele Kleinkraftwerke gebaut worden wären.

Westinghouse fand zusammen mit dem Jugoslawen Nikola Tesla heraus, dass sich Wechselstrom besser für die Energieversorgung eignet. Der Vorteil: Mittels Transformatoren lässt sich dieser Strom leicht auf andere Spannungsniveaus ändern.

Damit kann bei hohen Spannungen elektrische Energie mit weniger Verlusten transportiert werden.

(Ünertragung aus dem Englischen: Alexander P. Künzle)

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft