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Mit Mäusen dem Amtsschimmel Beine machen

Bei der virtuellen Verwaltung ist die Schweiz im Rückstand. swissinfo.ch

Bei der Internetnutzung gehört die Schweiz zur Weltspitze, doch beim E-Government hinkt sie hinterher.

Nun hat der Bund reagiert und versucht, mit Hilfe der Wirtschaft im föderalistischen Wildwuchs einheitliche Standards durchzusetzen.

Die Schweiz tut sich schwer beim Aufbau einer virtuellen Verwaltung. Eine Studie über E-Government von Hewlett-Packard stellt der Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern schlechte Noten aus, und bei einer Untersuchung der EU figuriert die Schweiz auf dem zweitletzten Platz.

Doch nun geht es voran in Sachen E-Government: Mitte Januar hatte das E-Voting nationale Premiere in Anières bei Genf, mit zehn Klicks kommen ausländische Arbeitskräfte in Zürich demnächst zu einer Arbeitsbewilligung. Und seit einigen Wochen vernetzt der “Guichet virtuel”, der virtuelle Schalter des Bundes, das bestehende Internetangebot von Bund, Kantonen und Gemeinden.

Hinderlicher Föderalismus

Die Erfolgs-Meldungen der letzten Wochen täuschen indes über die grossen Schwierigkeiten hinweg, mit denen E-Government in der Schweiz konfrontiert ist. Grund ist unter anderem der Föderalismus: Zu viele unterschiedliche Lösungen, uneinheitliche Gesetze, fehlende Standards, keine klaren Vorgaben des Bundes.

Dies soll sich nun ändern. Im Dezember 2002 wurde auf Initiative des Informatik-Strategieorgans Bund ISB der Verein “eCH” gegründet. Dieser soll gemeinsame Standards festlegen und deren Anwendung fördern.

Zwischen 250’000 und 500’000 Franken will der Verein jährlich ausgeben, um durch die Verbreitung von akzeptierten Standards ein vernetztes E-Government zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden zu ermöglichen.

“Stellen Sie sich ein IT-Projekt mit 3000 gleichberechtigten Partnern vor”, erklärt eCH-Geschäftsführer Willy Müller die Dimension seiner Aufgabe. In der Schweiz liessen sich zudem Standards nicht von oben nach unten durchsetzen: “Die 26 Kantone fühlen sich nicht von der Bundesverwaltung vertreten, die über 2800 Gemeinden nicht von ihrer Kantonsverwaltung.”

Erklärtes Ziel von E-Government ist die Reduktion der Verwaltungskosten. Das Einsparpotenzial sei enorm. “Allein beim Umzug vom Kanton Bern in den Kanton Thurgau müssen die gleichen Informationen sieben Mal eingegeben werden.” Müssten die Informationen hingegen nur noch einmal eingetippt werden, liesse sich laut Müller allein beim Meldewesen jährlich eine halbe Milliarde Franken einsparen.

Wirtschaft soll Standards durchsetzen

Voraussetzung für eine effiziente Umsetzung von E-Government sind gemeinsame Schnittstellen und Datenformate. Doch der Bund kann die Standards allein weder finanzieren noch durchsetzen.

Während in Deutschland die Bundesregierung die Standardisierung von oben herab verordnet und für ihre E-Government-Initiative 1,6 Mrd. Euro budgetiert, um bis 2005 alle internetfähigen Dienstleistungen der Bundesverwaltung online zur Verfügung zu stellen, setzt die Schweiz auf die Wirtschaft.

“Die Unterstützung durch die IT-Branche ist wichtig, um die Standards professionell durchzusetzen”, erklärt Müller. “Wenn die IT-Firmen Standards haben, bleibt den Gemeinden gar nichts mehr anderes übrig als sich anzupassen.”

Das Interesse der Wirtschaft an eCH ist gross: Nach dem Absturz der New Economy gilt E-Government als attraktiver Wachstumsmarkt. Über 50 Unternehmen sind Mitglied des Vereins, die Mehrheit davon aus der IT-Branche.

Die Kantone halten sich vorerst noch zurück: Nur gerade 6 von 26 sind Mitglied von eCH. Die massive Beteiligung der Wirtschaft stösst auf Kritik. “Die Kantone und Gemeinden wollen die Kompetenzen nicht aus der Hand geben”, klagt Müller. “Sie möchten, dass wie in Deutschland und Grossbritannien die Behörden bei der Standardisierung das Sagen haben.”

Neben der IT-Branche setzt Müller auf den Wettbewerb zwischen den Gemeinden. Denn wer sich den Standards anpasst, kann Geld sparen und Dienstleistungen effizienter anbieten.

Hohe Investitionskosten

Die notwendigen Investitionen sind enorm: Der Relaunch der Homepage hat die Stadt Biel 700’000 und Chur 400’000 Franken gekostet. Das E-Government-Projekt des Kantons Zürich schlägt mit 16 Mio. Franken zu Buche. Von realen Kosteneinsparungen ist man noch weit entfernt.

Michael Salzmann, Projektleiter “eGovernment” im Kanton Zürich, ist zudem skeptisch was eine baldige Standardisierung betrifft: “Bis es zu einer Harmonisierung des Meldewesens und den damit verbundenen Einsparungen kommt, dauert es noch mindestens 15 Jahre.”

Die 30 Mio. Franken, die der Bund bis 2004 für E-Government bereit gestellt hat, sind für die Schlüsselprojekte “E-Voting” und “Guichet virtuel” reserviert. Allerdings wird bereits Kritik laut: Der “virtuelle Schalter” sei eher eine Linksammlung als eine gelungene E-Government-Umsetzung. “Das Projekt ist ein Katalysator”, verteidigt Müller. Bereits hätten viele Gemeinden neue Homepages aufgeschaltet.

Prestige-Projekt E-Voting

Beim prestigeträchtigen E-Voting will die Schweiz in Europa die Vorreiterrolle übernehmen. Zurzeit laufen, entgegen allen Standardisierungs-Bemühungen, drei verschiedene Pilotprojekte in Genf, Neuenburg und Zürich. Die Kosten übernimmt zu 80% der Bund, insgesamt sind dies 7,5 Mio. Franken. 2004 wird es im Kanton Zürich erstmals zu einer Internet-Abstimmung kommen.

Definitiv wird E-Voting in der Schweiz jedoch frühestens 2010 eingeführt. Laut Hochrechnung wird dies den Bund rund 600 Mio. Franken kosten.

“Der konkrete Nutzen von E-Voting ist gegenüber der brieflichen Stimmabgabe jedoch klein”, erklärt eCH-Geschäftsführer Müller. Der Bundesrat hofft, dass sich dank E-Voting mehr Stimmberechtigte an den Abstimmungen und Wahlen beteiligen. Die Einführung der brieflichen Stimmabgabe in vielen Kantonen hat allerdings nicht zu einer höheren Beteiligung geführt. Kosten lassen sich im besten Fall durch die Schliessung von Stimmlokalen einsparen.

E-Government noch wenig populär

Auch die Erwartung, durch E-Government den Kontakt zwischen Bürger und Verwaltung kostengünstiger zu gestalten, könnte enttäuscht werden. In Grossbritannien, wo bereits 70% aller staatlichen Dienstleistungen online nutzbar sind, werden die Angebote der öffentlichen Verwaltung praktisch ignoriert, während das Online-Shopping ein rasantes Wachstum verzeichnet.

Laut einer Studie von Booz Allan Hamilton nutzt nur gerade ein Viertel aller Haushalte mit Internet-Anschluss E-Government, in Deutschland ist es immerhin knapp die Hälfte.

Ob in der dezentralen Schweiz, wo anders als bei den Internet-Spitzenreitern Finnland oder USA nur kleine Distanzen zwischen Wohnort und Gemeindeverwaltung liegen, die virtuelle Verwaltung auf genügend Resonanz stossen wird, ist fraglich. Laut einer Studie der Universität St. Gallen verzeichnen mehr als 40% der Gemeinde-Websites weniger als 50 Besucher am Tag.

swissinfo, Hansjörg Bolliger

2002 verfügten über 52,1% der Haushalte über einen Internetzugang (2,9 Mio. Anschlüsse).
Im Information Technology Report (2002-2003) des World Economic Forums (WEF) figuriert die Schweiz auf Rang 13.
Der Spitzenplatz hält Finnland, vor den USA, Singapur und Schweden.

eCH will noch in diesem Jahr erste Standards für das E-Government in der Schweiz verabschieden.

Die eidgenössische Einrichtung sieht sich aber nur als Übergangslösung; das Ziel ist eine private Trägerschaft.

E-Government ist mehr als ein elektronischer Amtsanzeiger. Um seine Wirksamkeit zu entfalten, muss E-Government jedoch Medienbrüche vermeiden.

Es macht wenig Sinn, wenn Behörden Formulare zum Download bereitstellen, die dann ausgedruckt, von Hand ausgefüllt und mit der Post zurückgeschickt werden müssen, um dann in der Verwaltung in das amteigene EDV-System übertragen zu werden.

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