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Mit Verbrauchsgutschriften gegen CO2-Ausstoss

Ulrike Saul (WWF), Kurt Egli (VCS) und Cyrill Studer (Greenpeace, von rechts) präsentieren die Verbrauchsgutschrift. Keystone

Wer ein sauberes Auto kauft, soll belohnt werden, wer sich eine "Dreckschleuder" anschafft, bezahlt mehr. Mit einem Bonus-Malus-System wollen die drei grossen Schweizer Umweltverbände gezielt den Treibstoffverbrauch senken.

“Die bisherigen Massnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen im Verkehr sind gescheitert”, hält Ulrike Saul vom WWF Schweiz fest. Statt nach unten zeige der Trend beim Ausstoss von Kohlenstoffdioxid in der Schweiz nach oben.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Seit 1990 hat der CO2-Ausstoss durch Treibstoffe in der Schweiz um 11,4% zugenommen. Das gesetzlich verankerte Ziel sieht aber bis 2020 eine Reduktion um 8% vor.

Dass die Schweiz immer noch rasant am Reduktionsziel vorbeifährt, kommt nicht von ungefähr. “Sie hat mit 183 Gramm CO2 pro Kilometer immer noch die klimaschädlichste Neuwagenflotte Europas”, sagt die WWF-Verantwortliche für Klima & Energie.

WWF, Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) und Greenpeace fordern deshalb, dass dieser Durchschnittswert bis 2020 um über die Hälfte auf 80 Gramm CO2 pro Kilometer vermindert werden soll. Zum Vergleich: Die Europäische Union (EU) will den CO2-Ausstoss neuer Autos bis 2020 auf durchschnittlich 130 Gramm pro Kilometer drücken.

Wer verschmutzt, zahlt

Mit einem Bonus-Malus-System wollen die drei Verbände den Behörden in Bern jetzt Beine machen. Im Zentrum stehen frei handelbare Verbrauchsgutschriften, die sich nach dem Reduktionsziel richten.

Wer sich für ein “sauberes” Auto entscheidet, dessen CO2-Ausstoss unterhalb des festgelegten Durchschnittswertes liegt, erhält eine Gutschrift. Und wer lieber einen Luxuswagen chauffiert, der eine hohe Kohlendioxid-Emission aufweist, muss zusätzlich zum Neuwagenpreis ein Malus-Zertifikat berappen.

Was in der Theorie kompliziert und nach viel bürokratischem Aufwand tönt, soll in der Praxis aber einfach funktionieren, sagten Vertreter der drei Verbände bei der Vorstellung einer Studie über handelbare Verbrauchsgutschriften für Neuwagen.

“Wer ein neues Auto kaufen will, wendet sich zur Beschaffung der Gutschrift entweder an den Autohändler oder an einen Broker, erklärte Christoph Lieb, Ökonom im Beratungsunternehmen Ecoplan und Mitverfasser der Studie, gegenüber swissinfo. Wohl seltener werde es vorkommen, dass Zertifikate privat gehandelt würden.

Gutschein pro Gramm CO2

Beträgt beispielsweise der von der Regierung festgelegte Durchschnitts-Ausstoss für das Jahr X 170 Gramm CO2 pro Kilometer, erhält Herr Müller als Käufer eines Neuwagens mit einem Ausstoss von 160 Gramm CO2 zehn Gutscheine, nämlich einen für jedes gesparte Gramm.

Dagegen muss sich Frau Meier, die sich einen Wagen mit Sechszylindermotor und einem Ausstoss von 180 Gramm CO2 pro Kilometer gönnt, mit zehn Gutschriften à je ein Gramm eindecken. Fällig werden die Bonus- und Malus-Zertifikate dann bei der ersten amtlichen Motorfahrzeugprüfung.

“Bei einer Lenkungsabgabe wird zuerst deren Preis festgelegt, dann hofft man, dass die Reaktion des Marktes zum Ziel führt. Mit dem Gutschriftenhandel gehen wir genau den umgekehrten Weg”, sagt Peter Marti, zusammen mit Christoph Lieb Autor der Studie. “Zuerst wird das Reduktionsziel festgelegt, danach führt die Marktreaktion zum Preis des Gutscheins.”

Smart-Kauf schenkt ein

Die Preisregionen im Voraus zu beziffern, sei schwierig, so Marti. Ein Element bei der Austarierung sei unter anderem die Bereitschaft, auf den Verbrauch von Treibstoff zu verzichten. Bisherige Studien rechneten mit einem Bonus-Malus von 75 bis 100 Franken pro Gramm CO2-Ausstoss, das über oder unterhalb des Durchschnittwertes liegt.

“Das kann im Extremfall, etwa beim Kauf eines Smart Fortwo, schon mal eine Gutschrift von 8000 Franken ausmachen”, illustriert Marti. Dass solche Prämienanreize zu einer kontraproduktiven Kaufwelle von Zweitwagen führt, sei kaum wahrscheinlich. Fast allen Automobilisten stünde ihr Fahrzeug jederzeit zur Verfügung, sagt er.

Das Instrument der handelbaren Verbrauchsgutschriften ist laut den Initianten einfach, transparent, marktwirtschaftlich und zielgenau. Und effizient. Sie rechnen nur mit einmaligem Aufwand von einer halben Million sowie mit jährlichen Kosten von zwei Mio. Franken. Diese würden für elektronische Register, Handel, Ausstellen und Entwerten der Gutscheine sowie Kommunikation und Aufsicht benötigt.

Gute Markt-Chancen bei knapp 300’000 Neuwagen

Neben freien Brokern wären also die Autohändler wichtige Player auf dem neuen Markt des Zertifikat-Handels. Die neue Aufgabe traut ihnen Christoph Lieb ohne weiteres zu. Die dazu nötige Schulung würde etwa einen halben Tag in Anspruch nehmen, schätzt er.

Zweifel, ob überhaupt ein Markt für die Zertifikate entstehe, haben die Vertreter von WWF, VCS und Greenpeace nicht. Sie gehen davon aus, dass im Jahr der Einführung 140’000 Käufer von Neuwagen Gutschriften erhalten und ebenso viele Zertifikate kaufen müssen.

“Das sind günstige Voraussetzungen für einen Markt”, sagt der Ökonom Peter Marti.

swissinfo, Renat Künzi

Für jedes neue Auto gibt es eine Gutschrift oder ein Malus-Zertifikat. Die Zahl der Bonus-Malus-Zertifikate ist also nicht beschränkt.

Da der Markt in sich geschlossen ist (Zertifikate nur in der Schweiz handelbar), handelt es sich um ein sehr zielgenaues Instrument.

Der Markt macht den Preis für die Gutschriften, die Souveränität der Konsumenten ist gewährleistet.

Handelbare Verbrauchsgutschriften funktionieren über die gesamte Neuwagenflotte hinweg, unabhängig von den Reduktionszielen betreffend CO2-Ausstoss.

Die Schweizer Regierung kann das neue Instrument aufgrund des Energiegesetzes sofort einsetzen. Ein neues Gesetz ist nicht nötig.

Der Vorschlag der Umweltverbände stösst beim Touring-Club der Schweiz (TCS) auf taube Ohren.

Verbrauchssenkungen seien zwar gut, es dürfe aber keinen schweizerischen Alleingang geben, schreibt der TCS in einer Reaktion.

Als verbindliche Richtschnur diene der EU-Absenkungspfad, wonach im Durchschnitt der CO2-Ausstoss von Neuwagen 130 Gramm pro Kilometer nicht überschreiten dürfe.

Kritik kommt auch von auto-schweiz: Handelbare Verbrauchsgutschriften kommen für die Vereinigung der Automobil-Importeure “in dieser Form” nicht in Frage.

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