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Mit Wallenstein-Literatur im Rucksack

Keystone

Golo Mann hatte im Tessiner Onsernonetal ein Ferienhaus. Das Museo Onsernonese in Loco erinnert zum 100. Geburtstag mit einer Ausstellung an den Historiker und Schriftsteller, der stets im Schatten seines berühmten Vaters Thomas Mann stand.

Es muss nicht einfach gewesen sein, als Sohn von Thomas Mann auf die Welt gekommen zu sein.

Das jedenfalls machen die Lebensläufe deutlich, die Golo Mann selber verfasst hat. In der Ausstellung “Geschichte und Geschichten” sind drei Curricula Vitae zu sehen.

“Golo Mann was born as a son”, steht im ersten, auf Englisch verfassten Lebenslauf, in dem Golo Mann über sich in der dritten Person schreibt. “Golo Mann wurde als Sohn geboren.”

Tatsächlich folgte der 1909 in München geborene Golo – eigentlich Angelus Gottfried Thomas – als drittes Kind auf die älteren Geschwister Klaus und Erika.

In seinen Tagebüchern äusserte sich Thomas Mann nicht gerade freundlich über seinen Sprössling Golo im Kindesalter: “Golo, mehr und mehr problematischer Natur, verlogen, unreinlich und hysterisch, reizt Katja sehr und war mittags und abends in Strafe.”

Auf den Spuren der Eltern

Golo Mann litt unter der Familie. Und er war froh, als er das Internat Schloss Salem am Bodensee besuchen konnte. Sein Reifezeugnis von 1927 (in der Ausstellung leider nur als Kopie zu sehen) zeigt klar auf, wo seine Fähigkeiten lagen: Deutsch und Geschichte “sehr gut”; Physik und Mathematik “hinlänglich.”

Golo Mann studierte dann beim berühmten Philosophen Karl Jaspers in Heidelberg, doch die Tage in Deutschland waren gezählt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlässt Golo Mann Deutschland in Richtung Frankreich, später folgt er den Eltern in die USA und tritt sogar in die amerikanische Armee ein.

Nach dem Krieg übersiedelt Mann 1958 in das Elternhaus in Kilchberg bei Zürich. Zehn Jahre später wird er Bürger dieser Gemeinde und damit schweizerischer Staatsbürger.

Tessiner Dreigestirn

1961, noch während er in Stuttgart als Professor für politische Wissenschaften tätig ist, kauft Golo Mann in Berzona im Onsernonetal ein Ferienhaus für 61’000 Franken – hoch über dem Dorf gelegen. Die früher erworbenen Alpen Sassello und Mataruc nutzte er nie und verkaufte sie wieder.

Berzona wurde für Golo Mann zu einer zweiten Heimat. “Mein Dreizimmerhäuschen in Berzona in der Schweiz, das liebe ich, da mache ich jede Ecke allein sauber”, erzählte er einst einem Reporter und verwies gleich noch auf “die billigen Teppiche”.

In Berzona wohnten zudem andere Geistesgrössen, die das einfache Dorf zu einer kleinen intellektuellen Oase machten. Der Schriftsteller Max Frisch hatte sich dort ein Refugium geschaffen (und durch den Bau eines Schwimmbads den höher wohnenden Bewohnern offenbar das Wasser abgegraben), genauso wie der Schriftsteller Alfred Andersch.

Wandern mit Max Frisch

Durch diese räumliche Nähe kam es zu aussergewöhnlichen Begegnungen. So machten sich Mann und Frisch am Sonntagmorgen, 21. August 1968, zu einer Wanderung ins Verzasca-Tal auf.

“Wasserfälle, Kastanien-Wald, Schluchten, Idyll mit zerfallenen Hütten ohne Menschen, Stein-Stille, (…), Gegenwart mit einem Historiker”, notiert Max Frisch dazu in seinem Tagebuch. Im Gepäck war ein Transistorradio, das sie über den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag informierte. Der Prager Frühling war niedergeschlagen.

Mit Andersch gingen die Wege eindeutig auseinander, wie einige Dokumente in der Ausstellung aufzeigen. Alfred Andersch spricht 1979 in einem Brief zum 70. Geburtstag von Golo Mann von einem “politischen Graben”.

Wallenstein im Rucksack

Golo Mann war zu diesem Zeitpunkt schon längst als Historiker und Schriftsteller anerkannt. 1971 hat er seine überaus erfolgreiche Wallenstein-Biografie publiziert.

Ein Teil dieses Wallensteinbuches ist in Berzona entstanden. Zumindest sagt Golo Mann mit Verweis auf sein Refugium: “Und im Rucksack schleppte ich die Bibliothek, vor allem die Wallenstein-Literatur, dort hinauf.”

Zu seiner Biographie über Wallenstein, den Oberbefehlshaber der kaiserlichen Streitkräfte im Dreissigjährigen Krieg, sagte Golo Mann später (1987): “Es war das Projekt meines Lebens, während vieler Jahrzehnte geplant, noch zur rechten Zeit durchgeführt. Heute könnte ich es nicht mehr.”

Gerhard Lob, Loco, swissinfo.ch

27. März 1909: geboren als drittes Kind von Katja und Thomas Mann in München

1929-1932 Studium Geschichte, Philosophie und Latein in Heidelberg

1933 Staatsexamensarbeit zur Geschichte der Wallenstein-Forschung

1933 Golo Mann verlässt Deutschland

1942-43 Professor für Geschichte am Oliver College, Michigan (USA)

1943-46 Eintritt und Dienst in der US-Armee

1955 Tod von Vater Thomas Mann

1958 Übersiedlung nach Kilchberg bei Zürich

1961 Bau des Ferienhauses in Berzona

ab 1964 freier Historiker und Schriftsteller

1966-67. Zusammenarbeit mit Willy Brandt

1980-1981: Einsatz für Franz Josef Strauss in der Bundestagswahl

7.April 1994: Golo Mann stirbt in Leverkusen; beigesetzt wird er in Kilchberg, aber abseits der Familiengruft

Mit zwei Millionen verkauften Büchern gehörte er zu den erfolgreichsten Historikern seiner Zeit.

Die Ausstellung “Golo Mann: Geschichte und Geschichten” im Museo Onsernonese in Loco ist bis 31. Oktober zu sehen. Zweisprachig Deutsch/Italienisch. Öffnungszeiten: Mi-So, 14-17 Uhr

Eine Ausstellung über Golo Mann zeigt auch das Buddenbrookhaus in Lübeck: “Golo Mann. Die Geschichte”, 6. September 2009 – 22. November 2009

Im Frühjahr 2009 widmete das Schwulen-Museum in Berlin Golo Mann eine Ausstellung mit dem Titel “Zwischen allen Stühlen”. Seine homoerotischen Neigungen waren bekannt, doch erst spät bekannte sich Mann zur Homosexualität.

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