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Mitten in der Fiesta – mitten im Leben

Nicolas und Irene Zaccardo-Amgarten auf der Veranda - ihrem Ganzjahres-Freiluft-Wohnzimmer. swissinfo.ch

Irene und Nicolas Zaccardo-Amgarten gehören in La Nucia zur Dorfgemeinschaft wie die Fiesta zur Dorfkultur. Und sind damit Ausnahmen.

Die beiden ehemaligen Angestellten aus dem Gastgewerbe haben an der Costa Blanca echte Lebensqualität gefunden. Diese aber kommt nicht von ungefähr.

Sonne und frische Luft von morgens bis abends: Die Terrasse ist das ganzjährige Freiluft-Wohnzimmer von Irene und Nicolas Zaccardo-Amgarten. Dort tischt die vife 72-jährige, ehemalige Kellnerin aus der Ostschweiz, dem Gast eigene Feigen, Käse und selbstgebackenes Brot auf. Dazu schenkt sie ein sauserähnliches Getränk ein, eine Spezialität der Gegend.

Einfach, ehrlich, frisch und gesund: Wie das Mahl, so die beiden Menschen. Dann der Garten als weiteres Sinnbild. Neben Zitrus-, Oliven- und Mispelbäumen sind ihr Stolz vor allem die rund 300 Kakteen. Wie das üppige Grün der Kakteen blühen auch Irene Zaccardo und ihr aus Sizilien gebürtiger, 59-jähriger Ehemann unter der Sonne Spaniens auf.

Es ist die Geschichte von zwei Menschen, die in den Hügeln La Nucias ihr Glück gefunden haben. Und das nicht als ewige Zuzüger aus der Fremde, sondern als Einheimische. “Wir sind voll in das Dorfleben integriert”, sagt Irene Zaccardo.

Ihre Erkenntnis: “Man muss mitmachen und Spanisch sprechen, dann nehmen einem die Einheimischen sehr gut auf.” Für Irene Zaccardo ist selbstverständlich, dass sie ihren neuen Freunden und Bekannten auch wieder etwas zurückgibt. So erteilt sie Frauen aus dem nahegelegenen Dorf La Nucia Patchwork-Kurse.

Im Auftrag der Sozialbehörde vermittelt sie ferner Kleider und Möbel, die ausländische Residenten nicht mehr benötigen, an Bedürftige weiter. Irene Zaccardo ist auch im Vorstand der “Jubilados y Pensionistas”, dem örtlichen Verein für Seniorenaktivitäten.

Nicht zuletzt bildet das Ehepaar die verlässliche “eiserne Reserve” der Gemeindeverwaltung, wo die zwei im Büro anpacken, wenn ausserordentliche Arbeiten anstehen. Wie jüngst beim Grossversand, als die Behörde alle Einwohner über die Eröffnung der neuen Sportanlagen informierte.

Die “Alten” als junge Fussball-Spieler

Bei der Arbeit dabei, bei der “Fiesta Padronales” mitten drin: Beim fünftägigen Karneval im August, dem gesellschaftlichen Höhepunkt im Dorfleben, sind Irene und Nicolas Zaccardo-Amgarten jeweils nur zum Schlafen zuhause. Mit der so genannten Penya “El Bó y el Millor”, der Clique der “Guten und der Besseren”, feiern sie fünf Tage und lange Nächte auf den Strassen und in den Dorfbeizen. “Da wird gelacht, gegessen und getrunken, Musik gemacht und getanzt, kurz: Die Leute sind einfach lustig drauf”, schildert sie.

Dieses Jahr sind “Die Guten und die Besseren” als Fussballerinnen und Fussballer durch die Gassen gezogen, in den orange-schwarzen Original-Tenues des Dorfvereins von La Nucia. “Wir haben während des Umzugs unablässig Bälle hin und her gespielt und auf ein Tor geschossen, das mein Mann gebastelt hatte”, erzählt Irene Zaccardo.

Von staubiger Provinz zum Garten Eden

Das spanische Abenteuer von Irene und Nicolas Zaccardo-Amgarten hatte von Anfang an unter einem guten Stern gestanden. Ihr äusserst bescheidenes Budget – sie arbeitete damals im Service, er als Koch – wurde ironischerweise zu ihrem Glück: Es reichte 1972 nur zu einem 800 Quadratmeter grossen Grundstück mitten im Wald, erschlossen nur mit einem holprigen und staubigen Karrenweg.

Heute gehört das kleine Häuschen darauf zwar zur Urbanisation Panorama, doch versteckt das üppige Grün die Nachbarhäuser auf fast wundersame Weise. Und die Sicht Richtung Sonne und Meer bleibt dank der Hanglage frei.

Sprache, der Schlüssel zu den Einheimischen

Sprachbarrieren, für Zaccardo-Amgartens ein unbekanntes Wort. Sofort nach dem Kauf des Bodens 1972 nehmen beide Spanisch-Stunden. 1990, als sie ihr Ferienhaus zum ganzjährig bewohnten Domizil machen, folgen intensivere Kurse. “Wer die Sprache nicht spricht, lebt hier im Ghetto”, so das Fazit von Irene Zaccardo. “Aber wer sich abkapselt, lebt auch in der Schweiz im Ghetto.”

Als reiche den Beiden Spanisch allein noch nicht aus, lernen sie jetzt noch “Valenciano”, den regionalen Dialekt. “Sehr schwierig zum Sprechen”, räumt Nicolas Zaccardo ein, “aber ich verstehe immerhin schon die Nachrichten am Fernsehen.”

Ansteckende Lebensfreude

Die Beiden nutzen auch begeistert das gute und vielseitige Angebot für den “Tercera Edad” (“drittes Alter”), das der spanische Staat seinen Senioren bereit stellt: Reisen und Ausflüge, Vereinsaktivitäten, Konzerte, Theater, Kino-Vorführungen, Vorträge und Kuraufenthalte. “Praktisch jeden Monat gibt es auch einen Ball, wo getanzt wird – die Leute hier haben eine unheimliche Lebensfreude!”, strahlt Irene Zaccardo.

Sollten aber Häuschen und Garten dann doch einmal zu viel werden, ist für sie klar, dass sie ins Altersheim in La Nucia übersiedeln werden.

Zaccardo-Amgartens gehören zwar zum “Tercera Edad”, aber noch lange nicht zum alten Eisen. “In Spanien gibt es alte Möbel und alte Kleider, aber keine alten Leute”, zitiert Irene Zaccardo augenzwinkernd ein Sprichwort.

swissinfo, Renat Künzi, La Nucia.

2004 lebten in Spanien 21’500 registrierte Schweizer, davon rund 7500 in Madrid und 4800 an der Costa Blanca.
Ihre Zahl ist aber um einiges höher, da viele bei den Behörden nicht angemeldet sind.
Die Anfänge der Schweizer-Migration gehen auf Ende der 1970er-Jahre zurück.

1972: Zaccardo-Amgartens kaufen bei La Nucia ein Grundstück, auf dem sie ein kleines Ferienhaus bauen lassen. Kosten: 52’000 Franken.

1980er-Jahre: Entschluss zur definitiven Übersiedelung nach Spanien.

1990: Nach mehreren Jahren harter Arbeit ohne Ferien wird das Ferienhaus zum Dauerheim.

Von Anfang an haben sich Zaccardo-Amgartens bei den spanischen Behörden als Residenten angemeldet.

Der Draht in die Schweiz ist nach wie vor sehr gut: Sie haben einen engen Kontakt zu den beiden Kindern (aus Irene Zaccardos erster Ehe), Enkelkindern und vielen Freunden und Bekannten.

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