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Mitten in Kreuzberg zwischen den Welten

Virtuose auf dem Chapmann-Stick: Hans Hartmann Bild. swindia

Einst zog er weg aus der schweizerischen Enge in die weite Welt, genauer nach West-Berlin. Dort lebt der Schweizer Jazzmusiker Hans Hartmann noch heute.

Hartmann pendelt im Kreuzberg zwischen den musikalischen Welten der Einwanderer aus Asien, Osteuropa, Afrika und Südamerika.

Als er vor 40 Jahren nach Berlin kam, da trug er Krawatte und kurze Haare. “Das hatte aber bald ein Ende”, erzählt der Musiker. “Ich habe die Beatles zuerst verschlafen, später haben sie aber auch mich beeinflusst.”

Hartmann ist in den Schweizer Tälern und Sprachregionen aufgewachsen. Zusammen mit drei Geschwistern wechselte er “ungefähr alle vier Jahre” den Wohnort. “Das schien so eine Art Lebenskonzept meiner Eltern gewesen zu sein.”

An der Kantonsschule Sankt Gallen begann er traditionellen Jazz zu spielen. “Dark Town Strutters” hiess die Schulband. Sie spielte Stücke von Chris Barber. Eines Tages hatten die “Strutters” einen Auftritt in Zürich. Dafür schwänzten sie die Schule.

Hartmann wurde noch vor der Matura “unehrenhaft entlassen” und zog nach Zürich. Dort besuchte er das Konservatorium, wurde als bester Jazzbassist der Schweiz ausgezeichnet und erklärte die Musik zu seinem Beruf.

Endstation Kurfürstendamm

Heimat der Zürcher-Szene war damals das legendäre “Africana”. Hartmann begleitete den Blues-Sänger Champion Jack Dupree und spielte in einer Band um den Vibraphonisten Remo Rau.

1967 war Schluss für das “Africana”. Hartmann, der Pianist Marcel Bernasconi und der Schlagzeuger Beat Kennel tourten mir einem VW-Bus durch Europas Norden.

Berlin war Endstation. Am Kurfürstendamm spielte ein Vibraphonist. Der Schweizer fragte den Amerikaner, ob er einsteigen könne. Er konnte und spielte jeden Abend im gleichen Club. Nach vier Monaten hatte er genug und stieg aus.

Rock-Abenteuer mit “Guru Guru”

Ausgestiegen ist Hans Hartmann 1974 auch bei der Kult-Rockgruppe “Guru Guru”. “Wir waren viel unterwegs, lebten im Odenwald in einer Kommune und spielten auf den Festivals immerzu dieselben Stücke.”

Der Kontrabassist stieg “von einem Tag auf den andern auf Bassgitarre um. Anderthalb Jahre blieb er dabei. “Je besser ich das Instrument spielen lernte, desto weniger hat es mir gefallen.”

Hartmann kehrte zum Jazz zurück, spielte mit polnischen Musikern und begleitete US-Stars auf ihren Tourneen.

“Irgendwann hatte ich die Nase voll, ohne Proben immer dieselben Standards zu spielen.” Er reiste 1979 nach New York, kaufte sich einen Chapman-Stick und fing an in verschiedenen Projekten seine eigenen Ideen umzusetzen.

Gleichzeitig war er jahrelang Mitglied in der Band des Liedermachers Hannes Wader. “Ich war der einzige, der zu den Liedern auch improvisieren durfte.”

Allein erziehender Vater

Er heiratete eine Bühnenbildnerin. 1983 verunglückte die Mutter des gemeinsamen zweieinhalb-jährigen Kindes bei einem Arbeitsunfall tödlich.

“So lange unser Sohn nicht zur Schule ging, nahm ich ihn auf die Tourneen mit. Nachher war ich während Jahren an einen Ort gebunden.”

Heute lebt Hartmann noch immer in Berlin-Kreuzberg, dem multikulturellen Quartier, das bis vor einigen Jahren auch das Zentrum der Westberliner Alternativszene war.

“Jetzt hat sich die Szene verschoben. Viele Leute sind in die billigeren ehemaligen Ost-Quartiere umgezogen. Dort und in der Mitte gibt es auch die neuen Musik-Clubs. Ich gehe jetzt nicht mehr in jeden neuen Club, um dort die ganze Nacht zu spielen. Das schaffe ich nicht mehr.”

Mit den Jahren hat sich Hans Hartmann in Deutschland und in Polen einen Namen gemacht als Bassist, aber auch als Virtuose auf dem Chapmann-Stick, einer zwölfsaitigen Kombination aus Gitarre und Bass.

Vom Jazz zur Worldmusic

Seine Partner sind heute eher World- denn Jazzmusiker. Hans Hartmann spielt in Duos mit einem indischen Flötisten, einem griechischen Schlagzeuger, einem koreanischen Gitarristen, einem türkischen Percussionisten oder einem italienischen Akkordeonisten.

Mit diesen, seinem alten Kumpel, dem US-Songwriter Jesse Ballard, und einer Berliner Rock-Band tritt er mal in Berlin, mal in Rostock oder in Polen auf.

“Jetzt bin ich daran, wieder eine eigene Band zusammenzustellen. Mit 65 ist es Zeit, dass ich eigene Kompositionen spiele. Meine Musik ist eine Mischung aus Jazz, afrikanischer, orientalischer und südamerikanischer Musik.”

Hartmann liebt den multikulturellen Kosmos, die Offenheit im Quartier: “Kürzlich war ich einmal in der Schweiz. Da hat es mir nicht besonders gefallen und ich habe gemerkt, wie stark ich mein Schweizerdeutsch verloren habe.”

swissinfo, Andreas Keiser, Berlin

1942 in der Schweiz geboren.

1960-1967 in Zürich. Bassist von Champion Jack Dupree und in einem Septett mit u.a. Remo Rau, Jürg Grau, Peter Candiotto.

1968: Anstellung als Hausbassist am Schauspielhaus Hamburg in einem Sextett mit u.a. Hans Koller, Frank St. Peter und Peter Herbolzheimer.

1968 erste eigene Gruppe mit Udo Lindenberg am Schlagzeug.

1973: Mitglied der deutschen Rockband “Guru Guru” mit Mani Neumeier und Ueli Trepte.

1976: Tourneen und Plattenaufnahmen mit dem polnischen Trompeter Tomasz Stanko und dem Geiger Zbnigniew Seiffert.

1984: Gründung der Gruppe “Stickstoff”.

1993: Mitgründer der Gruppe “For Free Hands”.

2004: CD mit Jesse Ballard “Taklin’to the Rain”.

2004: Konzerte im Iran mit dem iranischen Percussionspieler Pezhham Akhavass.

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