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Mohammed-Karikaturen: Mehr Ruhe bewahren

Schweizer Zeitungen zum Thema der umstrittenen Karikaturen. swissinfo.ch

Der international renommierte Schweizer Presse-Karikaturist Chappatte äussert sich zur Affäre der 12 dänischen Karikaturen des Propheten Mohammed.

Im Gespräch mit swissinfo betont Chappatte die absolute Wichtigkeit der Meinungsfreiheit, rät aber gleichzeitig zu mehr Dialog-Bereitschaft statt Prinzipienreiterei.

swissinfo: Was ist Ihre Reaktion auf die Ausweitung der Spannungen in der Affäre der umstrittenen Mohammed-Karikaturen, die zuerst in einer dänischen Zeitung publiziert worden waren?

Chappatte: Das hat mich aus der Fassung gebracht. Und ich bin betrübt. Und zwar, weil wir uns in einer Situation befinden werden, wo es sogar Tote geben könnte, wenn es so weitergeht. Denn leider geht es nicht mehr länger “nur” um eine Debatte zur Meinungsäusserungs-Freiheit.

Meiner Ansicht nach braucht es dringend eine Beruhigung, diese Debatte muss ausgesetzt werden – es ist schmerzhaft, das zu sagen -, und wir müssen versuchen, einen wahren Dialog aufzunehmen.

swissinfo: Zahlreiche europäische Zeitungen, darunter auch solche in der Schweiz, haben einige der Karikaturen abgedruckt. Was sagen Sie dazu?

C.: Meine Reaktion ist ambivalent. Einerseits muss man den Inhalt der Diskussion genau sehen. Man muss wissen, wovon man spricht, also ist es wichtig, die Karikaturen anzuschauen, um sich eine Meinung davon bilden zu können. Das ist das rationelle Argument.

Die Realität ist aber so, dass jede Publikation etwas entzündet, das ausser Kontrolle gerät. Die Situation ist explosiv. Man sollte sie nicht noch weiter anheizen.

swissinfo: Für Sie geht es also um mehr als um die Meinungsäusserungs-Freiheit?

C.: Diese Debatte werden wir haben. Aber man sollte nicht auf der Position der absoluten Prinzipien verharren. Es gibt ein enormes gegenseitiges Unverständnis.

Für mich als Pressekarikaturist ist die Meinungsfreiheit unverzichtbar. Und im Islam ist die Abbildung des Propheten Mohammed absolut verboten, was ebenso unverzichtbar ist.

swissinfo: Erlaubt uns die Meinungsäusserungs-Freiheit, ein solches Tabu zu brechen? Würden Sie es tun?

C.: Das Problem stellt sich so nicht. Ich bin nicht Muslim und niemand kann mich daran hindern, Mohammed in einer Karikatur darzustellen, die mir am Herzen liegt und mit der ich etwas aussagen will. Das ist meine Position.

Die Motive hinter den dänischen Karikaturen hingegen sind zweifelhaft. Mohammed kommt dort nicht als karikierte Figur vor. Das Ziel bestand darin, ihn zu zeichnen, weil es eben verboten ist.

Es ist, wie wenn man dem Muslimen gesagt hätte: “Schaut, das hier ist Euer Tabu! Ich hingegen kann damit machen, was ich will.” Das ist natürlich eine Provokation.

Persönlich interessiert es mich nicht, der Provokation wegen zu provozieren. Die Karikatur ist ein Mittel. Aber ein Mittel, das mit Vorsicht eingesetzt werden will. Ich finde es ein wenig billig, einfach seine Freiheit auf dem Rücken Dritter zu testen.

swissinfo: Ganz generell, gibt es eine Tendenz hin zu einer verstärkten Einmischung von religiösen Kreisen in die Presse?

C.: In Europa haben wir bei religiösen Themen einen grossen Grad an Freiheit erreicht. Antiklerikale Karikaturen haben eine lange Tradition. Hier sehe ich keinen Rückschritt.

Wenn Sie etwa eine Karikatur über den kranken Papst veröffentlichen, dann gibt es immer Reaktionen wie Abonnements-Abbestellungen. Aber das war immer so. Ich bin eigentlich erstaunt, dass sich die katholischen Fundamentalisten noch nicht in die aktuelle Debatte eingemischt haben und argumentieren: “Es wäre jetzt eigentlich der Moment, mit den Beleidigungen gegen uns aufzuhören.”

Von Seiten der Juden hört man ja von Zeit zu Zeit das unredliche Argument, Karikaturen gegen Israel seien antisemitisch. Aber das ist eine politische Frage.

swissinfo: Auch im muslimischen Fall der Karikaturen gibt es politischen Missbrauch…

C.: Natürlich. Im muslimischen Fall war die Frage der Nichtabbildung von Mohammed bis dahin nicht polemisch. Es gab schon Zeichnungen von Mohammed in der Presse, die keine derartigen Reaktionen ausgelöst haben.

Aber diesmal haben verschiedene Länder die Affäre sehr schnell auf widerliche Art und Weise missbraucht. Es enttäuscht mich, wenn sogar gewisse muslimische Eliten so tun, als ob sie nicht unterscheiden könnten zwischen einem dänischen Karikaturisten und dem ganzen Land, ja der ganzen Europäischen Union. Diese Leute praktizieren eine unredliche Gleichsetzungspolitik.

swissinfo-Interview: Bernard Léchot

Die Karikaturen von Patrick Chappatte werden in der Westschweizer Zeitung Le Temps, in der NZZ am Sonntag sowie in der International Herald Tribune publiziert.

Früher war Chappatte auch als Illustrator für die Literaturbeilage der New York Times tätig.

Er hat auch mehrere Sammlungen mit Karikaturen sowie “gezeichnete Reportagen” veröffentlicht.

Die 12 umstrittenen satirischen Karikaturen mit dem Titel “Die Gesichter Mohammeds” waren am 30. September letzten Jahres von der dänischen Tageszeitung “Jyllands Posten” veröffentlicht worden.

Darauf hatte es verschiedentlich Proteste gegen die Publikation und gegen dänische Interessen gegeben.

In den vergangenen Tagen nahm die Affäre nun internationale Ausmasse an. So verurteilten die Innenminister der Arabischen Liga “die Beleidigung des Islam und des Propheten, die in der dänischen Presse veröffentlicht wurden”.

Mittlerweilen haben verschiedene europäische und Schweizer Zeitungen gewisse der umstrittenen Karikaturen ebenfalls publiziert.

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