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Mongolischer Parlamentarier bleibt trotz Verurteilung in der Schweiz im Amt

Parlamentswahlen in der Mongolei im Juni 2020.
Ein mongolischer Wähler in einem Wahllokal in Ulaanbaatar während der Parlamentswahlen im Juni 2020. Keystone / Byambasuren Byamba-ochir

Im Juni verurteilte das Schweizer Bundesstrafgericht einen mongolischen Unternehmer und Parlamentarier wegen Urkundenfälschung in einem mutmasslichen grossen Korruptionsfall. Ein Jahr zuvor, am Vorabend seiner Wiederwahl, hatte er die Berner Justiz um die Zensur eines Artikels über dieses für ihn peinliche Schweizer Verfahren gebeten.

Borkhuu Delgersaikhan sitzt im Grossen Staats-Chural, dem Parlament der Mongolei, als wäre nichts gewesen. Doch 6875 Kilometer entfernt hat ihn das Bundesstrafgericht in Bellinzona gerade wegen Urkundenfälschung in einem mutmasslichen grossen Korruptionsfall verurteilt.

“Borkhuu Delgersaikhan benimmt sich jetzt wie ein patriotischer und unschuldiger Politiker”, bemerkt ein mongolischer Bürger*. Die demokratische Situation hat sich in seinem Land in den letzten Jahren so stark verschlechtert, dass dieser seinen Namen nicht nennen möchte.

Delgersaikhan war seit 2016 Ziel von Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, die ihn verdächtigte, den ehemaligen Finanzminister von Ulaanbaatar, Sangajav Bayartsogt, im Zusammenhang mit der Vergabe eines Bergbauauftrags bestochen zu haben.

45 Millionen Dollar bei der UBS

Als damaliger Chef des Bergbauunternehmens Boldtumur Eruu Vol LLC erhielt Delgersaikhan in den Jahren 2007 und 2008 vom chinesischen Geschäftsmann Xiaoming Li 45 Millionen Dollar auf ein persönliches Konto bei der Schweizer Grossbank UBS in Zürich einbezahlt, um die Bergbauaktivitäten zu finanzieren.

Delgersaikhan zahlte dann fünf Millionen Dollar dieses Geldes an Bayartsogt auf ein Konto bei der Credit Suisse.

Die Affäre kam 2013 ans Licht: Die “Offshore Leaks” deckten die Existenz des Schweizer Kontos des Ministers auf. Erst drei Jahre später entschloss sich die Credit Suisse, ihren Kunden bei der Meldestelle für Geldwäscherei zu denunzieren, was die Eröffnung einer Bundesuntersuchung gegen den ehemaligen Minister und seinen Unternehmerfreund zur Folge hatte.

Im März 2018 hatte das Bundesgericht die Beschlagnahmung von 1,85 Millionen Dollar aus dem UBS-Konto von Delgersaikhan bestätigt, wie Gotham City damals berichtete.

Parallel zu den Schweizer Ermittlungen wurde der ehemalige Finanzminister Bayartsogt auch in der Mongolei angeklagt. Der Status des Verfahrens gegen ihn in Ulaanbaatar bleibt jedoch unklar.

Vorzensur

Diese Affäre hinderte die beiden Männer nicht daran, sich bei den Parlamentswahlen am 24. Juni 2020 in der Mongolei erneut zur Wahl zu stellen. Vor allem Delgersaikhan versuchte alles, um die Affäre zu vertuschen. Das Problem war nur: Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft schritten voran und drohten nur wenige Monate vor den Wahlen zu enden.

Im April 2020 erliess die Bundesanwaltschaft gegen Delgersaikhan einen Strafbefehl wegen Fälschung. Der Beschuldigte erhob sofort Einspruch und verlangte damit einen Entscheid des Bundesstrafgerichts.

Am 19. Juni 2020, fünf Tage vor den Wahlen in der Mongolei, stellte Delgersaikhan einen Antrag auf superprovisorische Massnahmen, um die Veröffentlichung eines Artikels von Gotham City über den Fall auf SWI swissinfo.ch zu untersagen.

Delgersaikhans Züricher Anwalt bat darum, die Identität seines Mandanten nicht zu veröffentlichen, auch nicht in Form von Initialen. “Es gibt kein überwiegendes öffentliches Interesse, das eine solche Veröffentlichung rechtfertigen könnte”, so der Anwalt in seinem Antrag weiter.

“Die Informationen entsprechen nicht einem legitimen Bedürfnis, die Öffentlichkeit zu informieren. Selbst das Recht auf freie Meinungsäusserung berechtigt nicht zu solch eklatanten Verletzungen der persönlichen Integrität.”

Der Antrag wurde vom Gericht abgelehnt, welches das öffentliche Interesse an dem Strafverfahren gegen den mongolischen Politiker anerkannte.

Mehr

Wiederwahl im Jahr 2020

Der Artikel erschien auf SWI swissinfo.ch am Vorabend der Wahlen, übersetzt in fünf Sprachen. Am nächsten Tag wurde Delgersaikhan in seinem Amt als Vertreter der Provinz Ostgobi wiedergewählt.

“Gleich nach der Veröffentlichung, als die Leute anfingen zu rebellieren, gab Delgersaikhan eine Pressekonferenz, um zu sagen, dass all diese Geschichten Lügen seien”, sagt der mongolische Bürger. “Deshalb ist die Veröffentlichung des Schweizer Urteils sehr wichtig.”

In seinem Urteil vom 11. Juni 2021 befand das Bundesstrafgericht Delgersaikhan der Urkundenfälschung für schuldig. Er hatte sein persönliches Konto für den Erhalt der 45 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, während diese Gelder eigentlich der Firma Boldtumur gehörten.

Hinsichtlich der dem Geschäftsmann vorgeworfenen Korruptions- und Geldwäschehandlungen ist die Bundesanwaltschaft der Ansicht, dass diese Vorwürfe nicht weiterverfolgt werden können und fallen gelassen werden müssen. Sie hat ausserdem einen Teil der vormals beschlagnahmten 1,85 Millionen wieder frei gegeben.

Der gewählte Vertreter des Grand Khoural erhielt eine Geldstrafe von 300’000 Franken auf Bewährung und wurde zur Zahlung von 31’000 Franken Gerichtskosten verurteilt. Diese Summe wird von den 1,85 Millionen abgezogen, die noch bei der UBS liegen. Der Rest wird an ihn zurückgegeben. Sein Schweizer Anwalt hat unsere Fragen nicht beantwortet.

Gegen Bayartsogt wurde am 10. Juni 2020, also zwei Wochen vor den Wahlen, ebenfalls ein Strafbefehl der Bundesanwaltschaft erlassen, in dem er wegen Urkundenfälschung verurteilt wurde. Er hat sich nicht dagegen gewehrt und wurde nicht wiedergewählt.

*Name der Redaktion bekannt

Gotham CityExterner Link wurde von den investigativen Journalisten Marie Maurisse und François Pilet gegründet und ist ein Newsletter zum Thema Wirtschaftskriminalität.

Es berichtet ihren Abonnenten jede Woche über Betrugsfälle, Korruption und Geldwäscherei im Zusammenhang mit dem Finanzplatz Schweiz, und zwar auf der Grundlage von Gerichtsdokumenten mit öffentlichem Zugang.

Jeden Monat wählt Gotham City einen seiner Artikel aus, ergänzt diesen und bietet den Lesern von swissinfo.ch freien Zugang.


In Reaktion auf eine Beschwerde des Anwalts von Borkhuu Delgersaikhan wurde dieser Artikel gegenüber einer früher publizierten Version um einen Abschnitt ergänzt. Delgersaikhan legt insbesondere Wert auf den Hinweis, dass die Bundesanwaltschaft die Korruptionsvorwürfe gegen ihn nicht weiterverfolgt.

(Aus dem Französischen Übertragen von Jonas Glatthard) 

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