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Morgestraich, vorwärts marsch!

Der Stolz jeder Clique: Die Laterne ist Resultat tagelanger Arbeit und zeigt das Sujet der Clique. Keystone

Der Basler unterscheidet sich von den anderen Schweizern. Und an der Fasnacht wird dieser Unterschied besonders augenfällig.

Des Baslers Fasnacht zu erklären bedarf einer Beschreibung seines Grundcharakters: Der Charakter des Baslers ist widersprüchlich. Er besteht aus einer netten Mischung von Bescheidenheit und Eitelkeit. Kurz und spitz: Er ist eitel bescheiden.

Die Fasnacht der Basler ist, im Gegensatz zu der “rüüdig guete” Fasnacht in Luzern oder der närrischen Fasnacht in Bern, eine ernste Angelegenheit. Narren sind nicht in Basel zu finden.

“In ihrer luxuriösen Vielfalt, im Überfluss ihrer Farben hat diese Fasnacht sogar etwas Melancholisches”, schreibt der Walliser Journalist Guy Curdy, der seit Jahrzehnten in Basel lebt. “Sie ist fast bis ins letzte Detail geregelt und organisiert.”

Da ist der Morgestraich. Vor diesem Straich macht man keinen Lärm. Man huscht durch die Gassen, die Larve im Arm, die Trommel an der Schulter, das Piccolo in der klammen Hand. Es ist kalt. Die einzigen Geräusche sollten das Rascheln des Kostüms sein und der Hall der Schritte in den Gassen Basels.

Schlag vier Uhr morgens gehen die Lichter aus. Die zwei schönsten Stunden der drei schönsten Tage des Basler Jahres beginnen. Trommelwirbel zerreissen die angespannte Stille, Piccolos jubilieren. Aus den Gassen erhebt sich ein musikalisches Durcheinander.

Tausende von Zuschauerinnen und Zuschauern werden verzaubert, aber wehe man ist am Strassenrand geschminkt. In Basel trägt man Larven. Keine Masken, Larven. Und die setzt ein Trommler, eine Pfeifferin nur auf Geheiss des Tambourmajors ab.

Der Junge, dessen Trommel fast am Boden schleift, winkt seiner Schwester, seiner Grossmutter, seinem Vater nicht zu, wenn er sie am Strassenrand irgendwo erkennt. Es gehört sich nicht.

Strikte wiegt sich die Clique im Gleichschritt durch die Menge. Die Übergänge der gespielten Stücke sind nahtlos, Spickzettel mit deren Reihenfolge darauf nicht sichtbar zu sehen und eigentlich auch verpönt.

Ohne Cliquen könnte die Fasnacht in ihrer Form nicht bestehen. Es sind die Cliquen, die das Pfeifen und Trommeln unterrichten, sich jährlich ein neues Sujet ausdenken, Laternen bemalen und vor allem die Jungen zu richtigen Fasnächtlern ausbilden. Was man an der Fasnacht sieht, ist die Spitze des Eisbergs.

Da ist zum Beispiel das “Ypfyffe”: Den Piccolos kommt die Ehre zuteil, die Laterne am Sonntag musikalisch zum Abmarschplatz der Clique zu geleiten. Die Laterne selbst ist noch verdeckt, um das Sujet bis zum allerletzten Moment geheim zu halten. Ihr Geheimnis wird oft erst Streich vier Uhr Montagmorgen gelüftet.

Der Dienstag der Basler Fasnacht gehört den Kindern und den Guggemusige. Die puritanischen Fasnächtler rümpften anfangs die Nase ob diesen lärmenden Gruppen. Doch heute sind sie nicht mehr von Basel wegzudenken, wenn auch eher geduldet als geliebt.

Auch die Guggen müssen sich an genaue Regeln halten, an Zonen, wo sie sich aufhalten dürfen. Cliquen, die nur aus Trommlern und Pfeiffern bestehen, meiden am Fasnachts-Dienstag diese Gebiete.

Der Dienstagabend ist der private Fasnachtsabend der pfeifenden oder trommelnden Fasnächtler. Sie streifen in kleinen Gruppen und Grüppchen durch die Gassen, verzaubern Passanten und Passantinnen mit Trommel und Piccolo und lassen sich selbst verzaubern, denn die Stimmung beim “Gässle” ist magisch.

“In den engen Strässchen kollidieren die einzelnen Melodien. Sie prallen aufeinander, sie vermischen sich, sie streicheln sich, sie verwickeln sich, sie klettern die alten Mauern empor, sie verbreiten sich über die Dächer.”, schreibt Guy Curdy.

Donnerstag. Vier Uhr morgens. Hinter dem “Schyssdräggziigli” – das Echo der letzten Piccoloklänge hallt noch in den Gassen – dröhnt die erste Putzmaschine.

“Sie sitzen auf den Treppenstufen eines Altstadtgässchens, die Larve auf den Kopf hochgeschoben, ihre Gesichter zerknittert…” Guy Curdy schreibt über die Leere danach. Die kommt so sicher, wie der nächste Morgestraich.

Rebecca Vermot

(Quelle: Guy Curdy, “Em Basler sy Fasnacht”, Buchverlag Basler Zeitung)

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