Nochmals leben
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Edelgard Clavey (29.6.1936-4.1.2004), erstes Porträt am 5.12.2003 Edelgard Clavey war Chefsekretärin in der Psychiatrischen Uniklinik. Seit ihrer Scheidung Anfang der 80er Jahre lebt sie alleine. Kinder hat sie nicht. Von Jugend an engagierte sie sich in der evangelischen Kirche. Seit einigen Wochen kann sie ihr Bett nicht mehr verlassen. "Der Tod ist eine Lebensreifeprüfung. Die muss je-der Mensch für sich alleine bestehen", sagt Frau Clavey. "Ich wünsche mir so sehr, zu sterben. Ich möchte in das große, unglaubliche Licht eingehen. Aber Sterben ist ein ganz schweres Geschäft. Der Tod hat die Herrschaft, ich kann es nicht beein-flussen. Nur warten, warten, warten. Ich habe mein Leben bekommen, ich musste es leben und gebe es wieder hin. Ich habe immer hart gearbeitet, beinahe in einem diakonischen Sinne: Armut, Keuschheit, Gehorsam. Jetzt bin ich kein Leistungsfaktor mehr. Das tut mir uner-träglich weh: Ich will nicht als Kostenfaktor auf dem Berliner Kadaverberg liegen. Ich möchte gehen, am liebsten sofort. Allzeit bereit, wie bei den Pfadfindern." (© Walter Schels) -
Maria Hai-Anh Tuyet Cao (26.8.1951-15.2.2004), erstes Porträt am 5.12.2003 Vermutlich wäre Maria Hai-Anh Tuyet Cao anders gestorben, wenn sie sich nicht mit der Lehre der Höchsten Meisterin Ching Hai vertraut gemacht hätte. Die Meis-terin spricht: "Was sich jenseits dieser Welt befindet, ist besser als unsere Welt. Es ist besser als alles, was wir uns vorstellen oder nicht vorstellen können." Frau Cao trägt das Bild der Meisterin um den Hals. Unter ihrer Führung hat sie auf dem Weg der Meditation die jenseitige Welt schon bereist. Lange kann es nicht mehr dauern, bis sie dorthin abberufen wird: Ihre Lungenbläschen zerfallen. Aber sie wirkt heiter und gelassen. "Der Tod ist nichts", sagt Frau Cao. "Ich lache über den Tod. Er ist nicht ewig. Danach, wenn wir zu Gott gehen, sind wir wunder-schön. Nur wenn wir in der letzten Sekunde noch an einem Menschen hängen, müssen wir wieder auf die Erde zurück." Jeden Tag bereitet sich Hai-Anh Cao auf diesen Moment vor. Sie will sich im Augenblick ihres Todes von allem lösen (© Walter Schels) -
Wolfgang Kotzahn (19.1.1947-4.2.2004), erstes Porträt am 15.1.2004 Bunte Tulpen stehen auf dem Nachttisch. Ein Tablett mit Sektgläsern hat die Schwester hergerichtet, dazu Kuchen. Wolfgang Kotzahn hat Ge-burtstag. "Heute werde ich 57. Ich hatte weder die Vorstellung, alt zu wer-den, noch so jung zu sterben, wie es jetzt kommt. Aber der Tod kennt kein Alter." Die Diagnose hatte den zurückgezogen lebenden Steuerfachgehilfen ein halbes Jahr zuvor ereilt: Bronchial-Carzinom, inoperabel. "Der Schock war groß. Ich hab ja nie vom Tod geträumt, sondern immer nur vom Leben", sagt Herr Kotzahn. "Ich wundere mich selber, dass ich mich relativ leicht damit abgefunden habe. Jetzt liege ich hier und warte auf den Tod. Aber jeden Tag, den ich habe, den erlebe ich auch. Noch nie in meinem Leben hab ich auf Wolken geachtet. Jetzt sehe ich alles ganz anders: jede Wolke am Fenster, jede Blume in der Vase. Auf einmal ist alles wichtig." (© Walter Schels) -
Klara Behrens (2.12.1920-3.4.2004), erstes Porträt am 6.2.2004 Klara Behrens spürt, dass es nun bald zu Ende gehen könnte. "Manchmal hoffe ich ja, dass es noch mal besser wird", sagt sie. "Aber wenn mir dann wieder so übel ist, will ich auch gar nicht mehr leben. Dabei hatte ich mir gerade noch eine neue Gefrierkombination gekauft! Hätte ich das vorher gewusst..." Es ist der letzte Februartag, die Sonne scheint, im Hof sind die ersten Glockenblumen aufgeblüht. "Am liebsten würde ich rausgehen an die Elbe. Mich auf die Steine setzen und die Füße ins Wasser halten. Als Kinder haben wir das gemacht, wenn wir am Fluss Holz zum Heizen gesammelt haben. In meinem zweiten Leben würde ich alles anders machen. Ich würde kein Holz mehr schleppen müssen. Aber ob es ein zweites Leben gibt? Ich glaube nicht. Man glaubt ja nur, was man sieht. Und man sieht nur das, was da ist. Vor dem Tod hab ich keine Angst. Das millionste, milliardste Sandkorn in der Wüste werde ich sein. Nur vor dem Sterben fürchte ich mich. Man weiß ja nicht, was da passiert." (© Walter Schels) -
Jan Andersen (21.2.1978-14.6.2005), erstes Porträt am 8.4.2005 Mit 19 hatte Jan Andersen erfahren, dass er HIV-positiv war. „Das ist keine tödliche Krankheit mehr", hatte er gesagt und begonnen, schnell zu leben. An seinem 27. Geburtstag erfuhr er, dass ihm nicht viel Zeit blieb: Krebs, eine seltene Art, hervorgerufen durch die HIV-Infektion. Er haderte nicht. Ein kurzes, heftiges Sich-Wehren – dann schien es, als habe er sein Schicksal angenommen. Seine Freunde halfen, das Zimmer im Hospiz einzurichten. Von Iris, der Pflegerin, wollte er genau wissen, wie sein Sterben vor sich gehen würde. Als die Frau im Zimmer nebenan gestorben war, ging er hin, um sie anzuschauen. Ihr Anblick beruhigte ihn. Er habe keine Angst vor dem Sterben, sagte er. Nur seine körperliche Schwäche wollte er keinem zeigen, er wollte seine Würde wahren. "Du bist ja immer noch da", sagte er in der Nacht seines Todes zu seiner Mutter. "Es geht dir nicht so gut", antwortete sie. "Ich bleibe lieber noch." Später sagte Jan: "Ich gehe jetzt." Zuletzt hatte ihm jede Berührung Schmerzen bereitet. Jetzt wünschte er sich, dass sie ihn in den Arm nahm, bis zum Schluss: "Gut, dass du geblieben bist." (© Walter Schels)
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Dieser Inhalt wurde am 04. Februar 2009 - 15:05 publiziert350 characters
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