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Muslime stehen vor wachsender Intoleranz

Am Unspunnenfest 2006 in Interlaken: Koexistenz von Schweizer Trachten und dem islamischen Kopftuch. Keystone

An der OSZE-Konferenz zu Islamfeindlichkeit in Cordoba warnte der Schweizer Delegationsleiter vor steigender Intoleranz gegenüber Muslimen in Europa.

Religiöse Intoleranz sei eine gefährliche Tendenz, welche auch grundlegende Schweizer Werte beeinflusse, sagte Anton Thalmann, Stellvertreter des Staatssekretärs im Schweizer Aussenministerium (EDA), gegenüber swissinfo.

Die Koexistenz von Menschen mit unterschiedlichen Religionen sei eine tägliche Herausforderung, sagte er an der zweitägigen Konferenz, die von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) organisiert wurde.

Thalmann begrüsste auch den Schweiz-Besuch des OSZE-Beauftragten für die Bekämpfung von Intoleranz und Diskriminierung. Auf Bitten der Schweiz war sein Besuch bis nach den eidgenössischen Wahlen vom 21. Oktober verschoben worden.

swissinfo: Die Konferenz in Cordoba beschäftigt sich mit Intoleranz und Diskriminierung von Muslimen. Hat die Schweiz in diesem Bereich Probleme?

Anton Thalmann: Diese Konferenz war eine Gelegenheit, die Situation der Muslime in den verschiedenen OSZE-Ländern zu vergleichen und Ähnlichkeiten und Unterschiede zu besprechen. Wir haben festgestellt, dass in der jüngeren Vergangenheit eine bemerkenswerte Zunahme der Gefahr von Intoleranz gegen Muslime aber auch gegen andere Glaubensgemeinschaften zu beobachten war.

Die Schweiz ist offensichtlich nicht gegen solche Ereignisse immun, die meist durch Unkenntnis und Furcht motiviert sind. Ich sagte, dass sich die Schweiz dessen bewusst ist.

Interessant, die Ansichten der meisten Teilnehmer waren recht ähnlich und es scheint, dass jeder unter diesem Problem leidet.

swissinfo: Was für praktische Massnahmen gegen die Intoleranz wurden vorgeschlagen?

A.T.: Als erstes muss das Problem erkannt und akzeptiert werden. Nötig ist ein vielschichtiger Ansatz mit Ausbildungsprogrammen zur Toleranzpflege und zum Respekt gegenüber anderen.

Muslimische Gemeinschaften müssen ermuntert werden, mit den Behörden zusammen zu arbeiten. Zudem müssen wir Daten sammeln über Verbrechen aus Fremdenhass und versuchen, eine adäquate Gesetzgebung zu schaffen.

Weiter braucht es einen verantwortungsvollen Journalismus. Die Medien könnten eine sehr positive Rolle spielen, wenn sie interkulturelles und interreligiöses Verständnis mehr fördern würden.

swissinfo: Was können Muslime tun, um ihre Stellung in der Schweizer Gesellschaft zu verbessern?

A.T.: Sie sollen von den Möglichkeiten Gebrauch machen, die ihnen die Schweizer Verfassung bietet. Das ist ihr Recht als Bürger.

swissinfo: Und wenn sie keine Bürger sind, etwa wegen des langwierigen Einbürgerungs-Systems?

A.T.: Dieser Prozess erfordert Zeit. Zudem müssen sie die Rechte verteidigen, die sie haben. Man kann einen in der Schweiz lebenden Ausländer nicht seiner Menschenrechte berauben. Dagegen kann er sich aktiv wehren.

swissinfo: Die Muslime bilden nach den Christen die grösste Religionsgruppe in der Schweiz. Gibt es “zu viele” Muslime in der Schweiz?

A:T.: Das glaube ich nicht. In der Schweiz gibt es eine lange Tradition des interreligiösen Dialogs. Die Frage ist nicht, wie viele Menschen hier sind, sondern wie sie integriert werden können und wie sie Rechte und Freiheiten einfordern können, die ihnen die schweizerische Verfassung gewährt.

Der Staat garantiert Religionsfreiheit und Koexistenz von Menschen verschiedener Religionszugehörigkeiten. Und dies ist eine tägliche Herausforderung.

swissinfo: Welche Bedeutung hat der Besuch von OSZE-Botschafter Orhun in der Schweiz im kommenden November?

A.T.: Ich denke, es ist ein wichtiger Besuch. Denn Orhun betrachtet die verschiedenen OSZE-Länder unter einheitlichen Standards. Er versucht, Respekt und Toleranz für alle Religionen zu fördern. Die Schweiz, die stolz auf ihre Freiheiten ist, ist sehr interessiert, ihren Teil zu diesem Prozess beizutragen.

swissinfo-Interview: Clare O’Dea
(Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel)

Der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gehören 56 europäische Staaten an. Sie beschäftigt sich mit drei Sicherheitsbereichen: der politisch-militärischen, der okönomisch-ökologischen sowie der humanen.

Ömür Orhun, ein ehemaliger Vertreter des türkischen Aussenministeriums, der in den letzten drei Jahren auch als OSZE-Botschafter zur Bekämpfung von Intoleranz und Diskriminierung von Muslimen gearbeitet hat, wird die Schweiz im November besuchen und verschiedene Repräsentanten treffen.

Die Muslime sind nach den Christen die grösste Religionsgemeinschaft in der Schweiz.

Die Volkszählung des Jahres 2000 zeigte, dass sich ihre Zahl gegenüber der vorhergehenden Dekade auf 310’000 verdoppelt hatte. Heute wird ihre Zahl auf rund 340’000 geschätzt.

Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) führt derzeit eine Kampagne zum Bauverbot von Minaretten in der Schweiz.

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