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Nein-Komitee warnt vor “Diktat der Krankenkassen”

Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga sagt Nein zum "Kassendiktat". Keystone

Am 1. Juni kommt der neue Verfassungsartikel über die Krankenversicherung zur Abstimmung. Das Nein-Komitee hat die Debatte lanciert und warnt vor einem "Diktat der Krankenkassen".

Das Gegner-Komitee, eine Allianz aus Ärzten und Organisationen aus Gesundheitswesen und Konsumentenschutz, befürchtet bei einem Ja eine massive Machtverschiebung zugunsten der Krankenkassen.

Gegen den neuen Verfassungsartikel zur Krankenversicherung, über den am 1. Juni abgestimmt wird, hat sich eine Allianz von Organisationen aus dem Gesundheitswesen und dem Konsumentenschutz formiert.

Die Vorlage erhebe die Krankenkassen zur allmächtigen Gesundheitsinstanz zum Nachteil der Patienten, erklärten Vertreter des Komitees “Nein zum Kassendiktat” am Donnerstag in Bern. Er bringe eine massive Machtverschiebung zugunsten der Krankenkassen.

Der neue Verfassungsartikel “Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung” entstand als Gegenvorschlag zur Prämiensenkungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Aufhebung des Vertragszwangs

Bei Annahme des Artikels würde über die Aufhebung des Vertragszwangs der Kassen mit den Ärzten die freie Arztwahl für Patienten in der Schweiz abgeschafft, hiess es. Bisher sind die Kassen gesetzlich gezwungen, mit allen bestehenden Ärzten abzurechnen, egal ob diese viel oder wenig verlangen.

Mit der Aufhebung dieses gesetzlichen Zwangs würden die Kassen, so glaubt das Nein-Komitee, nur noch die Leistungen jener Ärzte zahlen, die vor allem “gesunde” Patienten behandelten und dadurch weniger Kosten verursachten.

Wer eine kostenintensive Therapie benötige, werde es erheblich schwerer haben, einen Arzt zu finden, dessen Leistungen die Kasse zahle.

Leidtragende seien insbesondere chronisch Kranke oder auch ältere Menschen. Und für die Ärzte werde der Verfassungsartikel darüber entscheiden, wer von ihnen den Beruf in der Schweiz noch ausüben könne, ungeachtet ihres Wissens und ihrer Erfahrung.

Dominantere Rolle der Krankenkassen?

Das Komitee kritisiert zudem, dass die Krankenkassen im Fall der Annahme des neuen Verfassungsartikel zum “Schatzmeister” für die Gesundheit würden.

Es begründet das mit der Umstellung zum sogenannten Monismus bei der Deckung der Spitalkosten. Statt dass die Kantone wie bisher ihren Anteil direkt an die Spitäler zahlen, würden sie künftig das Geld den Kassen überweisen.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Seit 1996 das Krankenversicherungs-Gesetz (KVG) in Kraft ist, muss sich jede in der Schweiz wohnhafte Person obligatorisch bei einer Krankenkasse für die Krankenpflege versichern. Die Kassen werden privatwirtschaftlich geführt. Die Versicherten sind in der Wahl des Krankenversicherers frei. Dieser muss einen Versicherten annehmen, unabhängig von dessen Alter und Gesundheitszustand. Die Tarife sind je nach Kanton…

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Willkür oder Kostenkontrolle?

So würden die Kantone jährlich mehrere Milliarden Franken Steuergelder den Kassen zahlen, ohne dass es eine wirksame Kontrolle durch die öffentliche Hand gebe, argumentieren die Vertreter des Nein-Lagers. Die Folge davon sei, dass das Spitalwesen der Willkür der Kassen ausgeliefert sei und die Kantone ihre Gestaltungs- und Steuerungskompetenzen verlören.

Das Komitee sieht im Vorschlag überdies einen Frontalangriff auf die Pflegefinanzierung. Bisher sei klar, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung auch die Pflege ausserhalb des Spitals decke.

swissinfo und Agenturen

Der Verfassungsartikel “für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung” war vom Parlament im Dezember 2007 als Gegenvorschlag zur Prämiensenkungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) verabschiedet worden.

Daraufhin hatte die SVP ihre Initiative zurückgezogen.

Der Gegenvorschlag war in kurzer Zeit und ohne breite Konsultation namentlich der Kantone auf die Beine gestellt worden.

Die Gegner kritisieren deshalb, der Verfassungsartikel sei unausgegoren und enthalte eine Reihe von Gummibestimmungen.

Je nach Interpretation könnte der Artikel auch als Grundlage für die Aufhebung des Vertragszwanges zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern dienen sowie für die Einführung der so genannt monistischen Spitalfinanzierung.

Umstritten sind namentlich Formulierungen wie: “Die Voraussetzungen, unter denen Leistungserbringer zulasten der Krankenpflegeversicherung tätig sein können, werden so festgelegt, dass eine qualitativ hochstehende Leistungserbringung und der Wettbewerb gewährleistet sind”.

Erhält in der Schweiz ein Arzt die Zulassung für eine Arztpraxis, müssen die Krankenkassen seine Leistungen vergüten, egal, ob er niedrige oder hohe Rechnungen stellt.

Die Krankenkassen sehen darin einen Hauptgrund zum ständigen Kostenwachstum im Gesundheitswesen – denn sie haben keine Kontrolle über diese Ausgaben.

In Diskussion ist deshalb eine Aufhebung des Vertragszwangs. Dieser ist aber politisch sehr umstritten.

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