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Neue globale Realität spaltete die Meinungen am WEF

Anti-WEF-Demonstranten vergleichen die Elite in Ägypten und Tunesien mit jener in Davos. Keystone

Die Entwicklung in Nordafrika prägte auch die Diskussionen am WEF. Einige Beobachter hoffen, dass die autokratischen Regierungen in Ägypten und Tunesien von stabilen Demokratien abgelöst werden. Andere befürchten ein Chaos im Mittleren Osten.

Auch die Antwort Russlands auf den Selbstmordanschlag auf dem Moskauer Flughafen, der 35 Tote forderte, sorgte am World Economic Forum in Davos für Erstaunen. Nachdem er die Verantwortlichen für die Flughafensicherheit entlassen und den Terroristen mit der Vernichtung gedroht hatte, flog der russische Präsident Dimitri Medvedev nach Davos, um dort zu verkünden, dass der Anschlag seine Pläne nicht  zerstören werde.

Gleichzeitig kündigte Russland den Bau eines mehrere Milliarden teuren Wintersport-Resorts in der Kaukasus-Region an, in der Hoffnung, dass der Tourismus mithelfen werde, den Terrorismus zu bekämpfen.

Politiker, Wirtschaftsführer, Vertreter der Zivilgesellschaften, der Medien, der Religionen und der Wissenschaft waren sich nicht darüber einig, ob die neue Wirtschaftsordnung die globale Entwicklung behindern oder unterstützen werde.

Im Unterschied zu den grossen Befürchtungen von 2009 und der Ungewissheit von 2010, äusserten sich dieses Jahr viele vorsichtig optimistisch. Die Diskussionen wurden dominiert vom rasanten Wirtschaftswachstum in einigen Schwellen- und Entwicklungsländern, das neue protektionistische Reaktionen provozieren könnte.

Ungleichmässiges Wachstum

Anhaltend hohes Wachstum in China, Indien, Brasilien und andern Ländern habe der globalen Wirtschaft geholfen, aus der Rezession zu gelangen, konnte man am WEF immer wieder hören. Die meisten Teilnehmer waren sich einig, dass sich Investitionen und Innovationen weiterhin von Westen nach Osten und Süden verlagern würden.

Geteilt waren die Meinungen aber in der Frage, welche Auswirkungen diese umfangreichen Veränderungen auf die Wirtschaftsmächte  – und zwangsläufig auch auf die politischen Mächte – haben würden. Der amerikanische Ökonom Nouriel Roubini beschrieb den Zustand der Wirtschaft als “ein halbvolles, aber bereits halb leeres Glas”.

Er erläuterte die Unausgewogenheit des wirtschaftlichen Fortschritts am Beispiel Chinas und der USA, mit dem Hinweis, dass das 10-prozentige chinesische Wachstum der Arbeitslosenrate der USA entspreche.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy beteuerte, dass er den Euro nie und nimmer werde zugrunde gehen lassen, während die Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel neue Massnahmen zur Unterstützung der überschuldeten EU-Mitglieder ankündigte. Trotzdem zweifelten in Davos viele an der Wirksamkeit der Unterstützung.

Das amerikanische Budget-Defizit, das bis Ende Jahr 1,5 Billionen Dollar erreichen dürfte, scheint US-Finanzminister Timothy Geithner nicht zu beunruhigen. Für Stirnrunzeln sorgte seine Absichtserklärung, an Obamas Investitionsplan aber auch an den Steuersenkungen festzuhalten.

China stockte seine Vertretungen in Davos deutlich auf, nämlich von drei im Jahr 2001 auf 66 in diesem Jahr. Die Wirtschaft der Schwellenländer machte einen deutlichen Sprung. Davon will auch die Schweiz teilhaben. Der Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider Ammann und der chinesische Handelsminister Chen Deming unterzeichneten in Davos eine gemeinsame Absichtserklärung zur Aufnahme von Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen.

Soziale Anliegen zurückgesetzt

Viele der 2500 Delegierten kamen nach Davos, um Umwelt-, Gesundheits- und Armutsprobleme zu diskutieren.

Die Diskussionsthemen wurden am WEF 2011 aber von den Ereignissen in Nordafrika, sowie von Fragen über den Zustand der Weltwirtschaft, der Verschuldung und Währungsentwicklung dominiert.

Hat es sich trotzdem gelohnt zu warten, wenn man sich nicht für diese wichtigen Angelegenheiten interessiert? Bill Gates war dieser Meinung, als er neue umfassende finanzielle Mittel zur Bekämpfung der Kinderlähmung ankündigte.

Auch Bill Clinton dachte so, als er die Welt daran erinnerte, die Aufbauhilfe in Haiti fortzusetzen. Auch der Rockstar und ehemalige WEF-Zyniker Bono war dieser Meinung, als er die Bühne dafür nutzte, die Regierungen zu bitten, bei Budget-Sparmassnahmen die Hilfsgelder  zu verschonen. Tausende von Kindern hätten zum Teil dank des WEF gerettet werden können, wo die richtigen Leute zur richtigen Zeit zusammen gekommen seien, sagte er.

Die Treffen so vieler international einflussreicher Leute führte auch sehr viel Expertenwissen zusammen und bot die Möglichkeit zu lobbyieren, zu verhandeln und Geschäfte abzuschliessen – und nicht ausschliesslich zugunsten der Banker.

Die Finanzwelt war zwar weniger kleinlaut als vor einem Jahr, aber Versuche, nach der Finanzkrise einen optimistischeren Ton anzuschlagen, kamen nicht gut an.

Schatten über Davos

Überschattet wurden die Debatten und Cocktail-Parties von der Entwicklung in Ägypten und der Befürchtung, dass sich die Unruhen auf Jordanien und Syrien ausdehnen könnten.

Philip Jennings, Generalsekretär von UNI Global Union, eines internationalen Gewerkschafts-Dachverbands der Dienstleistungsbranche, warf die Frage auf, ob die Ereignisse in Nordafrika einen “Berliner-Mauer-Effekt” haben könnten für die Länder im Mittleren Osten.

Viele Teilnehmer wagten sich nicht so weit auf den Ast hinaus bei dieser Diskussionsfrage. Vermutlich waren sie zu sehr beeindruckt vom Ausmass und Tempo der Ereignisse. Aber Salil Shetti, Generalsekretär von Amnesty International glaubt, dass sie sich absichern wollten:

“Viele Leute hier haben kommerzielle Interessen und in Ägypten mehrere Eisen im Feuer – und sie warten die Entwicklung ab”, sagt Shetti gegenüber swissinfo.ch. “Aber die arabische Region hat sehr viel Geld. Wenn sich die Unruhen ausbreiten, müssen die Leute realistisch bleiben.”

Das 41. WEF-Treffen in Davos fand vom 26. bis 30. Januar statt. 2500 Führungspersonen aus 90 Ländern nahmen teil.

Das World Economic Forum wurde 1971 als “Management Symposium” von Klaus Schwab, einem in Deutschland geborenen Geschäftsmann, gegründet.

Das WEF, das diesen Namen seit 1987 trägt, ist eine nicht profitorientierte Stiftung nach Schweizer Recht. Sie setzt sich für ein Unternehmertum im globalen öffentlichen Interesse ein. Die von rund tausend Mitgliederfirmen getragene Stiftung hat ihren Sitz in Cologny, Genf.

Die Organisation sieht sich als Dialog-Plattform zwischen Entscheidungsträgern, als Hilfsinstrument für strategische Entscheide und als Katalysator für verschiedene Initiativen, die den “Zustand der Welt” verbessern wollen.

Das WEF organisiert weltweit Symposien, fördert Initiativen und Arbeitsgruppen, realisiert Studien und schlägt Master-Programme vor. Es führt jährlich eine Anzahl Treffen durch, wobei Davos – immer im Januar – das Flaggschiff ist.

2002 zügelte das WEF für einmal nach New York, aus Solidarität mit der Stadt nach den Terroranschlägen 9/11 im Vorjahr.

Davos hat schon grosse Namen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Show Business angezogen, wie Nelson Mandela, Bill Clinton, Tony Blair, Bono, Angela Merkel, Bill Gates und Sharon Stone.

(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)

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