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Neues Scheidungsrecht: Fairer, aufwendiger und deutlich teurer

Der Weg aus der Ehe ist länger geworden. Keystone

Das neue Scheidungsrecht hat nach einem Jahr Praxistest seine Stärken und Schwächen offenbart. Positiv beurteilt wird die Abkehr von der Schuldfrage sowie das Anhörungsrecht für Kinder. Kritisiert werden der Mehraufwand und die vierjährige Wartefrist.

Scheiden sei administrativ aufwendiger geworden, heisst es bei den Gerichten von Genf bis St. Gallen. Einverständliche Scheidungen seien früher eine Sache von ein paar Tagen gewesen, heute aber von Monaten, sagt dazu Rudolf Kieser, Präsident des Bezirksgerichts der Stadt Zürich.

Wartefrist stösst auf Unverständnis

Für die Scheidung auf gemeinsames Begehren gilt neu eine zweimonatige Wartefrist. “Leute, die lange getrennt sind, verstehen nicht, dass sie nochmals zwei Monate warten müssen”, erklärt Adrian Studiger, Präsident des Zivileinzelgerichts Bern-Laupen. Auch stelle er fest, dass es mehr Verfahrensschritte und -abläufe gibt, was für die Gerichte einen Mehraufwand gegenüber früher bedeute.

Teure Ehrenrunden

Lehnt eine der Parteien die Scheidung ab, ist eine Wartefrist von vier Jahren vorgesehen. Laut einer unter Richtern und Anwälten durchgeführten Umfrage der “Neuen Zürcher Zeitung” werde diese Vierjahresfrist gemeinhin als viel zu lang und konfliktverschärfend empfunden. Zudem werde sie häufig dazu missbraucht, den scheidungswilligen Partner unter Druck zu setzen und zu einem eigentlichen “Ablasshandel” zu drängen.

Da würden den Leuten unnötigerweise Ehrenrunden auferlegt, kritisiert auch Peter Hold, Präsident des Bezirksgerichts der Stadt St. Gallen, die vierjährige Wartefrist. “Es gibt Ehen, wo nichts mehr zu kitten ist.” Laut Kieser verlagern sich dadurch die Auseinandersetzungen sehr stark in den Eheschutz, wo man für die Dauer der vierjährigen Trennung die Verhältnisse regelt, unter anderem auch Kinderfragen.

Das sei natürlich aufwändiger. Im Eheschutz gebe es mehr Arbeit für Richter, Richterinnen und juristische Sekretäre. Hierzu sei in Zürich etwa eine Verdoppelung der Kapazitäten notwendig geworden. Im Kanton St. Gallen stösst laut Hold das Laienrichtertum an seine Grenzen. Der Sachzwang Richtung Professionalisierung werde immer grösser.

Intimsphäre wird besser gewahrt

Positiv wird gewertet, dass praktisch keine Beweisverfahren mehr über die Verschuldenssituation gemacht werden müssen. Die Intimsphäre der Parteien werde besser gewahrt, erklärt Studiger. Das Waschen dreckiger Wäsche vor Gericht gebe es nicht mehr.

Ebenfalls gute Noten erhält das Anhörungsrecht für Kinder. Kinder haben neu das Recht vom Richter angehört zu werden, wenn Entscheide gefällt werden, die sie direkt betreffen.

swissinfo und Agenturen



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