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Nur Wind und Tee gefährdeten Zwahlens Gipfelerfolg

Bubentraum erfüllt: Thomas Zwahlen auf dem Mount Everest. Eike Mrosek

Der Thuner Thomas Zwahlen stand am 26. Mai 2003, wo es nicht mehr höher hinauf geht: Auf dem Gipfel des Mount Everest.

Höhenstürme hatten das Vorhaben lange Tage in Frage gestellt, und sogar verschütteter Tee spielte eine Rolle.

Im dritten Anlauf gelangten Zwahlen und zwei weitere Bergsteiger sowie Pemba Sherpa, alles Mitglieder der deutsch-schweizerischen Jubiläums-Expedition, an ihr lang gehegtes Ziel, das Dach der Welt. Ein starker Wind, der die Temperatur auf minus 25 bis 28 Grad drückte, wehte eine gewaltige Schneefahne nach Osten. “Die Sicht nach Tibet im Norden und Nepal im Süden war aber gut”, so Zwahlen gegenüber swissinfo.

Der Gipfel ist erst der halbe Weg

Gipfel-Euphorie kam bei Zwahlen nicht auf, obwohl er sich eben einen Bubentraum erfüllt hatte. “Ich wusste, dass oben erst die Hälfte des Weges zurückgelegt ist”. Dass er mit seiner Einschätzung richtig lag, erfuhr er am nächsten Tag.

“Der Abstieg vom Südsattel war für mich das Brutalste”, so Zwahlen, der als technischer Leiter der Expedition fungierte. “Mit dem 25 Kilogramm schweren Rucksack hatte ich das Gefühl, dass es mich bei jedem Schritt einen Meter in den Schotter hineindrückt.”

Wer da keine Reserven mehr habe, bleibe plötzlich am Berg sitzen, so der eher kleingewachsene Zwahlen. A propos Kilos: Er selber verlor durch die Anstrengungen in der dünnen Luft deren 12.

Der Aufstieg über die traditionelle Südost-Route der Erstbegeher Hillary und Tenzing war für den 35-jährigen Berner Oberländer Bergführer dagegen ohne grössere physische Probleme verlaufen.

Stärkste Winde seit vielen Jahren

Die tosenden Höhenstürme, welche Mitte Mai ungewöhnlich heftig und lange jegliche Gipfelpläne am Everest vereitelten, hätten auch ihr Vorhaben beinah gestoppt. Nach zwei Abbrüchen konnten die Bergsteiger aber am 24. Mai ein Wetterfenster nutzen, um ihren erfolgreichen Aufstieg zu starten.

Auf dem knapp 8000m hohen Südsattel, wo sich sie sich im Lager 4 auf den Gipfelgang vorbereiteten, wären Zwahlens Träume indessen beinah die steile Lhotse-Flanke herunter gespült worden: Ein Expeditionsmitglied verschüttete unabsichtlich Tee über Zwahlens bereit liegende Socken.

Socken über den Flammen des Gaskochers

“Jetzt ist es aus, ich kann den Everest vergessen”, schoss es ihm durch den Kopf. Denn nasse Socken hätten in der eisigen Kälte unweigerlich Erfrierungen an den Füssen zur Folge. Es gelang ihnen jedoch, die wertvollen Kleidungsstücke über dem Gaskocher wieder zu trocknen, und Zwahlen und seine Kollegen konnten die letzten knapp 900 Höhenmeter in der Nacht um 01.15 Uhr in Angriff nehmen, eineinhalb Stunden später als geplant.

Als eine der schönsten Erinnerungen an das Unternehmen Everest nimmt Zwahlen den Anmarsch von Lukla auf 2800m ins Basislager (5300m) mit, der “jeden Tag etwas Neues” gebracht habe. Auf dem Rückweg waren es dann die blühenden Rhododendron-Wälder, die ihn begeisterten.

Ehrfurcht vor den Sherpas

In den Vordergrund seines Everest-Rückblickes rückt Zwahlen auch die einheimischen Expeditionsmitglieder. “Ich bin besonders beeindruckt vom freundschaftlichen Verhältnis, das wir und die Sherpas hatten.”

Damit diese Freundschaft nicht nur schöne Erinnerung, sondern lebendig bleibt, lädt Zwahlen Ngawang Thiele, den 52-jährigen Sherpa-Führer (Sirdar) der Expedition, diesen Sommer für ein paar Wochen in die Schweiz ein. Im Basislager habe er erfahren, dass es Ngawang langgehegter Traum sei, einmal die Schweiz zu besuchen.

Im fliegenden Rollentausch wird nun also der Berner Oberländer zum “Traumerfüller”, indem er dem viermaligen Everest-Bezwinger Ngawang einige Schönheiten der Schweiz und ihrer Bergwelt zeigen will.

Für Zwahlen ist die Einladung auch Dank und Anerkennung für den entscheidenden Beitrag der Sherpas zum Erfolg der Expedition. “95 Prozent oder mehr aller Expeditionen haben nur aufgrund der Sherpas eine Chance”, zollt Zwahlen ihnen Respekt.


swissinfo, Renat Künzi

Das gesamte Material der Jubiläums-Expedition wog 3 Tonnen.

1,5 Tonnen machten allein die Lebensmittel aus.

Das Material wurde von 46 Trägern und 56 Yaks ins Basislager transportiert.

Die Gesamtkosten für die Expedition beliefen sich auf rund 600’000 Franken (inkl. medizinische Studie der Uni Giessen).

Nichtbrennbare Abfälle (Batterien, Sauerstoffflaschen) wurden nach Europa zurück gebracht.

Zwahlen war technischer Leiter der Jubiläums-Expedition.

Das “Brutalste” war für ihn der Abstieg.

Sirdar Ngawang ist in diesen Sommer Zwahlens Gast in der Schweiz.

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