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Ohne Atom kann die Schweiz nicht energieunabhängig werden

Natalia Amosova

Die Energiestrategie der Schweiz kommt ohne Kernenergie nicht aus. Andernfalls könnte sich das Land in der unglücklichen Lage Deutschlands wiederfinden – das von Russland abhängig ist, um das Risiko von Stromausfällen abzuwenden, sagt Natalia Amosova, Beraterin für die AtomindustrieExterner Link.

An dem Tag, an dem beschlossen wurde, dass die Kernkraft keine Rolle mehr in der Zukunft der Energieversorgung der Schweiz zu spielen hat, haben viele erleichtert aufgeatmet – endlich würde die Schweiz auch von der Umstellung auf alternative Energien profitieren.

Was den Bürger:innen 2017 vielleicht nicht bewusst war: Einerseits ist der Strommix der Schweiz bereits relativ CO2-arm, und andererseits beruht die Energiestrategie 2050 auf zahlreichen Annahmen und nicht verfügbaren Technologien und Netzwerken. Beispiele sind Speichertechnologien, welche noch viel Entwicklung brauchen um effizienter, umweltfreundlicher und weniger abhängig von seltenen Erden zu werden; ein Stromnetz, welches auf dezentrale Stromerzeugung angepasst werden muss; und die schiere Verfügbarkeit der PV Paneele, wenn diese von der Schweiz und zahlreichen weiteren Ländern gleichzeitig exponentiell mehr beschafft werden sollen.

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Worin besteht also der Umweltnutzen der neuen Strategie im Vergleich zur vorherigen? Nun, man sieht es heute schmerzlich am Beispiel Deutschlands, wo es trotz milliardenschwerer Subventionen immer noch nicht gelungen ist, eine ausreichende kohlenstoffarme Strom-Grundversorgung aufzubauen. Vielmehr ist Deutschland der 7. grösste CO2 Produzent der WeltExterner Link und der grösste in Europa am Gesamtausstoss gemessen.

Diese Situation ist das Ergebnis einer verklärten Energiepolitik. Anstatt aus Kohle und Gas auszusteigen, die erneuerbaren Energien auszubauen und in der Grundlast weiterhin auf die Kerntechnik zu setzen, welche in Deutschland seit Jahrzehnten zuverlässig und sicher Strom lieferte, beschloss man sich von Russland abhängig zu machen.

Streiten sich zwei, freut sich der Dritte: So schien es, als ob der “Kampf” zwischen den erneuerbaren Energien und Kerntechnik geführt würde, vor allem über Gas aber wurde nicht viel gesprochen. Man hat einfach in alle Ruhe Gaskraftwerke gebaut und – mit dem Beistand vom Altkanzler Gerhard Schröder – an Nord Stream 2 gearbeitet. Wer hätte sich da auch vorstellen können, dass ein Land, das die Krim annektierte, kein zuverlässiger Partner sein könnte.

Die Zwickmühle, in der Deutschland nun steckt, ist keine angenehme: Man ist gezwungen trotz aller Unterstützungsbekundungen für die Ukraine weiterhin die Bomben, die eben auf diese fallen mitzufinanzieren – der Preis, wenn man dies nicht täte, wäre ein Blackout in Deutschland.

Eine Strommangellage in der Schweiz ist im Übrigen in der Risikobewertung des Bundesamts für Bevölkerungsschutz (BABS) das Risiko Nummer 1. Noch kurz vor der Pandemie wurde sein BerichtExterner LinkveröffentlichtExterner Link, welcher besagte: “Die neue nationale Risikoanalyse identifiziert eine langandauernde Strommangellage im Winter, eine Influenza-Pandemie sowie ein Ausfall des Mobilfunks als die drei grössten Risiken.”

Diese Aussagen führten jedoch zu keinem Überdenken oder gar einem Überarbeiten der Energiestrategie. Im Gegenteil, man setzt weiterhin auf Solarenergie; man muss keine Wissenschaftlerin sein, um zu erkennen, dass es schwieriger werden könnte, genügend Strom zu erzeugen, besonders im Winter, wenn wir am meisten brauchen. Die Schweiz wird so nicht auf den Einkauf von Strom aus dem Ausland verzichten können. Zugegeben, selbst die Verfechter:innen der Solar-Strategie haben einen Bau von Gaskraftwerken vorgesehen, um diese Winterlücke zu schliessen. Aber das hat man eben in guter Tradition nicht besonders betont.

Heute müssen wir uns als Bürger:innen fragen, was wir wollen: Eine ungewisse Energiezukunft mit einem dogmatischen Technologie- und somit auch Innovationsverbot, gegen den Strom und die Vernunft zu schwimmen, und die Schweiz von Importen aus anderen Ländern abhängig machen? Oder wollen wir eine sichere, saubere und möglichst unabhängige Energieversorgung aus Wasserkraft, Kern- und Solarenergie mit Schweizer Qualitätsanspruch?

>> Lesen Sie hier die gegenteilige Meinung von Fabian Lüscher von der Schweizerischen Energie-Stiftung:

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