Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Palästina: Schweizer Hilfe gegen humanitäre Katastrophe

Gesundheitszentrum von Terre des hommes in Palästina. Jean-Jacques Ruchti

In den palästinensischen Gebieten herrschen nicht nur Armut und Arbeitslosigkeit, sondern auch Mangel an Nahrungsmitteln und Medikamenten. Das Schweizer Hilfswerk Terre des hommes hilft Kindern und Müttern.

Die humanitäre Krise hält an – “Road map” hin oder her.

“Der heutige Tag ist ein trauriger Tag für Palästina. Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass ein humanitärer UNO-Appell für Palästina nötig wird?” Das sagte Michael Keating, UNO-Koordinator in den palästinensischen Gebieten, am 19. November vergangenen Jahres an einem Podiumsgespräch in Bern.

“Die humanitäre Lage der Menschen im Gazastreifen und in der Westbank ist trotz dem UNO-Aufruf und trotz der von den USA initiierten “Road map”-Friedensinitiative weiterhin katastrophal”, betont Nathalie Chuard, Delegierte des Schweizer Kinderhilfswerks Terre des hommes, das in den palästinensischen Gebieten vier Projekte führt.

Hohe Arbeitslosigkeit – zunehmende Armut

Chuard, die sich vor kurzem während zwei Monaten in der Region aufhielt, erklärt in einem Gespräch mit swissinfo, seit Ausbruch der zweiten Intifada habe sich die Lage für die palästinensische Bevölkerung in jedem Bereich dramatisch verschlechtert. “Die Arbeitslosigkeit zum Beispiel ist in dieser Zeitspanne von 36% auf über 50% gestiegen.”

Die Weltbank schätzt, dass sich die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, seit 1998 verdoppelt hat. 60% bis 70% der Palästinenser müssen heute mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. “Angesichts der Preise, die auf israelischem Niveau sind, ein Ding der Unmöglichkeit”, fügt Chuard bei.

Unterernährung

Das fehlende Einkommen sei auch eine der Hauptursachen für die prekäre Ernährungslage der Bevölkerung. Die Zahl jener Menschen, die von Lebensmittel-Hilfe abhängig ist, sei auf über 50% gestiegen, erklärt die Hilfswerk-Delegierte, die sich auf Zahlen der UNO-Agentur für die palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) stützt.

Dazu kämen die vielen israelischen Strassensperren und Schikanen, welche die Lebensmittel-Versorgung in einzelnen Gebieten erschwerten. Immer mehr Kinder und schwangere Palästinenserinnen seien unterernährt. Laut Terre des hommes ist die Ernährungssituation der Kinder in den palästinensischen Gebieten in den letzten Jahren um Jahrzehnte zurückgeworfen worden. Über 20% aller Kinder seien akut oder chronisch unterernährt.

Prekäres Gesundheitssystem

Infolge der israelischen Strassensperren sei auch das Gesundheitswesen in den palästinensischen Gebieten in einem katastrophalen Zustand. Dazu käme die Finanzknappheit der palästinensischen Behörden.

In den Spitälern herrsche Mangel an Medikamenten. Es fehle auch an genügend ausgebildetem Personal. Und oft kämen Mütter mit ihren Kindern wegen der israelischen Checkpoints zu spät oder gar nicht ins Spital.

Müttern und Kindern Mut machen

Terre des hommes arbeitet im Gazastreifen und in der Westbank in Gesundheitszentren und mit mobilen Teams, die Dorfgemeinschaften besuchen. Schwerpunkt der Projekte ist die Ausbildung der Mütter und schwangeren Frauen in Ernährung, aber auch in Säuglingspflege, Hygiene und Familienplanung.

In den Zentren in Gaza, Hebron und Jenin werden in erster Linie mangelernährte Kleinkinder behandelt. Ärzte und Krankenschwestern – ausschliesslich Palästinenser und Palästinenserinnen – überwachen deren Entwicklung regelmässig. Besonders wichtig sei die Prävention von Mangelernährung bei den ärmsten Bevölkerungsschichten, sagt Nathalie Chuard.

Da seit Ausbruch der zweiten Intifada die Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung durch die israelischen Truppen systematisch eingeschränkt wird, besucht ein mobiles Gesundheitsteam Dörfer in abgelegenen Regionen. Auch hier werden vor allem Neugeborene, werdende Mütter und unterernährte Kinder gepflegt und betreut.

Seit Anfang Jahr engagiert sich Terre des hommes zusätzlich in einem psycho-sozialen Projekt für Mütter, Kinder und Familien. “Weil der Alltag für palästinensische Mütter derart schwierig und stressbeladen ist, sind diese psychisch oft nicht mehr in der Lage, ihre Kinder richtig zu betreuen”, so Chuard. “Deshalb ist dieses Projekt so wichtig.”

Hoffnung auf Besserung nicht in Sicht

Von der “Road map”, der von den USA initiierten Friedensinitiative, erwartet Nathalie Chuard nur dann etwas, “wenn von höchster Ebene wirklich Druck auf beide Seiten gemacht wird”. Doch in den letzten Monaten hätten sich die Arbeitsbedingungen für die Hilfswerke in den palästinensischen Gebieten noch weiter verschlechtert. “Und im Alltagsleben der Bevölkerung hat sich seither überhaupt nichts geändert”, sagt sie.

Dazu komme der Bau der sogenannten israelischen Sicherheitsmauer, “welche die Palästinenser als weiteren Schritt zu ihrer Einsperrung in ein Gefängnis erleben. Die Menschen in den palästinensischen Gebieten empfinden das etwa so, wie wenn man ihnen verbieten würde zu atmen, zu leben.”

Graben zementiert

“Die Mauer zementiert den Graben zwischen Israelis und Palästinensern noch stärker. So wird es nie zu einem Frieden kommen”, ist Nathalie Chuard überzeugt.

Auf den tiefen Graben zwischen den beiden Völkern hatte bereits vorher schon UNO-Koordinator Michael Keating an einem Podiumsgespräch in Bern hingewiesen. Auf der einen Seite bestehe ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, auf der anderen Seite leide die ganze Bevölkerung unter Kollektivstrafen.

“Der Teufelskreis aus Gewalt, Gegengewalt, Unsicherheit, Wirtschaftskrise, Bedrohung und erneuter Gewalt dreht sich immer schneller”, so Keating.

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

Palästinensische Gebiete:

Arbeitslosigkeit: über 50%

Tagesauskommen: 70% unter 2 Dollar

Abhängigkeit von Lebensmittel-Verteilung: über 50%

Akute oder chronische Kinder-Unterernährung: über 20%

Das Kinderhilfswerk Terre des hommes ist seit 1973 in Palästina aktiv.

Terre des hommes arbeitet in Gesundheitszentren in Gaza, Hebron und Jenin sowie mit mobilen Teams, die Dorfgemeinschaften besuchen.

Schwerpunkt der Projekte ist die Ausbildung der Mütter und schwangeren Frauen in Ernährung, Säuglingspflege, Hygiene und Familienplanung.

Seit Anfang 2003 führt Terre des hommes auch ein psycho-soziales Projekt für Mütter, Kinder und Familien.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft