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Das Asylgesetz wird weiter verschärft

Justizministerin Simonetta Sommaruga möchte die Beschwerde- und Behandlungsfristen verkürzen. Keystone

Zentren für renitente Asylbewerber, Einschränkungen bei der Familienzusammenführung, Beschränkung des Flüchtlingsstatus: Das Parlament hat das Asylgesetz weiter verschärft und einer Reihe von Dringlichkeitsmassnahmen zugestimmt.

“Wir können machen , was wir wollen, die Schweiz wird weiterhin ein attraktives Ziel für Asylsuchende bleiben, die mehrheitlich keine Arbeit, keine Ausbildungsmöglichkeiten und keine Perspektiven in ihrem Heimatland haben. Auch ich würde wahrscheinlich versuchen, in die Schweiz zu kommen, wenn ich in einem solchen Land leben würde.” Dies erklärte Ständerat Urs Schwaller von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) während der Debatte in der kleinen Parlamentskammer.

Trotz zahlreichen Verschärfungen des Asylgesetzes in den letzten 20 Jahren gehört die Schweiz heute – zusammen mit Schweden, Norwegen, Österreich und Luxemburg – zu den Ländern in Europa mit der höchsten Zahl von Asylgesuchen im Verhältnis zur Bevölkerungsgrösse. Und die Tendenz steigt noch: Die Zahl der eingereichten Gesuche ist von 10’844 im Jahr 2007 auf 22’551 im Jahr 2011 gestiegen, und in diesem Jahr könnte sie die 30’000-Marke erreichen.

Bund und Kantonen mangelt es seit Jahren an Personal und Geld, um dieser neue Welle zu begegnen. Wiederkehrende Fälle von Kriminalität und Gewalt bei Asylbewerbern haben in der Schweizer Bevölkerung Ängste und Missfallen hervorgerufen. In mehreren Gemeinden haben sich die Einwohner gegen die Eröffnung von neuen Aufnahmezentren für Asylsuchende gewehrt. Auf politischer Ebene hat die politische Rechte die Offensive ergriffen und drastische Massnahmen gefordert, darunter Internierungslager.

Druck auf die Regierung

Dies hat die Schweizer Regierung schon 2010 dazu getrieben, einen neuen Entwurf für eine Asylgesetzrevision vorzuschlagen, kaum zwei Jahre nach Inkrafttreten der letzten Revision. Ziel der Regierungsvorschläge war vor allem, eine Beschleunigung der Asylverfahren, die von allen Seiten als zu langwierig betrachtet wurden. Im Durchschnitt verstreichen von Beginn des Asylgesuchs bis zum definitiven Entscheid gut 1400 Tage.

“Das Attraktionspotenzial eines reichen Landes mit einem ausgebauten Sozial- und Gesundheitssystem wird auch in Zukunft bleiben. Aber die Schweiz wird ein bisschen weniger attraktiv, wenn die Asylbewerber wissen, dass ihre Gesuche schnell geprüft werden, und sie nicht drei oder vier Jahre in der Schweiz bleiben, eine Arbeit haben und Geld nach Hause schicken können”, erklärte Urs Schwaller.

Die Vorschläge der Regierung waren für die Mitte-Rechts-Mehrheit im Parlament jedoch nicht genügend. Der Bundesrat wurde aufgefordert, bis Ende 2011 den Entwurf für eine Gesetzesrevision zu überarbeiten. Mehrere Abgeordnete der Schweizerischen Volkspartei (SVP) zeichneten ein düsteres Bild der Situation, besonders in Sachen Kriminalität.

Dringliche Massnahmen

“Diebstähle von Autos und Fahrrädern gehören heute zu den banalsten Delikten. Sehr oft handelt es sich um Drogenhandel, Raubüberfälle, Schlägereien, Messerstechereien und sexuelle Gewalt” sagte SVP-Ständerat This Jenny. Trotz Teilopposition der Linken hat das Parlament einer Reihe von Dringlichkeitsmassnahmen zugestimmt. Massnahmen, die das Asylgesetz weiter verschärfen und die Bevölkerung beruhigen sollen.

Eine Massnahme ist die Errichtung von Sonderzentren für Asylbewerber, welche die öffentliche Ordnung bedrohen, zum Beispiel durch gewalttätiges Verhalten oder sexuelle Belästigung. Es handle sich dabei zwar um eine kleine Minderheit, betonte Justizministerin Simonetta Sommaruga, doch würde diese grosse Probleme verursachen und die Sicherheit der anderen Asylsuchenden und des Personals gefährden.

Um dem Ansturm von Asylbewerbern Herr zu werden, wird der Bund neue Empfangszentren eröffnen können, ohne von den betroffenen Kantonen oder Gemeinden eine Bewilligung verlangen zu müssen. “Die gegenwärtigen Zentren sind voll ausgelastet, und viele Asylbewerber wohnen in den Gängen dieser Unterkünfte. Das führt zu Aggressionen und schafft Schwierigkeiten”, betonte Sommaruga.

Beschränkte Anerkennung

Das Parlament hat ausserdem beschlossen, dass künftig keine Asylgesuche mehr geprüft werden, die in Schweizer Botschaften im Ausland eingereicht werden. Die Schweiz ist das einzige europäische Land, das bisher eine solche Möglichkeit vorsah. Für die politische Linke ist dieser Beschluss unsinnig. “Die Botschaften sind viel näher an der Realität der Asylbewerber. Sie können daher viel besser einschätzen, ob die Gesuche begründet sind”, sagte der grüne Ständerat Luc Recordon.

Deserteure und Dienstverweigerer aus Gewissensgründen werden künftig nicht mehr automatisch als Flüchtlinge anerkannt. Diese Massnahme, die vor allem darauf abzielt, die kontinuierlich wachsende Zahl von Asylbewerbern aus Eritrea einzudämmen, wird jedoch kaum eine grosse Wirkung haben: Gemäss der Genfer UNO-Flüchtlingskonvention muss die Schweiz auch in Zukunft alle Exilanten aufnehmen, die in ihren Heimatländern schwere Verfolgungen riskieren aus politischen oder religiösen Gründen.

Weiter soll nicht mehr automatisch als Flüchtling anerkannt werden, wer sein Gesuch mit politischen Aktivitäten begründet, die er nach dem Verlassen seines Heimatlandes ausübte. Schliesslich wird das Recht auf Familienzusammenführung auf Ehepaare und Kinder von anerkannten Flüchtlingen beschränkt. Die Forderung des Nationalrats, die Sozialhilfe für alle Asylbewerber zu streichen und stattdessen nur noch die weniger grosszügige Nothilfe zu gewähren, wurde vom Ständerat indessen abgelehnt.

Glaubwürdigkeit auf dem Spiel

Die dieser Tage verabschiedeten Massnahmen werden mittels eines Dringlichkeitsgesetzes bereits im Oktober in Kraft treten, ohne den Ablauf der Referendumsfrist abzuwarten. Ein Entscheid, der von der Linken angefochten wird, für die ein solches Vorgehen nur in politischen oder wirtschaftlichen Extremsituationen legitim ist.

In den Augen der politischen Rechten sollte die weitere Verschärfung des Asylgesetzes dagegen dazu dienen, schnell starke Signale an die Bevölkerung auszusenden. Nach Ansicht von Justizministerin Sommaruga sollte jedoch vermieden werden, bei der Bevölkerung zu hohe Erwartungen zu wecken, die ein weiteres Mal enttäuscht werden könnten.

“Das Problem ist, dass man schon bei früheren Gesetzesrevisionen Signale an die Bevölkerung senden wollte, obwohl man wusste, dass die getroffenen Entscheide keine Veränderung bringen werden”, erklärte Sommaruga. “So enttäuscht man die Bevölkerung jedes Mal. Und damit wird die Glaubwürdigkeit der Asylpolitik geschädigt.”

In den 1990er-Jahren nahm die Zahl der Asylgesuche zu,  insbesondere wegen der Kriege auf dem Balkan. Die Schweizer Behörden sahen sich mit gegen 50’000 Gesuchen jährlich konfrontiert.

Zwischen 2005 und 2007 wurden etwas mehr als 10’000 Asylgesuche pro Jahr eingereicht.

Eine Zunahme von Asylbewerbern wurde erneut ab 2008 registriert. 

2011 wurden 22’551 Gesuche eingereicht, 45% mehr als im Jahr zuvor.

Grund für diesen erneuten Anstieg sind laut dem Bundesamt für Migration (BFM) insbesondere die Krisen in den nordafrikanischen Ländern. Diese Staaten dienen aber auch Exilsuchenden aus anderen Ländern des Schwarzen Kontinents als Transitrouten. 

2011 wurden 19’467 Asylgesuche erstinstanzlich beantwortet, während sich die noch hängigen Fälle Ende Jahr  auf 13’694 beliefen.

Das Recht auf Asyl wurde 3621 Personen gewährt, das entspricht einer Anerkennungsquote von 21% der Gesuche, die in Erwägung kamen.

Die von den beiden Parlamentskammern in der Herbstsession beschlossenen Dringlichkeits-Massnahmen treten bereits im Oktober in Kraft.

Die Linke schliesst ein Referendum gegen die Asylgesetz-Revision nicht aus. Ein diesbezüglicher Entschied ist aber noch nicht gefallen.

  

Das Parlament wird sich erst in den kommenden Sessionen zu den Anträgen über eine Streichung der Sozialhilfe für alle Asylsuchenden befassen.

Auch die Vorschläge des Bundesrats über eine Beschleunigung des Asylverfahrens kommen erst später zur Debatte.

(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

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