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Pfefferminz und Amber im Paradies

Ausschnitt aus Pipilotti Rists Videoarbeit für die Kirche San Stäe in Venedig, "Homo sapiens sapiens". Bundesamt für Kultur

Mit Pipilotti Rist setzt die Schweiz an der 51. Kunstbiennale in Venedig auf einen Star und mit dem Luzerner Künstler Stefan Banz auf geteiltes Risiko.

In ihrer Videoarbeit für die Biennale, die vom 12. Juni bis zum 6. November dauert, geht Rist der Frage nach, wie sich die Welt ohne Sündefall von Adam und Eva entwickelt hätte.

Seit 1990 dient die Barockkirche San Stäe am Canale Grande der Schweiz als Raum für einen zweiten Beitrag zur Kunstbiennale. Dieses Jahr zeigt die international renommierte Künstlerin Pipilotti Rist dort ihr elektronisches Fresko “Homo sapiens sapiens”. Eine paradiesische Geschichte ohne Erbsünde.

Obwohl Rist protestantisch aufgewachsen ist, habe sie mit der Installation in der katholischen Kirche keine Mühe gehabt, erklärt die Künstlerin.

“Ich bin extrem für die Ökumene. Als Kind habe ich mit meinem Vater viele katholische Kirchen besichtigt. Die schwülstige, gut riechende, sinnliche katholische Welt ist mir nicht fremd. Ich traue mir als protestantische Schweizerin zu, auch diese Architektur zu interpretieren.”

Ein Thema ihrer Videoarbeit ist die Erbsünde. “Ich möchte zeigen, wie es wäre, wenn wir uns nicht permanent schuldig fühlen müssten.” Kunst solle trösten und helfen “Muskelspannungen zu lösen”, so Rist weiter.

Pepperminta und Amber im Paradies

Das Publikum wird Rists bewegtes Deckenfresko liegend betrachten können: “Wie im autogenen Training. Man schaut nach oben und entspannt sich”, sagt sie. Der Raum sei verdunkelt, aus Lautsprechern töne Musik und die Schwerkraft hebe sich auf, “der Körper wird vom Geist getragen.”

Adam kommt im Fresko nicht vor, Eva dafür gleich doppelt. Laut Rist gehören die beiden Frauen zu einem rothaarigen Stamm und spielen die Rolle des “Homo sapiens sapiens”. Rist nennt sie Pepperminta und Amber. Sie entsprängen ihrer Vorstellung vom Paradies.

“Ich zelebriere die reine Unschuld. Das ist sehr wohltuend. Provozieren will ich damit nicht”, erklärt die Künstlerin. Sie wolle lediglich zeigen, dass sich die Welt ohne gewisse Mythen der Schuld vielleicht ganz anders hätte entwickeln können.

Auseinanderstrebende Einheit

Neben der Installation von Pipilotti Rist zeigt die Schweiz an der diesjährigen Biennale die Gruppenausstellung “Shadows Collide With People”. Unter der Leitung von Stefan Banz zeigen Marco Poloni, Ingrid Wildi, Gianni Motti und Shahryar Nashat Arbeiten zum Verhältnis zwischen Geburt, Sprache, Kultur, Nationalität und Staatsbürgerschaft.

Die vier Kunstschaffenden sind Weltreisende mit Schweizer Pass. Sie wurzeln in unterschiedlichen Kulturen, sprechen verschiedene Sprachen und spiegeln eine offene, bunte Schweiz.

Diese gesellschaftliche Vielfalt zu dokumentieren und die Diskussion darüber zu befruchten, sei ein wichtiges Ziel, sagt Stefan Banz im Gespräch.

Dazu kommt ein Zweites: Poloni, Motti, Wildi und Nashat sind zwar nicht unbekannt, aber doch nicht so etabliert und in den Kunstmarkt integriert wie Roman Signer und Urs Lüthi, denen der Pavillon 1999 und 2001 zur Verfügung stand. Mit seinem Konzept entspricht Banz somit auch dem Förderanspruch der Eidgenössischen Kunstkommission, der er seit 2001 angehört.

Mögliche Stürze abfedern

Wieso aber vier Kunstschaffende? Banz hat in der Kunstkommission mit Erfolg die Auffassung vertreten, dass im Pavillon nicht mehr – wie an der Biennale 2003 – eine junge Künstlerin allein die Verantwortung tragen sollte. “Mehrere Positionen stützen sich gegenseitig”, sagt Banz, “da ist es nicht so schlimm, wenn nicht alle zu hundert Prozent reüssieren.”

Auch die Raumverhältnisse sprächen für dieses Viererkonzept. Den Künstlern, der Künstlerin stehe genügend Platz zur Verfügung, um sich eigenständig zu präsentieren. In den Mittelpunkt stellt Banz die einzelnen Werke, die im Dialog mit ihm als Kurator und speziell für die Ausstellung entstehen.

Sein poetischer und etwas melancholischer Ausstellungstitel “Shadows Collide With People” gibt nur den Rahmen vor und deutet metaphorisch an, dass die ausgestellten Arbeiten gesellschaftliches Leben reflektieren.

“Kunst funktioniert nur, wenn sie ein Bild von der Gesellschaft vermittelt”, betont Banz. Nach diesem Credo hat er Ingrid Wildi, Marco Poloni, Shahryar Nashat und Gianni Motti ausgewählt.

swissinfo und sfd (Frank von Niederhäusern und Karl Wüst)

Die Internationale Kunstbiennale in Venedig dauert vom 12. Juni bis zum 6. November 2005.

Im Schweizer Pavillon in den Giardini des Biennalegeländes zeigen Gianni Motti, Shahryar Nashat, Marco Poloni, Ingrid Wildi unter dem Kuratorium von Stefan Banz eine Gruppenausstellung “Shadows Collide With People”.

Die Barockkirche San Stäe am Canale Grande dient der Schweiz seit 1990 als Raum für einen zweiten Beitrag zur Biennale Venedig.

Dieses Jahr zeigt Pipilotti Rist in der Kirche ihre Videoarbeit “Homo sapiens sapiens”.

Die Biennale für zeitgenössische Kunst in Venedig öffnete 1895 erstmals ihre Tore.

Sie war mit 220’000 Besuchern ein unerwarteter Publikumserfolg.

Seither trifft sich die Kunstwelt von Juni bis Oktober in Venedig zur Biennale für internationale zeitgenössische Kunst.

Dieses Jahr ist erstmals ein Zweierdirektorium für die Kunstschau zuständig.

Die Direktorinnen María de Corral und Rosa Martínez haben für die 51. Biennale zwei sich ergänzende Ausstellungen konzipiert.

In “The Experience of Art” präsentiert María de Corral 42 internationale Künstlerinnen und Künstler, die in ihren eigens für die Biennale angefertigten Werken die Entwicklung der verschiedenen Kunstformen seit 1970 nachvollziehen.

In “Always a Little Further”, kuratiert von Rosa Martínez, zeigen 49 Kunstschaffende die jüngsten Trends in der Videokunst, Installationskunst und Skulptur. Mit ihrem Projekt “Guantanamo Initiative” sind an der Schau auch Christoph Büchel und Gianni Motti aus der Schweiz vertreten.

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