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Poesie und Politik und was dazwischen klingt

Der palästinensische Dichter Murid al-Barghouti am Internationalen Poesiefestival al-Mutanabbi in Bern. (swissinfo) swissinfo

Dialog der Kulturen ist das erklärte Ziel des Internationalen Poesiefestivals al-Mutanabbi, das jedes Jahr in mehreren Schweizer Städten über die Bühne geht.

Die 6. Ausgabe des Festivals lässt Dichter aus 16 Ländern über das Spannungsfeld von Poesie und Politik reden.

Im legeren weissen Anzug tritt der palästinensische Dichter Murid al-Barghouti in der Berner Dampfzentrale ans Mikrophon und sagt: “Ich bin froh, dass ihr mich hier im Rahmen dieses Poesiefestivals auf der Bühne seht, und nicht zu Hause auf euren Fernsehbildschirmen.”

Denn dort seien Palästinenser immer entweder Opfer oder Täter in einem blutigen Kampf. Normale Palästinenserinnen und Palästinenser, die sich ihr Leben einzurichten versuchen, die zur Schule gehen, ein Haus bauen, schreiben oder Musik machen, die seien auf den Bildschirmen abwesend.

Damit begab sich Murid al-Barghouti gleich mitten ins Thema. “Poesie und Politik” wollte das Spannungsfeld ausleuchten, das nicht nur, aber besonders in der arabischen Welt die Schreibenden umtreibt – sei es wegen der Zensur oder der Angst davor, sei es, wenn sie sich selbst einen politischen oder ideologischen Auftrag geben.

Brücken bauen zwischen den Welten

Das Internationale Poesiefestival al-Mutanabbi wurde im Jahr 2000 von dem in Zürich lebenden irakischen Schriftsteller Ali al-Shalah ins Leben gerufen: “Am Anfang stand der Wunsch, zwischen den arabischen und Schweizer Kulturschaffenden Brücken zu bauen”, sagt er gegenüber swissinfo.

Aber schon bald seien Dichter aus anderen Teilen der Welt dazu gestossen, aus Kolumbien, Japan, Portugal, Italien, Niederlande, Schweden, Vietnam. Doch immer noch liegt das Hauptgewicht auf der arabischen Dichtung. “Dort ist die Wechselwirkung zwischen Politik und Kunst besonders augenfällig”, erklärt Ali al-Shalah das Festival-Motto.

So habe gerade die Dichtung in der arabischen Welt eine weit grössere Bedeutung und damit auch Wirkung auf die Gesellschaft als etwa in Europa. Drei Stunden lang wurde das Thema zur Eröffnung des Poesiefestivals in Zürich kontrovers diskutiert.

Plädoyer für die Kraft und Vielfalt der Dichtung

Doch zeigte sich dann bei den Lesungen, was für eine Sinnlichkeit, Kraft und Lebendigkeit in der Dichtung selbst steckt, ganz gleich, ob sie sich der Liebe, der Natur oder alltäglichen Situationen widmet.

“Mir geht es beim Schreiben darum, etwas Vertrautes mit einem neuen Blick anzusehen und das Überraschende darin zu zeigen”, sagt Murid al-Barghouti nach seiner Lesung im Gespräch mit swissinfo. “Ich zwinge niemanden, die Realität so zu sehen wie ich, sondern stelle mein Bild zur Verfügung.”

Barghouti, der neben zahlreichen Gedichtbänden auch die autobiografische und durchaus politische Erzählung “Ich sah Ramallah” geschrieben hat, nimmt die Realität als Basis seiner Kunst, doch ohne in die Falle der Ideologie zu tappen.

Blick in die Zukunft

Letztes Jahr hatte das Mutanabbi-Festival unter dem Motto “Poesie und Musik” gestanden. Seither setzen musikalische Einlagen ein wohltuendes Gegengewicht zu den Lesungen und Diskussionen. Diesmal spielte der in Bern lebende ägyptische Musiker Nehad el-Sayed arabische Klassiker und Sufi-Musik auf der Oud (arabische Laute).

Der Initiator und Organisator Ali al-Shalah ist mehr als zufrieden mit dem jährlich zunehmenden Interesse an Mutanabbi: “Das hätten wir uns anfangs gar nicht träumen lassen.” Jetzt hat das Festival erstmals die Schweizer Sprachgräben überwunden und gastiert neben Zürich, Bern und Luzern auch in Genf und Lugano.

Schon bald beginnt die Festivalplanung fürs nächste Jahr. Ali al-Shalah möchte dafür mehr Schweizer Autoren einbeziehen: “Wir wollen nicht als Araber in der Schweiz ein Kulturfestival bauen, bei dem die Schweizer nur Gäste sind, schliesslich befinden wir uns hier in ihrem Land.”

swissinfo, Susanne Schanda

Das Internationale Poesiefestival al-Mutanabbi mit dem Schwerpunkt arabische Dichtung hat den Dialog und Austausch mit Schreibenden und Intellektuellen aus verschiedenen Kulturen zum Ziel.

Seinen Namen verdankt das Festival dem grossen arabischen Dichter und Weisen Abu al-Tayyib Ahmed Ibn al-Hussein al-Mutanabbi, der 915 im irakischen Kufah geboren wurde.

Organisiert wird das Festival vom Schweizerisch-Arabischen Kulturzentrum, das vom in Zürich lebenden irakischen Schriftsteller Ali al-Shalah geleitet wird.

Das Mutanabbi-Festival steht unter dem Patronat der Schweizerischen UNESCO-Kommission und wird von zahlreichen öffentlichen und privaten Sponsoren unterstützt.

Das Internationale Poesiefestival al-Mutanabbi findet seit 2000 jährlich in mehreren Schweizer Städten statt.
Dieses Jahr gab es Veranstaltungen in Zürich, Bern, Luzern, Genf und Lugano.
Bisher haben sich insgesamt gegen 200 Kulturschaffende aus 50 Ländern an Mutanabbi beteiligt.

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