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Das plötzliche Interesse an den Auslandschweizern

Fast 100 Ratsmitglieder gehören zur parlamentarischen Gruppe "Auslandschweizer". Aber nicht alle setzen sich für deren konkrete Anliegen ein. Keystone

Nicht nur in den Medien, auch in der Politik sind die Auslandschweizer häufiger denn je zum Thema geworden. Die Gruppe "Auslandschweizer" gehört heute mit fast 100 Mitgliedern zu den grössten parlamentarischen Gruppen. Weshalb interessieren sich immer mehr Politiker für die Fünfte Schweiz? Liegt es nur am wachsenden Potential der ausländischen Wählerschaft?

Für die Interessenvertreter in der Schweizer Politik spielen die sogenannten parlamentarischen Gruppen eine wichtige Rolle. Laut Parlamentsgesetz ist es ein Zusammenschluss von Ratsmitgliedern, die sich für einen bestimmten Sachbereich interessieren. Parteipolitik hat dabei höchstens eine zweitrangige Bedeutung. Die Gruppen haben keine politischen Kompetenzen, aber durch ihre Mitgliedschaft in der Gruppe signalisieren die Parlamentarier ein Interesse für die Lobbyarbeit der “Einflüsterer”.

Heute gibt es rund 120 Gruppen unterschiedlichster Grösse. Die Gruppe “Auslandschweizer” gehört mit fast 100 Mitgliedern bereits zu den grössten, obwohl sie erst 2004 ins Leben gerufen wurde.

Das bedeute aber nicht, dass die Auslandschweizer für ihre Anliegen im Bundeshaus jeweils 100 Stimmen auf sicher hätten, relativiert Rudolf Wyder, Autor des soeben erschienen Buchs “Globale Schweiz – Die Entdeckung der Auslandschweizer”. Wyder war von 1987 bis 2013 Direktor der Auslandschweizer Organisation. “Nicht alle Mitglieder setzen sich mit gleichem Eifer für die Fünfte Schweiz ein. Es ist in erster Linie ein Netz von Ratsmitgliedern, die sich bewusst sind, dass die Schweiz ohne Auslandschweizer ärmer wäre, und die das wachsende Stimmenpotential der Wähler im Ausland entdeckt haben”, relativiert er.

Das Präsidium dieser parlamentarischen Auslandschweizer-Gruppe teilen sich Vertreter aus drei Parteien, deren Vorstellungen von der Fünften Schweiz alles andere als identisch sind. Franz Grüter, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), ist nicht aus eigenem Antrieb Ko-Präsident dieser Gruppe geworden, sondern “wie die Jungfrau zum Kind zu diesem Amt gekommen”, weil er angefragt worden sei. Lorbeeren könne man sich nämlich damit nicht holen, sagt er.

National oder international?

Aber “allein von ihrem Stimmenpotential her haben die Auslandschweizer eine beachtliche Bedeutung. Es lohnt sich, dieses Elektorat zu pflegen”. Die SVP hat sogar eine internationale Sektion und buhlt mit Auslandschweizer-Listen um die Wählergunst im Ausland. Auch in Grüters Heimatkanton Luzern trat die SVP bei den Parlamentswahlen 2015 mit einer Auslandschweizer-Liste an und holte “damit zusätzlich ein halbes Prozent Wähleranteil”, sagt Grüter, der als Unternehmer selber zwei Jahre in den USA gelebt hatte.

Mit 31 Parlamentarierinnen und Parlamentariern sind allerdings die Sozialdemokraten in der “Auslandschweizer-Gruppe” am stärksten vertreten. “Das geht wahrscheinlich aus ihrem politischen Programm hervor. Die SP singt ja auch die Internationale”, kommentiert Grüter das Interesse der Genossen an den Auslandschweizern.

Er selber mache allerdings die Erfahrung, dass “viele Auslandschweizer kein linkes Gedankengut, sondern eine hohe Verbundenheit zur Heimat haben und patriotisch sind.”

Das Glück in der Fremde suchen und eine Partei unterstützen, die den Ruf hat, fremdenfeindlich zu sein, ist für Grüter kein Widerspruch. “Überhaupt nicht! Der SVP wird unterstellt, sie sei nicht weltoffen. Das Gegenteil trifft zu: Wir stehen für eine weltoffene Haltung ein, für Handel und Geschäfte mit anderen Ländern. Aber deswegen würde ich nie verlangen, dass die Schweiz Teil einer internationalen Gemeinschaft wird.”

Rudolf Wyder hat ein anderes Bild von den Expats, deren Anliegen er mehr als ein Vierteljahrhundert lang vertreten hat. “In einigen Kantonen lässt sich nachweisen, wie die Auslandschweizer stimmen. Ausserdem hat eine Studie des Politologen Michael Hermann von 2012 gezeigt, dass die Auslandschweizer mehrheitlich ein typisch urbanes Stimmensegment sind, das heisst, liberal in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen, aufgeschlossen gegenüber internationalen Angelegenheiten, für eine offene und partizipative Schweiz.

Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) ist mit Elisabeth Schneider-Schneiter im Präsidium der Auslandschweizer-Gruppe vertreten. Die Baselbieter Juristin hat auch als Vize-Präsidentin der aussenpolitischen Kommission viele Kontakte mit Auslandschweizern und zahlreiche Verwandte im Ausland. “Mit der Globalisierung werden die Auslandschweizer immer zahlreicher und wichtiger.” Sie wolle sich dafür stark machen, dass die Expats “mit ihrer Heimat in Kontakt bleiben können”. Die SVP bewirtschafte das Auslandschweizer-Elektorat zum Teil erfolgreich und konsequenter als ihre eigene Partei, bedauert Schneider-Schneiter. “Es darf nicht sein, dass nur die SVP mit ihrem konservativen Gedankengut und ihrer Heimatgefühls-Politik die Wähler im Ausland bewirbt.”

Dass die Themen der SVP bei einem Teil der Auslandschweizer ankommen, könne daran liegen, dass diese “ihr Heimatland am liebsten im Zustand von damals konserviert haben möchten, als sie dieses verlassen hatten. Auf den ersten Blick scheint ihnen die SVP dafür die geeignete Partei zu sein. Vielleicht können die Leute die Konsequenzen dieser Politik nicht in der ganzen Dimension erfassen”, sagt Elisabeth Schneider-Schneiter. Die CVP sei sich bewusst, dass sie mehr für “ihre Auslandschweizer” tun müsse. Das sei jetzt auch im Parteiprogramm festgehalten.

Auch die Sozialdemokraten haben sich bis vor wenigen Jahren zurückhaltend gegenüber Auslandschweizern gezeigt. “Vermutlich in der falschen Annahme, dass die Fünfte Schweiz eine konservative Wählerschaft sei”, sagt Rudolf Wyder. Umgekehrt ging man auf der rechten Seite des politischen Spektrums davon aus, Auslandschweizer seien, weil heimatverbunden, patriotisch und oft der Folklore zugeneigt, typische SVP-Wähler.

Wer vertritt die konkreten Anliegen? 

Im Parlament habe sich die SVP allerdings oft gegen die politischen Anliegen der Auslandschweizer gestellt, sagt Wyder: “Zum Beispiel bei den Schulkrediten, beim Auslandschweizergesetz, bei der Personenfreizügigkeit, von der auch Auslandschweizer betroffen sind.

Mehr Unterstützung erhielt die ASO in den letzten Jahren laut Wyder von der SP: “lnsbesondere für die Unterstützung der Schweizerschulen im Ausland, für die Beseitigung von Mobilitätshürden – zum Beispiel in der Sozialversicherung, für ein griffiges Auslandschweizergesetz.”

Der Auslandschweizerrat

In diesen Tagen treffen sich die Interessenvertreter der Auslandschweizer zu ihrem halbjährlichen Kongress in Bern. Dem Auslandschweizerrat ist für dessen Tagung am Freitag sogar das Bundeshaus zur Verfügung gestellt worden. Eine Geste, die dem Gremium eine gewisse Aufmerksamkeit und Bedeutung verleiht. In den Medien wird der Auslandschweizerrat immer wieder als Parlament der Fünften Schweiz bezeichnet. Die Arbeitsweise oder die Sitzverteilung, die der Verteilung der Auslandschweizer rund um den Globus entspricht, haben eine gewisse parlamentarische Analogie. “Aber was die Kompetenzen des Rats betrifft, ist die Bezeichnung masslos übertrieben”, sagt Rudolf Wyder. “Einige ziehen aus der Bezeichnung den Schluss, dass eine allgemeine Volkswahl für die Mitglieder des Auslandschweizerrats erforderlich wäre.” Aber diese Schwelle sei sehr hoch und ohne Beteiligung des Bundes nicht zu schaffen.

“Heute ist der Rat die Delegiertenversammlung der organisierten Auslandschweizer, ergänzt mit einigen Bindegliedern aus dem Parlament, sowie Vertretern von Organisationen, die mit Auslandschweizern Berührungspunkte haben”, präzisiert Wyder, und als solcher hat er über die Jahre eine überaus konstruktive und effektvolle Rolle gespielt und viel erreicht. 

Welche Partei unterstützt Ihrer Meinung nach die Interessen der Auslandschweizer am besten?   

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