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“Die Länder sind zur Kooperation verdammt”

Valentin Zellweger
Valentin Zellweger, der scheidende Leiter der Schweizer Mission bei der UNO in Genf. © Keystone / Laurent Gillieron

Valentin Zellweger, Leiter der Schweizer Mission bei der UNO in Genf, verlässt Ende Juli seinen Posten. Neu wird er Schweizer Botschafter in Kenia. Im Gespräch analysiert er den Multilateralismus, der von allen Seiten unter Beschuss gerät, sowie das internationale Genf.

Die Medientermine, die der Botschafter in den letzten vier Jahren jeweils vor den Sitzungen des UNO-Menschenrechtsrats im Genfer Palais des Nations organisierte, zogen eine wachsende Zahl von Korrespondenten an. Darunter auch mehr und mehr von internationalen Medien.

1993, im Alter von 35 Jahren, trat der studierte Völkerrechtler in den diplomatischen Dienst ein – mit einem Praktikum der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (Deza) auf der Schweizer Vertretung – in Nairobi. Also dort, wohin er nun als Botschafter zurückkehrt.

Danach hatte Valentin Zellweger verschiedene Funktionen in Bern und New York inne. Zwischen 2003 und 2007 war er Stabschef des ersten Präsidenten des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (Kriegsverbrecher-Tribunal).

Am 1. August 2016 wurde der Vater zweier Kinder Leiter der ständigen Schweizer Mission beim Büro der Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen in Genf.

Zellweger hat es verstanden, die Stimmungen und die Spannungslinien in den internationalen Beziehungen zu skizzieren, die sich im Hauptgremium der Vereinten Nationen (UNO) für die Menschenrechte zeigten.

swissinfo.ch: Wie sehen Sie Ihre Rolle als Schweizer Diplomat in Genf während der vier letzten Jahre, die international ja einiges an Turbulenzen lieferten?

Valentin Zellweger: Die Schweiz hat ein Interesse daran, dass die Welt Probleme weiterhin gemeinsam löst. Und das Mittel dieses Dialogs ist der Multilateralismus. Die in der UNO-Charta verankerten Werte finden sich in der Bundesverfassung und in den aussenpolitischen Zielen der Schweiz vollumfänglich wieder.

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Für ein Land wie die Schweiz – das seinen Wohlstand auf die Einhaltung gemeinsamer Regeln stützt und eine stark exportorientierte Wirtschaft hat – gilt: Je besser es unseren Nachbarn und der Welt geht, desto besser geht es der Schweiz.

Die grossen Herausforderungen, vor denen die Welt steht, machen nicht an Grenzen halt. Es tönt abgedroschen, aber die Länder sind zur Zusammenarbeit verdammt.

Es liegt daher im Interesse der Schweiz, die multilaterale Zusammenarbeit, die insbesondere in Genf stattfindet, zu fördern.

Wie sind die Beziehungen zwischen allen Akteuren im internationalen Genf, auch auf menschlicher Ebene?

Es handelt sich um eine Gruppe von Akteuren, die immer stärker integriert wird. Sie arbeiten auf die gleichen Ziele hin. Neben den Diplomaten und Beamten internationaler Organisationen gibt es aber auch Akademiker von Weltrang (EPFL, Universität Genf, Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklungsstudien) sowie Vertreterinnen und Vertreter des Privatsektors.

Was das internationale Genf auszeichnet, ist diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen diesen verschiedenen Sektoren, diese wachsende Gewohnheit, über unmittelbare Kreise hinaus miteinander zu sprechen.

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In New York, wohin ich entsandt worden war, finden wir die gleiche Vielfalt an Akteuren, aber sie tauschen sich nicht aus wie in Genf.

Dies ist einer der Faktoren, welche die Zukunft des internationalen Genf bestimmen werden: Es sind alle Akteure vereint, die in der Lage sind, die Probleme zu lösen, vor denen wir stehen.

Einige kritisieren die Geselligkeit, die dieses diplomatische Leben in Genf umgibt. Aber ist es nicht wesentlich, diese Integration zwischen den verschiedenen Akteuren des Internationalen Genf zu fördern?

Wir arbeiteten während der Coronakrise ohne die Möglichkeit, uns physisch zu treffen. Wir hatten nur Kontakte per Telefon oder Videokonferenz. Ein informeller, vertraulicher Austausch war nicht mehr möglich. Dies ist ein ernsthaftes Hindernis für den reibungslosen Ablauf unserer diplomatischen Arbeit.

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Wenn wir zu Empfängen und informellen Treffen eingeladen werden, geschieht dies immer aus beruflichen Gründen. Ich gehe mit spezifischen Zielen hin, für die ich eine Liste mit Fragen und Kontakten vorbereite. Diese Treffen sind für meine Tätigkeit wertvoll, wie ich nach drei Monaten Isolation wieder festgestellt habe.

Als Schweizer Botschafter in Kenia verlassen Sie Genf in Richtung Nairobi. Was begeistert Sie daran, in jene Hauptstadt zurückzukehren, in der Sie Ihre diplomatische Karriere begonnen haben?

In den letzten 25 Jahren, seit ich zum ersten Mal in Nairobi war, gab es viele Veränderungen. Und es hat sich auch in unserer Wahrnehmung Afrikas viel verändert. Wir sehen den Kontinent heute als einen starken, wichtigen und potenziellen Partner. Das Durchschnittsalter in den meisten Ländern Subsahara-Afrikas liegt bei rund 20 Jahren, der niedrigste Durchschnitt aller Kontinente.

In Nairobi gibt es einige sehr interessante Entwicklungen im digitalen Bereich. Kenia ist eine der führenden Nationen auf dem Gebiet der Finanztechnologie. Ich gehe dorthin mit diesem Geist der Entdeckung eines Afrikas, mit dem wir die Bindungen stärken, Partnerschaften schaffen und Probleme gemeinsam lösen wollen. Wie die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Sie hat Subsahara-Afrika bisher weniger hart getroffen als andere Regionen der Welt.

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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