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“Die Schweiz braucht für Brüssel keinen Bürgen”

Ministertreffen des Europarats: Die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey mit Generalsektretär Thorbjörn Jagland am 18. November, 2009. Keystone

Spanien hat am 1. Januar den Vorsitz der Europäischen Union übernommen. Wiederholt erklärte es sich bereit, die Beziehungen zwischen Bern und Brüssel zu verbessern. Wie sieht Madrid innenpolitische Probleme wie das Bankgeheimnis und die Anti-Minarett-Initiative?

Laut Fernando Riquelme, dem spanischen Botschafter in Bern, hat die Schweiz ihren Willen bekundet, sich in Sachen Bankgeheimnis den Richtlinien der OECD anzupassen und benötigt deshalb bei der EU keinen Bürgen.

Der Botschafter schliesst auch aus, dass die Volksabstimmung vom vergangenen 29. November, welche den Bau neuer Minarette verbietet, einen Einfluss auf die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU oder zwischen dem Westen und der islamischen Welt haben könnte.

swissinfo.ch: Welche Ziele verfolgt Spanien während seiner Präsidentschaft?

Fernando Riquelme: Das Hauptziel ist, alle Bestimmungen des Vertrags von Lissabon in Kraft zu setzen. Diese sehen zusätzlich zu neuen Abstimmungs-Mechanismen innerhalb der EU zwei neue Institutionen vor, nämlich die ständige Präsidentschaft der Union sowie den Hohen Vertreter. Letzterer ist eine Art Aussenminister der EU und gleichzeitig der Vizepräsident der Kommission.

swissinfo.ch: Und welches sind die grössten Herausforderungen?

F.R.: Die Zukunftsvision Spaniens für die EU wurde von Aussenminister Miguel Angel Moratinos anlässlich seines Staatsbesuchs in der Schweiz definiert. Spanien vertritt die Politik einer offenen Union.

Die Beitrittsverhandlungen mit einigen Ländern, z.B. Kroatien, müssen sofort abgeschlossen werden. Soweit möglich sollten auch die Verhandlungen mit Ländern wie Island beendet und schliesslich Beitrittsverhandlungen mit sensiblen Ländern wie der Türkei aufgenommen werden.

Doch es gibt eine dritte Gruppe von Staaten, die niemand erwähnt. Es sind kleine Länder, wie Liechtenstein, San Marino, Andorra und Monaco, die nicht auf der Prioritätenliste der EU stehen. Während seiner Präsidentschaft wird Spanien versuchen, die Grundlinien der Politik der EU gegenüber diesen Ländern zu definieren.

swissinfo.ch: Anlässlich seines Besuchs im vergangenen Oktober bestätigte Moratinos die Bereitschaft Spaniens, während seiner Präsidentschaft die Beziehungen zwischen Bern und Brüssel zu erleichtern. Inwiefern könnte dies Auswirkungen auf Probleme wie das Bankgeheimnis haben?

F.R.: Das Bankgeheimnis ist eher ein Thema der OECD als der EU und hängt weit mehr von der Schweiz als von den Ländern Europas ab. Es gibt Anweisungen der OECD an Länder, die als Steuerparadiese gelten und die Richtlinien der OECD verletzen, ihre Gesetzgebung mittels Abkommen über Steuertransparenz anzupassen.

Diesbezüglich hatten die Schweiz und Spanien den fortschrittlichsten Steuervertrag zwischen zwei europäischen Ländern. Die Absicht ist, diesen Vertrag an diejenigen anzupassen, welche die Schweiz vor Kurzem mit Dänemark und anderen Ländern unterzeichnet hat.

Ich glaube, die Schweiz benötigt im Moment keinen Bürgen ausser ihrer selbst, um in Sachen Bankgeheimnis und Steuerproblemen mit anderen Ländern eine Lösung zu finden.

swissinfo.ch: Wie beurteilen Sie die Massnahmen, welche die Schweiz im vergangenen Jahr in Sachen Bankgeheimnis ergriffen hat?

F.R.: Es ist offensichtlich, dass die Schweiz bewiesen hat, sich den Richtlinien der OECD unterzuordnen.

swissinfo.ch: Am 29.November nahm das Schweizer Volk die Minarett-Initiative an, welche den Bau neuer Minarette verbietet. Innerhalb und ausserhalb des Landes führte dies zu Kritik. Welche Meinung verteten Sie?

F.R.: Anfänglich stiess das Abstimmungsergebnis auf heftige Kritik, die sich jedoch abschwächen wird. Es scheint nicht, dass sich deswegen die Meinung Europas über die Schweiz stark ändern wird.

Ich glaube, es ist nur eine Episode im Kontakt zwischen Zivilisationen. Spanien hat zusammen mit der Türkei in der UNO eine “Allianz zwischen den Zivilisationen ” vorgeschlagen.

Wir haben das Unverständnis und folglich die Konflikte im Kontakt zwischen den Zivilisationen wie der westlichen und der islamischen Welt vorausgesehen. Solche Konflikte können in vielen europäischen Ländern entstehen, auch in der Schweiz.

swissinfo.ch: Glauben Sie, dass diese Abstimmung die Beziehungen zwischen dem Westen und islamischen Ländern beeinflussen wird?

F.R.: Nein. Wie bereits erwähnt, ist diese Abstimmung nur eine Episode. Man muss nuancieren. Es wird ja nicht die Ausübung einer Religion oder der Bau von Kultstätten verboten. Das Schweizer Volk hat sich nur zu einer landschaftlichen und urbanistischen Erscheinung geäussert. Das hat nichts mit einem Religions- oder Zivilisationskonflikt zu tun. Solche bestehen schlichtweg nicht.

Meine Meinung als Zeuge der Ereignisse in der Schweiz ist nur eine unter vielen.

Marcela Aguila Rubín, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

Der spanische Botschafter in der Schweiz zu den Beziehungen zwischen den beiden Ländern:

“Es sind sehr gute und reife Beziehungen ohne jeglichen Schatten eines Problems. Dank den wichtigen Handels- und Wirtschaftskontakten ist es eine vorbildhafte Beziehung zwischen zwei Ländern, die versuchen, sich zu ergänzen und eine Freundschaft ohne Konflikte aufrecht zu erhalten.”

Zu den Spaniern in der Schweiz und den Schweizern in Spanien:

“Es leben rund 100´000 Spanier in der Schweiz, und die Zahl nimmt langsam ab. Spanier kehren nach ihrer Pensionierung oft in die Heimat zurück, pflegen aber weiter enge Kontakte zur Schweiz.

Die Jungen, die hier geboren und Doppelbürger sind, bleiben in der Schweiz. Sie sind integriert und haben ihr Leben und ihre Interessen hier. Sie fühlen sich sowohl als Schweizer als auch als Spanier.

Es sind vorwiegend Schweizer Rentner, die nach Spanien ziehen oder dort einen Grossteil des Jahres verbringen. Zusätzlich bereisen jährlich 1,5 Millionen Schweizer Touristen das Land.”

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