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Unternehmenssteuern, Rentensicherung, Waffen: Darüber stimmen die Schweizer ab

Zeitschrift mit Annoncen zum Kauf und Verkauf von Waffen
Das wäre neu mit der EU-Waffenrichtlinie: Schweizer, die eine automatische oder halbautomatische Waffe kaufen möchten, benötigen dafür eine Sondergenehmigung. © Keystone / Alexandra Wey

Am Sonntag befindet das Schweizer Stimmvolk an der Urne über zwei Anpassungen von Schweizer Praktiken an internationale Normen. Konkret geht es um die EU-Waffenrichtlinie zur Eindämmung gefährlicher Waffen mit Serienfeuer und Steuererleichterungen für Unternehmen. Mit Letzteren verknüpft ist die finanzielle Sicherung der Altersversicherung (AHV).

Am Abstimmungssonntag geht es gleich zweimal um Essenzielles: Einerseits um die Leidenschaft von Schweizerinnen und Schweizer für ihre Schusswaffen, andererseits um die Verteidigung der guten Position der Schweiz im internationalen Steuerwettbewerb um die Gunst von multinationalen Unternehmen.

Beide Vorlagen sind eine direkte Folge der Globalisierung: Die internationalen Standards haben sich weiterentwickelt, und die Schweiz muss ihre Praktiken anpassen, will sie weiterhin gute Beziehungen zu ihren Nachbarn unterhalten.

Die anstehenden Veränderungen scheinen die Menschen in der Schweiz nicht zu verunsichern. Im Gegenteil: Umfragen zeigen, dass die nationale Abstimmung ein doppeltes “Ja” bringen wird.

Als erstes müssen sich die Bürgerinnen und Bürger zu einer Anpassung der schweizerischen Gesetze über den Besitz und Handel von Feuerwaffen an die strengere europäische Waffenrichtlinie äussern.

Die Europäische Union (EU) will den Handel mit Waffen besser kontrollieren. Dies insbesondere mit Bestimmungen, die deren Rückverfolgbarkeit ermöglichen. Damit will Brüssel das Risiko verringern, dass insbesondere die gefährlichen automatischen und halbautomatischen Waffen in illegale Märkte gelangen, wo sich Kriminelle und Terroristen bedienen können.

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Brüssel kam der Schweiz entgegen

In Verhandlungen mit Brüssel hat die Schweiz Ausnahmeregelungen erzielt. Dies mit dem Hinweis auf die grosse Tradition des Schiessens als Sport in der Schweiz. Davon zeugen einerseits die Schützenvereine, die es im ganzen Land gibt, andererseits die Tradition, dass die Soldaten der Schweizer Armee ihr Sturmgewehr zu Hause lagern.

Gemäss dem Entgegenkommen Brüssels können Sportschützen in der Schweiz auch weiterhin automatische oder halbautomatische Waffen verwenden. Sie müssen dafür aber eine Ausnahmegenehmigung beantragen und nachweisen, dass sie Mitglied eines Schützenvereins sind.

Schweizer Soldaten ist es weiterhin erlaubt, ihre Gewehre im Schrank zu Hause zu lagern und damit die obligatorischen Schiessübungen zu bestreiten. Nach Erfüllung ihrer Militärdienstpflicht können sie ihre Waffe behalten und damit an freiwilligen Wettkämpfen teilnehmen.

Einigkeit

Regierung, Parlament und alle politischen Parteien mit Ausnahme der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) unterstützen die Revision des Waffengesetzes. Sie sind der Ansicht, dass die Anpassungen erstens die Tradition der Sportschützen im Land nicht untergräbt und es zweitens der Schweiz ermöglichen, Mitglied des Schengen-Raumes zu bleiben. 

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Für den Fall eines Neins am Sonntag hat Brüssel nämlich angekündigt, dass die EU die Zusammenarbeit mit der Schweiz betreffend Schengen-Dublin-Abkommen zur koordinierten, EU-weiten Strafverfolgung abbrechen werde.

Die Volksabstimmung findet statt, weil die “Interessengemeinschaft Schiessen Schweiz” das Referendum gegen das neue Gesetz ergriffen hatte. Die Interessenorganisation ist der Ansicht ist, dass die Revision “das Ende des Schiessens als Breitensport” bedeuten würde. Ebenso würde das Recht auf Waffenbesitz zu einem einfachen Privileg degradiert. 

Die SVP unterstützte das Referendum, sie sieht im neuen Gesetz den ersten Schritt zur vollständigen Entwaffnung der Schweiz. Sie ist auch der Ansicht, dass der Verbleib der Schweiz im Schengen-Raums bei einem Nein nicht gefährdet wäre.

Geringere Steuern und höhere AHV

Die zweite Vorlage ist etwas komplizierter: Einmal mehr müssen die Schweizer über eine hochtechnische Reform der Unternehmensbesteuerung (STAF) befinden. Erst 2017 hatte der Souverän die erste Auflage, damals Unternehmenssteuerreform III genannt (USR III), an der Urne abgeschmettert. 

Dabei ist Schweiz verpflichtet, die Regeln der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einzuhalten. Die internationale Richtlinie verlangt die Abschaffung von besonderen, sprich tiefen Steuersätzen für ausländische Unternehmen.

Die Schweizer Regierung schlägt daher ein Projekt vor, das diesen Anforderungen entspricht, gleichzeitig aber attraktive Steuern beibehält und die Mängel der Vorlage von 2017 behebt.

Das würde neu: Der Steuersatz sinkt für alle Unternehmen, und Steuerrückerstattungen werden – in begrenztem Umfang – auf Patentgewinnen und Forschungs- und Entwicklungskosten gewährt.

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Der “Kuhhandel”

Doch die Steuerreform wird Löcher in die Kassen der Kantone und Gemeinden reissen. Dies, weil die Erträge aus der Unternehmenssteuer sinken werden. Deshalb sind als Ausgleich höhere Entschädigungen für Kantone und Gemeinden vorgesehen. Bereits heute kämpfen viele Kantone und Gemeinden gegen immer grössere Finanzlöcher.

Was bei dieser Vorlage aussergewöhnlich ist: Das Parlament hat die komplexe Reform der Unternehmensbesteuerung mit der Finanzierung der Altersvorsorge (AHV) verknüpft. Deren finanzielle Absicherung tut Not, weil diesem historischen Schweizer Sozialwerk der finanzielle Kollaps droht.

Konkret geht es bei diesem “Kuhhandel” um eine Kompensation. Und die soll so funktionieren: Das Loch von zwei Milliarden Franken, das die Steuerreform in der Staatskassen reissen würde, wandert als Guthaben zur AHV. Dies dank einer stärkeren Beteiligung des Bundes sowie der Erhöhung der AHV-Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Linke gespalten

Die Mehrheit des Parlaments (Sozialdemokraten, Liberale, Christdemokraten) unterstützt diesen “Kuhhandel”. Er würde es der Schweiz ermöglichen, sich rasch an internationale Standards anzupassen und gleichzeitig als Standort für internationale Unternehmen attraktiv zu bleiben. 

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Auch ist die Mehrheit vom “guten Kompromiss” überzeugt, also der gewissermassen ausgleichenden Stärkung der finanziell angeschlagenen AHV.

Die im Parlament unterlegenen Grünen, im Verbund mit anderen linken Parteien und einigen Gewerkschaften, haben gegen die Vorlage erfolgreich das Referendum ergriffen. Aber auch die gemässigteren Grünliberalen sind gegen das Projekt. Ebenso wie mehrere überparteiliche Komitees, die sich aus vorwiegend jungen Menschen zusammensetzen.

Einer der Hauptkritikpunkte ist die Verbindung zweier Vorlagen, die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben.

Eine weitere Kritik zielt in die Richtung, dass diese Reform auch ein Geschenk an grosse Unternehmen auf Kosten der öffentlichen Hand sei und zur internationalen Steuerhinterziehung ermutige.

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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