Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Nein zu einem Jagdgesetz mit “Abschuss nach Belieben”

Swissinfo Redaktion

Die Revision des Jagdgesetzes "geht zu weit", weil es den Abschuss mehrerer Wildtierarten einfach "nach Belieben" zulasse, während eigentlich die biologische Vielfalt geschützt werden sollte. Das sagt Nationalrätin Isabelle Chevalley. Die Grünliberale Waadtländerin erklärt, warum sie für die Abstimmung am 27. September ein Nein fordert.

Wir erhalten alarmierende Signale von Wissenschaftlern über den Verlust unserer biologischen Vielfalt. Alle Studien zeigen, dass unsere Arten im Verschwinden begriffen sind. Und das in raschem Tempo.

Die Schweiz hat eine Rote Liste der gefährdeten ArtenExterner Link. Wir sollten alles tun, was in unserer Macht steht, um diese zu erhalten. Dennoch können viele von ihnen gejagt werden. Zum Beispiel die Waldschnepfe, die durch dieses neue Gesetz nicht geschützt würde, obwohl sie auf der Roten Liste steht.

Die Fragen, die man sich stellen kann, sind: Warum wird dieser Vogel weiterhin getötet? Fügt er der Landwirtschaft Schaden zu? Nein. Schädigt er die menschliche Infrastruktur? Nein. Wird er getötet, um Familien zu ernähren? Nein. Bringt der Verkauf dieses Vogels einen erheblichen finanziellen, für einen Teil der Bevölkerung lebenswichtigen Gewinn? Nein.

Warum also? Zum reinen Vergnügen. Diese Tatsache könnte einen fast zum Lachen bringen, wenn sie nicht so absurd wäre. Wir kritisieren die Menschen in Afrika, die Elefanten töten, aber tatsächlich machen wir es nicht wirklich besser.

Mehr

Abgeschossen, ohne Schaden angerichtet zu haben

Gemäss dem revidierten Jagdgesetz kann eine Art abgeschossen werden, wenn sie noch keinen Schaden angerichtet hat. Dies ist ein absolutes Novum, denn bisher war für die Abschussbewilligung der Nachweis eines Schadens nötig, und zwar eines erheblichen Schadens. Das soll nicht mehr so sein.

Zudem soll der Bundesrat die Liste der betroffenen Tierarten erweitern können, ohne sich dafür das Plazet beim Parlament holen zu müssen. Dies ist eine gewichtige Absage an die Demokratie.

Wenn Sie sich fragen, welche Tierarten betroffen sein könnten, geben Ihnen die Debatten im Parlament einen Hinweis darüber. Es geht unter anderem um den Luchs, den Schwan und den Biber. Warum stören uns diese Tiere?

Klar, der Luchs frisst Wild, das deshalb von den Jägern nicht mehr erlegt werden kann. Aber er ist vor allem ein grosser Verbündeter der Förster. Indem er die Vermehrung von Rehen und Hirschen verhindert – Arten, die sich von frischen Trieben ernähren –, trägt er wesentlich zur Gesundheit des Waldes bei.

Der Schwan, der manchmal auf Feldern in der Nähe von Seen Kot ausscheidet, verursacht für die Landwirtschaft nur minime Probleme. Der Biber schliesslich kann Dämme anlegen und lokal ein Flussbett verändern. Mit der Gestaltung seiner Umwelt geht seine Anwesenheit generell mit einer Zunahme der Artenvielfalt auf seinem Territorium einher.

Noch einmal: In Zeiten des Verlusts der biologischen Vielfalt ist es zumindest merkwürdig, wegen kleineren Schäden dem Abschuss dieser Tiere, die zu einem Gesamtgleichgewicht beitragen, zuzustimmen. Und erinnern wir uns daran, dass sie getötet werden können, bevor sie überhaupt Schaden angerichtet haben.

Gesamtüberblick geht verloren

Schliesslich soll der Entscheid über den Abschuss in den Händen der Kantone und nicht mehr in den Händen des Bundes liegen. Dies wirft das Problem des Gesamtüberblicks auf. Tiere kennen die Kantonsgrenzen unseres kleinen Landes nicht: Ein Tier könnte während der Nacht in einem Kanton geschützt sein und am nächsten Morgen im Nachbarkanton abgeschossen werden.

Andererseits wird es für Interessengruppen leichter sein, in ihrem Kanton Druck auf die Behörden auszuüben, um solche Abschussentscheide zu erwirken. Es ist offensichtlich, dass der Bund einen umfassenderen Ansatz verfolgt, weil er die Interessen aller beteiligten Parteien berücksichtigt.

Wir stellen nicht in Frage, dass wir zum Beispiel die Zahl der Wölfe anpassen müssen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Aber wir sollten kein Gesetz haben, welches das Signal gibt: Abschuss nach Belieben!

Wir müssen lernen, mit der Tierwelt zu leben. Der Mensch kann nicht alles eliminieren, was ihn stört. Der Mensch ist Teil der biologischen Vielfalt, und wenn diese biologische Vielfalt nicht respektiert wird, gefährdet das am Ende das Überleben des Menschen selbst.

Diese Revision des Jagdgesetzes geht zu weit, wir müssen unsere biologische Vielfalt schützen. Nein zu einem Gesetz aus alten Zeiten!

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene der Autorin und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)


Mehr

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft