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Grosserfolg für die Abzocker-Initiative

Das Volks will dem Geldsegen für Manager einen Riegel schieben Ex-press

Klarer könnte das Resultat nicht sein: Rund 68% der Stimmenden und sämtliche Kantone sagen deutlich Ja zur Abzocker-Initiative. Sieger und Verlierer zeigen sich einig, dass der klare Volkswille nun zügig umgesetzt werden müsse.

Dass die Abzocker-Initiative, welche die Aktionärsrechte börsenkotierter Unternehmen stärken und die exorbitanten Manager-Löhne bekämpfen will, eine Ja-Mehrheit auf sich vereinigen wird, war bereits im Vorfeld des Abstimmungswochenendes klar.

Überraschend ist der mit mehr als zwei Dritteln der Stimmenden überdeutliche Anteil der Ja-Stimmen. Überraschend ist weiter das einheitliche Bild quer durch alle Kantone, Sprachregionen, ländliche Gegenden, Städte und Agglomerationen.

Mit einem Ja-Stimmen-Anteil von rund 68%  erreichte die Initiative die dritthöchste Zustimmungsquote, die eine Volksinitiative je erreicht hat. Den Rekord hält die Initiative zur Einführung eines Feiertages am 1. August.

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Mit Rückenwind allein gegen den Rest der Welt

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Unnachgiebig und mitunter ausfällig sei er, sagen Gegner und Freunde. Als stur und verbissen bezeichnet er sich selbst: Thomas Minder – Sternzeichen Steinbock – ist 52 Jahre alt, Chef eines kleinen Familienunternehmens am Rande der Ostschweiz, in Schaffhausen, und seit 2011 parteiloser Ständerat. Jeder Stammtisch im Land kennt ihn. Er ärgert die Eliten in Politik…

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Kampf um Umsetzung

Thomas Minder, der Vater der Abzocker-Initiative zeigte sich in einer ersten Reaktion erfreut über den klaren Ja-Trend. “Ich bin froh, dass der lange Kampf vorbei ist”, sagte der Schaffhauser Ständerat im Schweizer Fernsehen SRF.

Nun beginne der Kampf um die Umsetzung. “Man weiss ja, wie zerstritten das Parlament ist”, sagte Minder. Die eidgenössischen Räte haben jahrelang um die Initiative und Gegenvorschläge gefeilscht, bevor das Volksbegehren zur Abstimmung gelangt ist.

“Die Schweizer Bevölkerung hat ihrem Unmut (gegen hohe Managerlöhne) Ausdruck verliehen”, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga. Die Regierung werde innerhalb eines Jahres vorläufige Gesetze erlassen.

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Volkswille respektieren

Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse, der die Initiative an vorderster Front bekämpft hatte, will bei der Umsetzung konstruktiv mitarbeiten, wie Direktor Pascal Gentinetta im Schweizer Fernsehen SRF sagte.

“Es ist selbstverständlich, dass der Volkswille zu respektieren ist. Jetzt gilt es, die Initiative textgetreu umzusetzen.” Bei vielen Bestimmungen sei “glasklar”, was die Initiative wolle, etwa bei der elektronischen Abstimmung oder dem Stimmzwang für Pensionskassen. Zugleich gelte es aber darauf zu achten, dass keine sachfremden Bestimmungen in die Umsetzung einflössen, so Gentinetta.

Mit der Abzocker-Initiative sind seit 2004 insgesamt sieben Volksbegehren angenommen worden. Davon stammen nicht weniger als vier von Absendern, die sich mit ihren Anliegen vom politischen Establishment ausgegrenzt fühlten und darum zur Selbsthilfe griffen.

Zu diesen Einzelkämpfern gehört die St. Gallerin Anita Chaaban. Nach der Vergewaltigung ihrer Patentochter hatte die Hausfrau 1988 praktisch im Alleingang eine Initiative “für die lebenslange Verwahrung von Sexual- und Gewaltstraftätern” lanciert. Das Begehren wurde 2004 angenommen.

Einen weiteren Überraschungserfolg landeten 2008 die Genferin Christine Bussat und ihre Elternorganisation Marche Blanche. Ihre Vorlage “für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten mit Kindern” schaffte die Abstimmungshürde allerdings nur knapp.

Obwohl seit über 40 Jahren mit politischen Vorstössen aktiv, haftet auch Natur- und Tierschützer Franz Weber hartnäckig das Etikett des Aussenseiters an. Im März 2012 wurde Webers Zweitwohnungs-Initiative vom Volk angenommen.

Benachteiligung des Standortes

Der freisinnige Nationalrat Fulvio Pelli sieht den Wirtschaftsstandort Schweiz nach dem deutlichen Ja benachteiligt. “Das Interesse von internationalen Unternehmen wird sinken, in die Schweiz zu ziehen”, sagte Pelli.

Aus Sicht von Pelli gilt es allerdings den Willen des Stimmvolks bei der Umsetzung der Initiative vollumfänglich zu respektieren. Die Bevölkerung habe deutlich gemacht, dass die Praxis der “Selbstbedienungsmentalität” nicht weiter toleriert werde.

Wallis schert aus

Die Revision des Raumplanungsgesetzes wurde von allen Kantonen mit deutlichen Mehrheiten gutgeheissen. Einzig und alleine der Kanton Wallis lehnte die Vorlage massiv ab, denn der Kanton ist wegen seiner zahlreichen überdimensionierten Bauzonen besonders stark von der Revision betroffen.

Diese Revision hat zum Ziel, die teilweise auf Jahrzehnte hinaus angelegten Bauzonen zu verkleinern und so die Zersiedelung des Landes zu bremsen. Wenn Land rückgezont wird, sollen die Kantone die Besitzer dafür entschädigen.

Landeigentümer, deren Land neu in die Bauzone kommt, sollen auf die damit verbundene Wertsteigerung 20% entrichten müssen, wenn das Grundstück überbaut oder verkauft wird.

Gerichtsverfahren vorprogrammiert

Die Hauseigentümer fürchten nach dem deutlichen Ja die “unerwünschten Nebenwirkungen” wie steigende Wohnkosten und die Mehrwertabgabe.

Die Gesetzesrevision werde “in verschiedenen Kantonen – nicht nur im Wallis – zu umfangreichen Rückzonungen von Bauland in die Landwirtschaftszone führen. Die Eigentümer der betroffenen Flächen werden sich zu Recht wehren. Zahlreiche Gerichtsverfahren und hohe Entschädigungsforderungen sind hier vorprogrammiert”, schreibt der Hauseigentümerverband.

Zufrieden mit dem klaren Ja ist hingegen der Mieterverband. Er zeigt sich erleichtert darüber, dass “die irreführende gegnerische Propaganda unter dem Titel ‘Horrormieten’ nicht verfangen” habe.

Es gehe nun darum, die Revision rasch und effizient umzusetzen. Der Mieterverband werde darauf achten, “dass die Kantone zusammen mit den Gemeinden griffige Massnahmen gegen die Baulandhortung einführen und die Mehrwertabschöpfung schnell umsetzen”.

Deutschschweiz bodigt Familienartikel

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird nicht in der Verfassung festgeschrieben. Der Familienartikel ist in der Abstimmung vom Sonntag am Ständemehr gescheitert. Den Ausschlag gaben die ländlich-konservativen Deutschschweizer Kantone.

Am Volksmehr wäre der Familienartikel nicht gescheitert. Eine Mehrheit von 54,3% hiess den neuen Verfassungsartikel gut. Das für Verfassungsänderungen zusätzlich nötige Ständemehr kam indessen nicht zustande: Elf Kantone und vier Halbkantone lehnten die Vorlage ab, auf der Befürworter-Seite standen neun Kantone und zwei Halbkantone.

Ausgesprochen deutlich war die Ablehnung in den ländlichen Kantonen der Deutschschweiz. Neben dem Stadt-Land-Graben gab es auch einen Graben zwischen den Landesteilen: Die Romandie und das Tessin hiessen den Artikel mit satten Mehrheuten gut. Neben dieser lateinischen Phalanx sagten auch die Kantone Basel Land und Basel-Stadt, Zürich und Solothurn Ja.

Seltene Konstellation

Dass eine Vorlage ein Volksmehr erreicht, aber am Ständemehr scheitert, ist rar. Zum letzten Mal scheiterte 1994 die erleichterte Einbürgerung am Ständemehr.

Die drei hoch umstrittenen Vorlagen haben leicht überdurchschnittlich viele Stimmberechtigte an die Urne gelockt. Die Stimmbeteiligung lag bei rund 46%.

11 Kantone haben vom Bundesrat die Bewilligung erhalten, bei der Volksabstimmung vom 3. März 2013 die elektronische Stimmabgabe anzuwenden.
 
Damit haben rund 162’000 Stimmberechtigte die Möglichkeit, ihre Stimme über das Internet abzugeben. Alle beteiligten Kantone haben bereits erfolgreich Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe durchgeführt.
 
Die Möglichkeit, elektronisch ihre Stimme abzugeben, haben die Auslandschweizer und Auslandschweizerinnen, die in den 11 Kantonen Bern, Luzern, Freiburg, Basel-Stadt, Schaffhausen, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Neuenburg und Genf registriert sind.
 
Derzeit steht die elektronische Stimmabgabe jenen Auslandschweizern zur Verfügung, die entweder in einem EU-Land, in Liechtenstein, Andorra, Nordzypern, im Vatikan-Staat, in Monaco, San Marino oder in einem der 45 Staaten wohnen, welche die sogenannte “Vereinbarung von Wassenaar” unterzeichnet haben.

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