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Ein Amt, das “unsere kleine Musik hörbar macht”

Der Armeeminister an der Basis: Bundesrat Ueli Maurer beim Truppenbesuch. Reuters

Ein Amt in einem festgelegten Turnus für ein Jahr: das ist das Amt des "Präsidenten" der Schweiz. Bestrebungen für ein zweijähriges Präsidium und damit für mehr Kontinuität scheitern regelmässig. Damit hätten nicht mehr alle dieselben Chancen, sagen die Reform-Gegner.

Am 5. Dezember wird die Vereinigte Bundesversammlung den Bundespräsidenten für das Jahr 2013 wählen. An der Reihe ist Bundesrat Ueli Maurer. Das Wahlkriterium ist klar: Es gilt das Anciennitätsprinzip.

Der Bundespräsident leitet die Bundesratssitzungen und nimmt im In- und im Ausland Repräsentationsaufgaben wahr. Gleichzeitig führt er sein Departement und gilt als “Primus inter Pares”, als Erster unter Gleichgestellten, ist also den anderen Bundesräten nicht übergeordnet. Nach einem Jahr ist Schluss, und der oder die Nächste kommt zum Zug.

“Im Ausland hat man ein bisschen Mühe damit, dass es jedes Jahr ein anderer ist”, sagt der ehemalige Direktor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, Walter Fust, gegenüber swissinfo.ch. “Sonst ist die Schweiz ja durch ihre Kontinuität bekannt, aber im Auftreten auf höchster Landesebene ist sie nicht kontinuierlich. In vielen Ländern weiss man nicht, dass er ‘ein Primus inter Pares’ ist. Man weiss auch nicht, dass er noch sein Departement führen muss.”

Weniger Chancen für Minderheiten

Seit mehr als zehn Jahren wird immer wieder über eine Amtszeit-Verlängerung diskutiert. Zugespitzt hat sich die Debatte auch wegen der verschiedenen heiklen Dossiers in den Beziehungen mit anderen Ländern: Etwa der Steuerstreit mit den USA, der EU, Deutschland sowie institutionelle Probleme mit der EU.

2010 hat der Bundesrat vorgeschlagen, die Zahl der Bundesratsmitglieder von sieben auf neun und die Amtszeit des Bundespräsidenten auf zwei Jahre zu erhöhen. Die Mehrheit des Parlaments hat die Erhöhung der Zahl der Bundesräte und auch die zweijährige Amtszeit abgelehnt und ist damit dem Anliegen nach mehr Kontinuität in den Beziehungen mit dem Ausland nicht nachgekommen.

“Es gibt die Befürchtung, dass dann nicht mehr alle Parteien und sprachlichen Minoritäten regelmässig das Präsidium innehätten, dass also generell nicht mehr alle Bundesräte die Chance hätten, Bundespräsident zu werden”, sagte der Präsident der zuständigen Nationalratskommission, der freisinige Kurt Fluri, zu den Gründen für die Ablehnung.

Grosse zeitliche Belastung

Die Verlängerung um ein Jahr finde sie “keine gute Idee”, sagt alt Bundesrätin Ruth Dreifuss, die 1999 als erste Frau in der Geschichte des Landes Bundespräsidentin war. “Es war sehr schön, Präsidentin zu sein, aber zeitlich eine grosse Belastung, da ich gleichzeitig Departementsvorsteherin war. Für ein Jahr ist das Amt sehr bereichernd, aber mehr bringt nichts.”

Sie habe sich als Bundespräsidentin immer als Innenministerin gefühlt, sagt Dreifuss. Denn die Beziehungen zum Ausland seien hauptsächlich protokollarisch. “Inhaltlich findet die Aussenpolitik in den Departementen statt. Sie alle pflegen internationale Beziehungen.”

Das Innendepartement sei “reich an internationalen Kontakten in Umwelt-, Gesundheit- und Hochschulfragen” und das Amt als Bundespräsidentin “eine grosse Chance” gewesen. “Ich habe immer gesagt, ‘es erlaubt unsere kleine Musik hörbar zu machen’. Im Inland, aber auch in den Beziehungen mit anderen Ländern. Man kann den Blickwinkel auf das lenken, was man für wichtig hält. Für mich als Sozialdemokratin war es sehr wichtig, den Blick auf schlechter gestellte Mitbürgerinnen und Mitbürger und auf internationale Ungleichheiten zu lenken.”

Auslands-Wahrnehmung beeinflussen

Obwohl für die Aussenpolitik laut Verfassung nicht der Aussenminister alleine, sondern der gesamte Bundesrat zuständig ist, fühlten sich “viele Bundesräte wie ein Siebtel Aussenminister”, wenn sie als Bundespräsident ins Ausland reisten, sagt Walter Fust.

Der Bundespräsident könne “vieles bewirken. Etwa indem er das Bundesrats-Gremium gut führt, aber auch durch sein Auftreten und damit in der Wahrnehmung der Bürger im In- und jener der Partner im Ausland. Das gibt ihm einen bestimmten Gestaltungsraum.” Im Parlament sei dieser jedoch gering, da er sein Departement vertrete.

“Im Ausland hingegen sendet er – besonders auch über die internationalen Medien – ein Image des Landes aus. Dann kommt es drauf an, wie das aufgenommen wird. Von seinem Verhalten hängt relativ viel ab. Es entscheidet auch darüber, wie die Leute im Ausland die Schweiz wahrnehmen”, so Fust.

Gradmesser der Akzeptanz

Bundespräsidentinnen- und Bundespräsidenten-Wahlen sind auch Gradmesser für deren Beliebtheit und politische Akzeptanz. So wurde die Sozialdemokratin Micheline Calmy-Rey vor zwei Jahren mit einem schlechten Resultat zur Bundespräsidentin gewählt.

Auch Bundesrat Maurer kann nicht mit einem Glanzresultat rechnen. Er ist als Hardliner der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und als Gegner jeglicher Annäherungen an die EU bekannt. Zudem pflegt er in der Beurteilung politischer Gegner, berufstätiger Frauen, von Immigranten oder Institutionen der EU eine wenig diplomatische Sprache. Vor allem linke Parlamentarier werden Maurer deshalb einen Denkzettel verpassen.

Er sei “ein geselliger Mensch”, sagte Maurer im vergangenen Sommer gegenüber der deutschen Wochenzeitung Die Zeit. “Aber ich hocke lieber mit Kollegen am Stammtisch mit Bier und Sandwich, als dass ich stundenlang in Fünf-Sterne-Hotels in steifer Atmosphäre so Häppchen essen muss.”

Grossräumig denken

“Mit der Wahl in den Bundesrat wissen die Politiker, dass sie nach der Anciennitätsregel an die Reihe kommen und das Präsidium führen werden. Damit akzeptieren sie dieses Amt von Beginn weg”, sagt der Historiker Urs Altermatt: “Wenn die Schwinger, die Turner oder ein Kanton ein Jubiläum feiern, dann geht Ueli Maurer sicherlich gern dorthin.”

Er habe “keine oder keinen gekannt, der das nicht gern gemacht hat”, sagt Walter Fust, der die Bundespräsidenten der vergangenen 35 Jahre erlebt hat. “Ueli Maurer muss in diesem Amt zeigen, dass er über der Partei steht. Er muss sich diplomatisch verhalten und darf nicht die Kleinräumigkeit der Schweiz vor sich haben. Da darf man grossräumig denken, auch wenn man als Bundesrat kleinräumig handeln muss.”

Die Vereinigte Bundes-Versammlung wählt jedes Jahr während der Wintersession aus den sieben Bundesräten den Bundes-Präsidenten sowie den Vizepräsidenten des Bundesrates.

Dieses Jahr finden die Wahlen am 5. Dezember statt.

Ein neues Bundesratsmitglied wird zuerst zum Vizepräsidenten und anschliessend zum Bundespräsidenten gewählt.

Bundesrat Maurer ist 2012 Vizepräsident und wird 2013 Präsident sein. Vizepräsident 2013 wird Bundesrat Didier Burkhalter.

2012 Eveline Widmer-Schlumpf (BDP)

2011 Micheline Calmy-Rey (SP)

2010 Doris Leuthard (CVP)

2009 Hans-Rudolf Merz (FDP)

2008 Pascal Couchepin (FDP)

2007 Micheline Calmy-Rey (SP)

2006 Moritz Leuenberger (SP)

2005 Samuel Schmid (SVP)

2004 Joseph Deiss (CVP)

2003 Pascal Couchepin (FDP)

2002 Kaspar Villiger (FDP)

2001 Moritz Leuenberger

2000 Adolf Ogi (SVP)

1999 Ruth Dreifuss (SP)

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