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Pascal Couchepin: “In Burundi wird es keinen Genozid geben”

Die Kommunalwahlen vom 29. Juni wurden von der Opposition boykottiert. Keystone

Pascal Couchepin ist Delegierter der Internationalen Organisation der Frankophonie in Burundi, einem Land, das unter einer grossen politischen Krise leidet. Trotz den Spannungen und der Gewalt ist der ehemalige Bundespräsident überzeugt, dass das Land nicht in einen ethnischen Krieg versinke, wie er im Interview sagt.

Ein Präsident, der die Verfassung zu seinen Gunsten auslegt. Gewalttätige Ausschreitungen. Ein Land, das ins Chaos abzudriften droht: Das ist Burundi.

Als Präsident Pierre Nkurunziza Ende April offiziell seine Kandidatur für eine dritte Amtsperiode ankündete, löste das in Burundi gewaltsame Proteste aus, die von der Polizei niedergeschlagen wurden. 70 Menschen starben, weitere 120’000 flüchteten aus dem Land.

In den Augen der Opposition ist die Kandidatur von Nkurunziza nicht verfassungskonform und widerspricht den Verträgen von Arusha, die nach dem Bürgerkrieg (1993-2005) zwischen der von der Tutsi-Elite dominierten Armee und den oppositionellen Hutu abgeschlossen wurden.

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Trotz den gewalttätigen Ausschreitungen und der Aufforderung der internationalen Gemeinschaft, die Wahlen zu verschieben, hält Präsident Nkurunziza am Wahltermin vom 15. Juli fest. Am 29. Juni fanden die Kommunalwahlen statt.

Alt-Bundesrat Pascal Couchepin war vom 3. bis 7. Juni 2015 als Sonderbeauftragter der Internationalen Organisation für FrankophonieExterner Link im französischsprachigen Burundi.

swissinfo.ch: Präsident Nkurunziza will die Wahlen gegen jeden Widerstand durchziehen. Wie erklären Sie sich sein Verhalten?

Pascal Couchepin: Sicherlich liebt er die Macht und will weiter von den Vorteilen profitieren, die ihm seine Position in einem kleinen und armen Land ohne Ressourcen einbringt.

Es ist wahrscheinlich, dass er auch die Präsidentenwahlen am 15. Juli durchziehen und im Nachhinein per Verfassungsänderung seine Wiederwahl legalisieren will.

swissinfo.ch: Hat die Opposition überhaupt noch etwas zu sagen im Land?

P.C.: Ja, ich bewundere die Leute, die sich trotz den Warnungen der Machthabenden noch zu Wort melden. Die Opposition existiert, aber sie hat grosse Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Das hat auch damit zu tun, dass die Kommunikationsmittel, insbesondere die Privat-Radios, nach dem Militärputsch von 12. Mai geschlossen wurden.

swissinfo.ch: Fürchten Sie, dass die ethnischen Spannungen wieder so stark werden, dass es zu einem weiteren Bürgerkrieg kommt?

P.C.: Das Risiko existiert, aber es ist begrenzt. In den vergangenen fünf Jahren haben sich die ethnischen Spannungen eher beruhigt. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Kohäsion und der ethnische Friede trotz den politischen Spannungen werden aufrechterhalten lassen. Aber es gibt keine Garantie, weil gewisse Kreise, die der Macht nahe stehen, versuchen, der Tutsi-Minderheit die Verantwortung für das, was passiert, anzulasten.

swissinfo.ch: Wir erinnern uns noch an den Genozid 1994 in Ruanda. Kann die Hypothese, dass sich ein ähnliches Horrorszenario in Burundi wiederholt, ausgeschlossen werden?

P.C.: In Burundi wird es keinen Genozid geben. Das würde sofort die Nachbarländer, besonders Ruanda, auf den Plan rufen. Ethnisch begründete Auseinandersetzungen kann es geben, aber das Land befindet sich nicht am Rande eines Bürgerkriegs. Das heisst nicht, dass die Spannungen gross sind, besonders in den Städten, aber auch auf dem Land, wo die jungen Milizen der machthabenden Partei untolerierbare Gräueltaten verüben.

Pascal Couchepin. Keystone

swissinfo.ch: Welchen Spielraum hat die internationale Gemeinschaft, um aus dieser Sackgasse raus zu kommen?

P.C.: Der Spielraum ist klein. Die Vertreter der afrikanischen Länder sind zu Recht der Meinung, dass die Zeiten der Einmischung in ihre Angelegenheiten vorbei sind. Dennoch sind auch die Afrikaner gegenüber dem Urteil der internationalen Gemeinschaft aufgeschlossen.

swissinfo.ch: Um die Lösung der Krise bemühen sich verschiedene internationale Organisationen. Welche Rolle kann die Internationalen Organisation der Frankophonie dabei übernehmen?

P.C.: Ihre Rolle besteht darin, die Anstrengungen der Internationalen Gemeinschaft zu unterstützen, namentlich jene der Afrikanischen Union und der UNO. Es ist wichtig, dass wir mit einer Stimme sprechen. Wir sind uns bewusst, dass wir nicht mehr tun können als die andern Akteure in dieser Region.

swissinfo.ch: Ein anderer Schweizer, Botschafter Paul SegerExterner Link, ist Vorsitzender der UNO-Friedensbildungs-Kommission für Burundi. Ist der Schweizer Pass ein Vorteil für wichtige Ämter in der Region der Grossen Seen?

P.C.: Die Schweiz war nicht in die koloniale Vergangenheit Afrikas involviert. Ihre Repräsentanten sind deshalb gut angesehen auf dem Kontingent. Gleichzeitig ist die Schweiz keine Grossmacht und verfügt über keine Druckmittel. Wir haben also weder Nachteile noch einen besonderen Trumpf im Vergleich zu andern Ländern.

Biografie

Pascal Couchepin wurde 1942 in Martigny (Wallis) geboren. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Lausanne eröffnete er 1968 eine Anwaltskanzlei in Martigny.

Als Mitglied der damaligen Freisinnig-Demokratischen Partei FPD, heute FDP.Die Liberalen (bürgerliche Partei), hat er sich seine ersten politischen Sporen in Martigny verdient. Während 30 Jahren sass er in der Regierung der Stadt, davon fast die Hälfte der Zeit (1984-1998) als Stadtpräsident.

Gleichzeitig war er von 1979 bis 1998 Nationalrat des Bundesparlaments. Während sieben Jahren war er Präsident der FDP-Fraktion (1989-1996).

Am 11. März 1998 wurde er von der Vereinigten Bundesversammlung in den Bundesrat (Regierung) gewählt. Von 1998 bis 2002 war er Vorsteher des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD), von 2003 bis 2009 leitete er das Departement des Inneren (EDI). Zudem hatte er turnusgemäss zwei Mal – 2003 und 2008 – das rotierende Amt des Bundespräsidenten inne.

Im Juni 2015 wurde er zum Sondergesandten der Internationalen Organisation der Frankophonie für die Region der Grossen Seen in Ostafrika nominiert.

(Übersetzt aus dem Französischen: Andreas Keiser)

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