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Indien-Schweiz: Neuer Schwung in den Beziehungen?

Indiens Präsidentin Pratihba Patil mit einer 45-köpfigen Geschäfts-Delegation zu Besuch in der Schweiz. Keystone

Die Schweiz ist zuversichtlich, dass die Verhandlungen rund um das Freihandels-Abkommen mit Indien bald abgeschlossen werden. Doch noch bleiben einige Fragen offen.

Die indische Präsidentin Pratibha Patil hat der Schweiz mit einer Delegation von 45 Geschäftsleuten einen zweitätigen Staatsbesuch abgestattet.

Die Gespräche umfassten bilaterale Kontakte sowie eine Zusammenarbeit im Finanz- und Forschungsbereich.

Indien gehört zu den vier wichtigsten asiatischen Handelspartnern der Schweiz. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern belief sich 2010 auf 3,6 Mrd. Franken.

Präsidentin Patil erklärte am Montag in Bern, dass in der künftigen Zusammenarbeit noch “enorme Energien” steckten und eine “grosse Bandbreite zur Erweiterung der bestehenden Wirtschaftsbeziehungen”.

“In Schlüsselbranchen wie Cleantech, Umweltschutz und urbaner Abfallbewirtschaftung kann uns die Schweizer Industrie innovative Lösungen anbieten”, sagte sie.

“Indien andererseits hat sich weltweit einen guten Namen gemacht mit Arbeitskräften. Ausserdem sind wir zur Drehscheibe für eine wettbewerbsfähige industrielle Verarbeitung geworden”, sagte der Besuch aus Indien.

Die Schweiz als EFTA-Mitglied (Europäische Freihandels-Assoziation) verhandelt seit 2008 mit Indien über ein Freihandels-Abkommen, das wahrscheinlich bis Ende 2011 stehen sollte.

Gelegenheiten

Der Leiter des Ressorts Freihandels-Abkommen beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Martin Zbinden, ist zuversichtlich, dass dieses Ziel eingehalten werde.

“Ein Abschluss auf Ende 2011 oder eventuell Anfang 2012 ist nach wie vor das gemeinsame Ziel”, sagt er gegenüber swissinfo.ch. “Wir geben beim Verhandlungs-Rhythmus Gas und planen zwei weitere volle Sitzungen dieses Jahr.”

In Indien stehen im kommenden März Wahlen an. Deshalb wird es wohl zu einigen Personalveränderungen kommen. Beide Seiten verstehen dies als Gelegenheit, das Abkommen zu einem Ende zu führen.

Zbinden, der bereits zahlreiche Freihandels-Abkommen mit ausgehandelt hat, hat nicht den Eindruck, dass die indischen Verhandlungspartner härter als jene anderer Länder aufgetreten seien.

“Jedes Land verteidigt hier seine eigenen Interessen, auch die Schweiz”, so Zbinden. “Aber Indien ist sich seines wirtschaftlichen Potenzials und des Gewichtes seiner Märkte sehr bewusst.”  

Die Schweizer Aussenministerin und Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey hofft, dass das Freihandels-Abkommen “neuen Schwung in die Beziehungen” der beiden Länder bringt.

Hindernisse beim Verhandeln

Dennoch bleiben noch einige wichtige Verhandlungspunkte zu lösen. So sucht die Schweizer Pharma- und Chemieindustrie Zugang zu indischen Märkten, während Indien selber eine Pharmabranche aufbaut (Generika). Auch die Maschinen- und Uhrenindustrie ist daran interessiert.

Indien möchte jedoch die Einfuhrzölle für gewisse Produkte aus diesen Bereichen nicht senken. Gerade diese machen aber 30% des Handels mit der Schweiz aus.

Alliance Sud, die gemeinsame entwicklungspolitische Lobbyorganisation von Schweizer Hilfswerken, weiss weshalb: “Indische KMU könnten durch den Markteintritt der Schweizer gefährdet sein”, so Sprecherin Isolda Agazzi.

Die Schweiz möchte im Freihandels-Abkommen auch ihre Eigentumsrechte (geistiges Eigentum wie Marken- und Patentschutz) stärken. Die Schweiz möchte den Patentschutz für ihre Produkte in Indien besser durchsetzen.

Damit könnten indische Kopieproduzenten davon abgehalten werden, Generika von Schweizer Produkten herzustellen, ohne sich an den teuren klinischen Tests beteiligt zu haben, die es für diese Produkte braucht.

Doch die Schweizer Entwicklungs-Organisationen argumentieren, dass ein stärkerer Patentschutz in Indien den dortigen Generika-Herstellern schaden würde. 

Agazzi vermutet, dass die Schweiz wahrscheinlich der EU-Politik folgen wird. Auch die EU verhandle mit Indien über ein Freihandels-Abkommen und werde wohl einige Forderungen im Bereich der Exklusivität von Datenmaterial fallen lassen.

Hindernisse bei der Immigration

Ein weiteres Problem stellt sich den indischen Exporteuren von Dienstleistungen, vor allem im Bereich Information und Kommunikations-Technologie (ICT). Es geht um indische Arbeitskräfte, respektive ihre Immigration in die Schweiz.

Die Arbeitsmärkte der Schweiz sind seit 2002 für EU- und EFTA-Bürger offen. Arbeitssuchende aus Drittländern jedoch müssen hochqualifiziert sein, um in der Schweiz Arbeit zu erhalten.

Dieses Jahr wird die Schweiz höchstens 8500 Visa für Arbeitnehmer aus Nicht-EU-Staaten erteilen. Arbeitnehmer, die in der Schweiz für mehr als nur einige Monate beschäftigt sein werden. Diese Einschränkung bereitet zahlreichen ICT-Auftragnehmern Kopfschmerzen.

Andererseits schätzt man, dass der Schweiz bis 2017 rund 32’000 qualifizierte Arbeitskräfte im ICT-Bereich fehlen werden, während in Indien die ICT-Branche ständig zunimmt.

Im vergangenen Monat hat das Volkswirtschafts-Departement 40 Massnahmen vorgestellt, wie mit dem Manko an geschulter Arbeitskraft, das sich für die Zukunft ab 2020 abzeichnet, umgegangen werden soll. Vorgeschlagen wird dabei ausser einer besseren Ausschöpfung der nationalen Arbeitskraftreserven auch die Unterstützung einer gezielten Einwanderung.

Das Thema Einwanderung gehört aber nicht nur im laufenden Wahljahr zu den politisch heissesten Eisen der Schweiz. “Die Zunahme der Quoten muss unter Kontrolle bleiben, damit Schweizer Unternehmen dazu ermuntert werden, selber in IT-Ausbildungen zu investieren”, sagt dazu Andreas Knöpfli, Präsident von ICT, der Dachorganisation der schweizerischen Informatik- und Telekombranche.

Der indisch-schweizerische Handel geht bis auf 1851 zurück, als das Handelshaus Volkart in Bombay eine Niederlassung eröffnete.

Heute sind rund 127 Schweizer Unternehmen in Indien vertreten.

Umgekehrt sind indische Firmen weniger interessiert an Schweizer Niederlassungen oder Sitzen gewesen.

Es gibt rund 100 indische Firmen in der Schweiz.

Einige bekannte ICT-Unternehmen (Informatik und Telekom) wie Infosys, Cognizant, Polaris oder Birlasoft haben in der Schweiz Aktivitäten entwickelt.

Der Wert der indischen ICT-Investitionen in der Schweiz wuchs von 350 Mio. Fr. 2009 auf 450 Mio. Fr. 2010.

Das Handelsvolumen nahm von 1,6 Mrd. 2004 auf 3,5 Mrd. Franken 2008 zu.

Im Mai 2005 hat zum letzten Mal ein indisches Staatsoberhaupt die Schweiz besucht.

Präsidentin Pratibha Patil stattete der Schweiz am 3. und 4. Oktober 2011 einen Besuch ab. In Bern führte sie Gespräche über die wachsenden bilateralen Beziehungen und die Bereiche Finanzen und Forschung.

Am Montag bedankte sich Patil für die Unterstützung durch die Schweiz bei der Kandidatur Indiens für einen nicht-ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat für 2011-2012.

Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann traf die indische Geschäfts-Delegation am Montag Abend. Dabei wurden die Freihandels-Diskussionen fortgesetzt.

Am Dienstag reiste die Delegation an den Genfersee. In Lausanne wurde an der Universität eine Absichtserklärung für einen Lehrstuhl für indische Studien unterzeichnet.

Damit soll der 150. Geburtstag des Nobelpreisträgers Rabindranath Tagore gefeiert werden.
 

Präsidentin Patil und ihr Gefolge werden während ihrer Europareise auch Österreich einen Staatsbesuch abstatten.

(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

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