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Putins Schlupflöcher im Visier: Bill Browders Kampf gegen die Schweiz

Bankenplatz Schweiz, Zürich Paradeplatz
Bankenplatz Schweiz, hier der Zürcher Paradeplatz. "Die Schweiz hat keine Weissgeld-Strategie entwickelt", sagt Bill Browder. © Keystone / Gaetan Bally

Investor Bill Browder hat sich dem Kampf gegen Korruption und Geldwäscherei verschrieben. Er arbeitet daran, dass die USA und internationale Organisationen den Druck auf die Schweiz erhöhen. Hier erklärt er, warum.

In unserer Interview-Serie kritisieren die führenden Köpfe der russischen Opposition den laxen Umgang der Schweiz mit russischen Vermögenswerten. Die Sanktionspolitik der Schweiz sei angesichts ihrer Bedeutung für russisches Kapital und Rohstoffe zu defensiv.

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Putin Gegner

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Putins Gegner kritisieren die Schweiz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht swissinfo.ch hat die wichtigsten Stimmen der russischen Opposition kontaktiert. Lesen Sie, was diese über die Schweiz sagen.

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Der lauteste Kämpfer gegen Korruption in Russland ist Bill Browder. Browder ist Geschäftsführer der Fondsgesellschaft Hermitage Capital Management mit Sitz in London. International bekannt wurde Browder als Aktivist gegen Geldwäsche, konkret: Mit dem Magnitski-Fall.

Der russische Anwalt Sergei Magnitski starb 2009 unter ungeklärten Umständen in einem Gefängnis in Moskau. Magnitski hatte für Bill Browder gearbeitet. Er hatte die Verstrickung russischer Funktionäre in einen mutmasslichen 230 Millionen Dollar-Betrug aufgedeckt. Es handelte sich um Gelder, welche Browders Fondsgesellschaft an die Steuerbehörden Russlands gezahlt hatte. Diese wurden aber von korrupten Steuerbeamten veruntreut. Die Gelder sind laut Browder dann auf ausländischen Konten der mutmasslichen Betrüger gelandet. Sergei Magnitski bezahlte seine Betrugsermittlung wohl mit dem Leben. Seither ist Browder Magnitskis Fürsprecher.

Keystone

Nach Browders intensivem Lobbying verabschiedete der US-Kongress 2012 den sogenannten Magnitski Act. Dieser besagt, dass Personen, die mit dem Fall in Verbindung stehen, sanktioniert werden können – inklusive Einfrieren aller Vermögenswerte. Die EU und weitere Staaten übernahmen diese Vorlage. Das im Magnitski Act beschrittene Verfahren gilt heute international als Standard für ähnlich gelagerte Fälle.

Mehr zum Magnitski-Fall lesen Sie hier.

swissinfo.ch: Bill Browder, welchen Eindruck haben Sie vom obersten Schweizer Strafverfolger, Bundesanwalt Stefan Blättler?

Bill Browder: Er könnte den Schlamassel beheben, den sein Vorgänger Michael Lauber hinterlassen hat. Aber Stefan Blättler will offenbar keinen Staub aufwirbeln. Die Schweiz ist nicht besser geworden.

Bill Browder
Bill Browder. Copyright 2020 The Associated Press. All Rights Reserved

Die Schweizerische Bankiervereinigung schätzt, dass 150 bis 200 Milliarden Schweizer Franken auf Konten russischer Bürger im Land liegen. Ihre Einschätzung?

Wenn dies die offiziellen Zahlen sind, dann sind die tatsächlichen wohl um einige Grössenordnungen höher. Wenn wir diese Zahlen mit den Beträgen vergleichen, die tatsächlich in der Schweiz eingefroren wurden – es handelt sich um etwa 7,5 Milliarden Dollar –, dann sind etwa 4 % der russischen Gelder in der Schweiz eingefroren worden. Das sagt mir, die Schweiz kommt ihrer Verantwortung auf dramatische Weise nicht nach.

Sie agieren gegen die Schweiz. Was ist Ihr Plan?

Ich möchte, dass sich die Art und Weise ändert, wie die USA mit der Schweiz und den Schweizer Behörden zusammenarbeiten. Dafür arbeite ich mit US-Gesetzgebern zusammen. Wir wollen, dass die Schweiz in dieser Situation nicht mehr als ein Staat gilt, der internationale Regeln einhält. Das würde dann bedeuten, dass das Rechtshilfeabkommen zwischen den USA und der Schweiz angepasst werden muss. Auch wie die OECD die Schweiz beurteilt oder der Europarat und seine GRECO-Task Force – das könnte sich alles ändern.

Dabei hat die Schweiz eine “Weissgeldstrategie” eingeführt. Hat dies nichts gebracht?

Ich sehe meinen eigenen Fall. Wir haben 20 Millionen Dollar identifiziert, die den Personen gehören, die von der Ermordung Sergei Magnitskis profitierten. Und wir können das beweisen. Dass die Schweiz den grössten Teil dieses Geldes exakt jenen Figuren zurückgibt, lässt nur einen Schluss zu: Sie konnte keine Weissgeldstrategie entwickeln.

Im Gegenteil hat sie etwa Geld an die Tochter des Diktators von Usbekistan zurückgegeben, der es seinem Volk gestohlen hat. Und sie gab Geld an den stellvertretenden Landwirtschaftsminister von Russland zurück, der grosse Vermögen gestohlen hat. Ein Blick auf die Liste dieser Fälle ist schockierend: All die gescheiterten Ermittlungen oder die Ermittlungen, die gar nicht erst ergriffen wurden. Wenn die Schweiz so weitermachen will, okay für mich. Dann aber sollte das Land herabgestuft werden in eine Kategorie, die besagt: Alle Gelder aus der Schweiz sind grundsätzlich verdächtig.

In Ihrem Buch “Freezing Order”* schreiben Sie über die Rolle der Schweiz im Fall Magnitski. Zunächst nahm die Schweizer Bundesanwaltschaft Ermittlungen auf, dann gab sie eingefrorene Gelder wieder frei. Ihre Erkenntnisse dazu?

Ich bin überzeugt, der Grund für die Kehrtwende der Schweiz war Korruption. Die Beweise waren eindeutig: Die in der Schweiz eingefrorenen Gelder standen in direktem Zusammenhang mit dem Mord an Sergei Magnitski. Wir wissen, dass Viktor K.**, der Bundespolizist im Schweizer Ermittlungsteam, in Russland der Korruption für schuldig befunden wurde.

Wie ist der Stand der Dinge in diesem Fall?

Die Schweizer Bundesanwaltschaft will die Gelder an die russischen Kriminellen zurückgeben, die hinter dem Diebstahl stecken. Wir haben diesen Entscheid angefochten und warten auf das Urteil.

Wann wird dieses kommen?

Keine Ahnung. Was man sagen kann: Es ist komplizierter geworden. Denn drei der Personen, denen die Schweiz Gelder zurückgeben will, wurden inzwischen von den Vereinigten Staaten, Kanada, Grossbritannien und Australien sanktioniert. Wenn also die Schweiz die Gelder retourniert, dann verstossen die ausführenden Banken gegen die Sanktionen dieser Länder.

Laut Schweizer Behörden flossen die Gelder aus dem mutmasslichen Betrug über ausländische Konten, bevor sie in die Schweiz gelangten. Dabei wurden sie mit anderen Geldern vermischt, deren Herkunft ebenfalls unklar ist. Wie soll man mit solchen Geldern umgehen?

Dieses Problem tritt bei jeder Art von Geldwäsche auf. Die Vereinten Nationen haben dazu die so genannte Palermo-Konvention veröffentlicht. Sie besagt, dass das gesamte Geld beschlagnahmt werden soll, wenn ein Teil der Gelder faul ist. Der Ansatz der Schweiz ist also falsch.

Die Kommission für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, auch bekannt als Helsinki-Kommission, bemängelt ein Schweizer Schlupfloch: Schweizer Anwälte können Oligarchen helfen, Gelder zu verstecken, ohne dass sie gegen Schweizer Gesetze verstossen….

… dieses Anwaltsgeheimnis ermöglicht der Schweiz, das Geldwäsche-Zentrum der Welt zu bleiben.

Der Schweizer Strafrechts- und Korruptionsexperte Mark Pieth sagt, dass Putin und ihm nahestehende Oligarchen das Schweizer System, einschliesslich der Justiz, korrumpiert haben. Ihr Kommentar?

Die Schweiz hat eine lange Geschichte unrühmlicher Geld-Geschäfte. Immer wenn ein Diktator stürzt, entdeckt man Milliarden auf Schweizer Banken. Und wir reden hier nicht von Verbrechen, bei denen es keine Opfer gibt. Normalerweise töten sie beim Stehlen viele Leute. Die Schweiz hilft also sehr bösen Menschen beim Stehlen, darunter auch Individuen, die Putin nahestehen.

Sie versucht das stets zu rechtfertigen, indem sie sich auf ihre Neutralität beruft. Aber man ist nicht neutral, wenn man Geld von Verbrechern annimmt. Die Schweiz muss also aufräumen. Sonst wird sie auf die schwarze Liste jener Länder gesetzt, die Geldwäsche fördern.

Ignazio Cassis, Sergei Lawrow.
“Russland wird von einem kriminellen Clan besetzt.” Die Aussenminister Sergei Lawrow und Ignazio Cassis bei der Eröffnung der Schweizer Botschaft in Moskau 2019. Keystone / Yuri Kochetkov

Sie kennen Russland gut. Ihre Einschätzung der aktuellen Lage?

Die Russen haben eine grosse Fähigkeit, Entbehrungen zu ertragen. Entscheidend wird sein, dass Putin diesen Krieg in der Ukraine verliert. Das russische Volk wird keinen schwachen Führer dulden. Keinen Verlierer.

Wie sehen Sie Russland nach Putin?

Russland ist ein grosses Land, aber derzeit von einem kriminellen Clan besetzt. Wenn Alexei Nawalny Präsident wird und Wladimir Kara-Mursa Ministerpräsident, dann habe ich grosse Hoffnungen.

Was halten Sie von den beiden Personen, die Sie gerade erwähnt haben?

Nachdem ich gesehen habe, wie sie im Gefängnis behandelt werden, würde ich es mit der Situation von Nelson Mandela unter dem Apartheidregime vergleichen. Diese Menschen sind Führer und sie haben grosse Opfer für ihr Land gebracht. Es liegt auf der Hand, dass diese beiden Persönlichkeiten das nächste Russland anführen sollten.

Editiert und ins Deutsche übertragen von Balz Rigendinger

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* Freezing Order, A True Story of Russian Money Laundering, Murder, and Surviving Vladimir Putin’s Wrath, Bill Browder, April 2022

**Name geändert, Identität der Redaktion bekannt

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