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“Die Landschaften bewahren, die unser Erbe sind”

Swissinfo Redaktion

Für die treibenden Kräfte hinter der Zersiedelungs-Initiative braucht es das Einfrieren der Bauzonen, um das Erbe künftiger Generationen zu bewahren. Der Schritt würde das Land nicht daran hindern, sich weiter zu entwickeln, sagt Kevin Morisod, Co-Präsident der Jungen Grünen Schweiz.

Am 10. Februar werden sich die Schweizer Stimmberechtigten an der Urne zum Einfluss der Zersiedelung auf die Landschaft äussern können. Die Volksinitiative “Zersiedelung stoppen – für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung” zielt darauf ab, die Zersiedelung zu reduzieren, um unser Kulturland, naturnahe Landschaften sowie weitere Grünflächen zu bewahren.

Standpunkt

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Sie ergänzt den durch das Raumplanungs-Gesetz (RPG) gesteckten Rahmen, indem der nachhaltige Schutz unverbauten Bodens ermöglicht wird. Boden ist eine einzigartige und seltene Ressource. Diese gilt es mit einer globalen, verantwortungsvollen Vision zu bewahren und zu nutzen: Das ist der zentrale Punkt eines Ja zur “Zersiedelungs-Initiative”.

Immer mehr Boden verschwindet unter Beton

Jedes Jahr verschwindet in der Schweiz eine Fläche, die 1,5 Mal jener der Stadt Genf entspricht, unter Beton. Strasseninfrastrukturen, Parkings und Parkplätze, zerstreut angesiedelte Wohngebäude, leere Wohnungen und überdimensionierte Industriezonen bedrohen Grünflächen und Kulturland. Die aktuelle Urbanisierung erfolgt zu 90% auf gutem Land: Felder, Gemüseanbauflächen, Obst- und Weinberge müssen Baggern weichen.

Diese Entwicklung zieht ein wahrhaftes Verschwinden unserer Anbaugebiete und von Wissen nach sich, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Geht es in diesem Tempo weiter, wird unser ganzes Territorium unter einer Betonplatte erstarren.

Dieses tägliche, kontinuierliche und irreversible Phänomen ist jedoch nicht unvermeidlich. Man kann konkrete Massnahmen ergreifen, um unseren Boden sinnvoller zu nutzen, indem weniger betoniert und besser gebaut wird.

Kevin Morisod
Kevin Morisod, geboren 1993, wuchs in Collombey im Kanton Wallis auf. Sein Vater war als Gemeinderat der Grünen Partei tätig, seine Mutter ist Präsidentin der lokalen Sektion der Grünen Partei. Nach der Matura begann er ein Medizinstudium in Lausanne. Nach einer Reise nach Tansania 2014 hat er im Sinn, sich später der humanitären Arbeit zu widmen. 2015 kandidierte er auf der Liste der Jungen Grünen des Kantons Wallis für den Nationalrat (grosse Parlamentskammer). Im Februar 2017 wurde er neben zwei Deutschschweizern zum Co-Präsidenten der Jungen Grünen der Schweiz gewählt. Adrien Perritaz/Keystone

Denaturierte Landschaften

Die Schweiz ist ein Land der Berge, Seen, Täler, Landwirtschaftszonen, Landschaften, Städte und Dörfer. Die bebaute Umwelt macht zwar nur einen kleinen Teil unseres gesamten Territoriums aus, aber ihr Einfluss auf die Landschaft ist beträchtlich. Durch die permanent fortschreitende Überbauung unserer Seeufer, Wiesen und Bergflanken verändert sich die ganze Landschaft der Schweiz.

Diese Entwicklung führt dazu, dass die typischen Merkmale unserer Kantone, der Charme unserer Dörfer und die Ruhe unserer Naturräume durch abgelegen erstellte Wohnbauten, neue Strassen und viele Belästigungen wie Lärm und Verschmutzung denaturiert werden. Unser Boden ist eine begrenzte Ressource, die wir erhalten müssen, um den Charme zu bewahren, der unser Land zu einem über seine Grenzen hinaus beliebten Ort macht.

Entwicklung ja, aber auf lange Sicht

Wie überall auf der Welt, muss die menschliche Aktivität auch hier weitergehen können. Es ist wichtig, Wohnraum für die Bevölkerung zu haben, die Dynamik einer Region zu unterstützen und die Beschäftigung zu fördern. Diese Entscheidungen können aber nicht aufgrund einer kurzfristigen Vision getroffen werden.

Mit ihrem begrenztem Territorium gehört die Schweiz zu den kleinsten Ländern Europas. Eine bessere Nutzung unseres Bodens ist daher unabdingbar, um Verantwortung und Dynamik unter einen Hut zu bringen.

Mit dem Raumplanungs-Gesetz können grundsätzlich alle 15 Jahre neue Bauzonen ausgeschieden und Kulturland zubetoniert werden, ohne Kompensation. Für diese programmierte Zersiedelung unseres Territoriums bietet die Initiative “Zersiedelung stoppen” eine Lösung: Nutzen wir die 400 km2 unbebautes Bauland, die heute eingezont sind und uns zur Verfügung stehen, nachhaltig. Diese Reserven allein reichen aus, um ein Bevölkerungswachstum von mindestens 1,5 Mio. Personen aufzufangen, was den mittelfristigen demografischen Anforderungen gerecht wird.

Die Betonierung unserer landwirtschaftlichen Flächen ist kein unabwendbares Schicksal. Und leere oder zerstreut und abgelegen erstellte Bauten ziehen Kosten für die Gemeinschaft nach sich (durch den Bau von Strassen oder die Installation öffentlicher Beleuchtung und anderer Infrastrukturen) und haben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Sie schwächen Gebiete, in denen Kleintiere, Vögel und Insekten Zuschlupf finden. In 15 Jahren sind aufgrund der Verstädterung 40% der Vögel zwischen Genf und Zürich verschwunden.

Die Initiative “Zersiedelung stoppen” weist den Weg zu klugem Bauen, um den Herausforderungen des Wohnungsbaus, der Wirtschaft und der Infrastrukturen des Landes gerecht zu werden. Und all dies auf eine Art und Weise, welche diese Bedürfnisse und die Umwelt respektiert.

Erbe schützen

Unser Boden ist ein Erbe, das wir von unseren Vorfahren erhalten haben und einst an unsere Kinder weitergeben werden. Doch was wird dies für eine Erbschaft, wenn sie aus Beton, Belastungen und Verschmutzung besteht? Was werden wir jenen Menschen von der Schweiz zeigen können, die entdecken werden, dass unsere mythischen Landschaften ernsthaft und dauerhaft verunstaltet wurden?

Am 10. Februar Ja zu sagen zur Initiative “Zersiedelung stoppen”, heisst diese Schweiz zu bewahren, an der wir hängen, unabhängig davon, wo wir leben. Als kleines Land, das vom Schmelzen der Gletscher, vom Bauernsterben und der Zersiedelung der Landschaft geprägt ist, sollten wir all den Reichtum, den wir geerbt haben, bewahren.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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