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Unabhängigkeit der Nationalbank auf dem Prüfstand

swissinfo.ch

Die Schockwelle, die dem Rücktritt von Philipp Hildebrand als Präsident der Schweizerischen Nationalbank folgte, ist abgeebbt. Die Geldpolitik der Zentralbank aber bleibt weiterhin im Fokus von Politikern und Interessengruppen.

Als die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Untergrenze für den Wechselkurs zum Euro vor einem Jahr auf 1,20 Franken festlegte, stiess diese Strategie zu Beginn auf viel Skepsis.

Politiker aus dem rechten Spektrum, angeführt durch die Schweizerische Volkspartei (SVP), erachteten die Aktion als zu riskant und verwiesen auf frühere Verluste, die bei SNB-Interventionen eingefahren worden waren.

Die politische Linke und Gewerkschaften bezichtigten die SNB, zu vorsichtig zu sein, während einige Ökonomen, Finanzhändler und Journalisten davor warnten, ein fester Wechselkurs könnte fehlzünden, sollte der Euro noch mehr nachgeben.

Ängste wurden auch geäussert, die Massnahmen der expansiven Geldpolitik könnten zu einer überhandnehmenden Inflation oder einer Immobilienblase führen.

Die Kritik wurde in jenem Moment persönlich, als Hildebrands Frau beschuldigt wurde, mit ihren eigenen Wechselkurs-Geschäften von den Interventionen der SNB profitiert zu haben.

Die Beweise – Bankauszüge, die ein IT-Mitarbeiter bei Hildebrands Hausbank gestohlen hatte – reichten, um das Schicksal des SNB-Präsidenten zu besiegeln.

Doch die Affäre schadete auch dem Ruf des SVP-Vordenkers Christoph Blocher und anderer Exponenten der Partei, als die Polizei gegen diese Untersuchungen wegen Verdachts auf Verletzung des Bankgeheimnisses aufnahm.

Angesichts der politischen Folgen bekräftigten alle Parteien ihre Unterstützung für die Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank. Der politische Druck auf die Nationalbank aber hält unvermittelt an.

Kalte Füsse

Keine Notenbank könne in einem politischen Vakuum arbeiten, wenn ihre Politik derart weitgehende Auswirkungen auf sehr viele Menschen habe, sagt Charles Wyplosz, Geldexperte am Genfer Graduate Institute.

“Bei einem so grossen Portfolio an Devisenreserven, wie es die SNB verwaltet, wird sie bald einmal mit Problemen konfrontiert werden”, sagt er gegenüber swissinfo.ch.

“Sie wird immer wieder neue Schubladen finden müssen, in die sie ihre Euros hineinstecken kann. Irgendwann wird es unausweichlich zu politischem Druck kommen, wenn einige Politiker wegen des Risikos einer solchen Strategie kalte Füsse bekommen werden.”

Im März hat das Parlament Vorschläge der SVP abgelehnt, den Handlungsspielraum der SNB bei Währungsgeschäften einzuschränken. SVP-Finanzfachmann Hans Kaufmann macht sich Sorgen über die politischen Folgen, wenn derart stark in eine Währung eingegriffen werde.

“Diese Strategie greift in die Geldpolitik der Europäischen Union ein”, sagt er gegenüber swissinfo.ch. “Wie will die SNB all diese Guthaben verkaufen, ohne die Infrastruktur der Eurozone zu beeinflussen?”

Kaufmann fürchtet auch, dass die Nationalbank zu viele ihrer Eier in einen Korb legt. Er hat ausgerechnet, dass die SNB heute fast zehn Prozent des deutschen Bundesdefizits hält. Dieses könnte an Wert verlieren, sollten die Rating-Agenturen Europas stärkste Wirtschaft herabstufen.

“Statt der restriktiven Politik der Investitionen in Staatsanleihen schlagen wir die Schaffung eines speziellen Fonds vor mit dem Mandat, in gewissen Industrien eine strategische Position zu übernehmen. Etwa im Bereich Telekommunikation oder Rohstoffe”, so Kaufmann. “Dieser Fonds wäre nicht ein Eingriff in die Geldpolitik, sondern in die Investitionspolitik.”

Armdrücken

Die Sozialdemokratische Partei (SP) wird ebenfalls beschuldigt, ein Armdrücken mit der SNB zu veranstalten. Zuallererst, weil sie mit Exporteuren, Gewerkschaften und der Tourismus-Industrie gemeinsame Sache macht und verlangt, die Wechselkurs-Untergrenze auf 1,40 Franken anzuheben, um Arbeitsstellen zu retten.

SP-Spitzenpolitikerin Susanne Leutenegger-Oberholzer verlangte von der SNB diesen Sommer negative Zinssätze und Kapitalkontrollen, um den Zufluss an Vermögen aus dem Ausland zu vermindern. Zudem verlangte sie, dass Inlandbanken keine Hypotheken mehr an Ausländer gewähren, sollte der Druck auf den Schweizer Franken zunehmen.

Doch die Zentralbank muss sich nicht nur dem Druck aus der Politik stellen. Auch verschiedene Interessengruppen aus Industrie, Tourismus, Pensionsfonds, kleinen und mittelgrossen Unternehmen (KMU), der Arbeiterschaft, der Finanzbranche und den Kantonen erheben ihre Stimme.

Swissmen, die Dachorganisation der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, hat vermehrt Aufrufe von Gewerkschaften und SP unterstützt, die Untergrenze zu erhöhen, um Exporteuren unter die Arme zu greifen.

Im Juni hat Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes, der viele KMU vertritt, die SNB-Strategie kritisiert – auch wenn sich sein Verband umgehend von seinen Kommentaren distanzierte.

In den letzten Jahren hat sich die Nationalbank auch einige Feinde gemacht, indem sie harte Regeln eingeführt hatte, um das Investment Banking einzuschränken. Und nun hat sie sich das Hypotheken-Geschäft vorgenommen – eines der letzten profitablen Geschäftsfelder für Banken.

Zufriedene Kantone

Doch nicht alle Interessengruppen kritisieren die SNB. Economiesuisse, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft, der ein breiteres Spektrum von Sektoren vertritt, unterstützt sowohl die SNB-Politik wie auch die Euro-Untergrenze von 1,20 Franken.

Bei den Schweizer Kantonen würde man verstehen, wenn sie mit der SNB nicht zufrieden wären, sank doch ihr Anteil am jährlichen Überschuss von 2,5 auf 1 Milliarde Franken. Doch gemäss Andreas Huber-Schlatter, Sekretär der Finanzdirektorenkonferenz der Kantone, macht die Nationalbank “einen hervorragenden Job”, wie er gegenüber swissinfo.ch betont.

“Das Ziel der SNB ist nicht, Gewinne zu machen, sondern Preisstabilität zu garantieren. Wir haben dieses Prinzip immer unterstützt”, sagt er.

Die SNB wird wohl noch einige Jahre brauchen, um wieder zur berechenbaren – und sogar langweiligen – Normalität zurückzufinden. Auch wenn sie ihre Befürworter hat, wird der Druck von innerhalb und ausserhalb des Landes nicht abnehmen.

Am 9. Januar 2012 trat SNB-Präsident nach wochenlangen Spekulationen zurück. Seine Frau soll von Wechselkurs-Geschäften profitiert haben, als die Zentralbank in den Märkten intervenieren musste.

Zwei Monate darauf verschärfte die Nationalbank ihre internen Regeln für private Transaktionen ihrer Führungskräfte.

Am 18. April wurde Thomas Jordan, der nach Hildebrands Abgang die Leitung der Bank interimistisch übernommen hatte, definitiv zum neuen SNB-Präsidenten berufen.

Bereits kurz nach Hildebrands Rücktritt, als die Zürcher Staatsanwaltschaft mit ihren Untersuchungen wegen Diebstahls von Bankgeheimnissen begann, wurde ein ehemaliger IT-Mitarbeiter der Bank Sarasin festgenommen.

Im Januar wurde die Villa von SVP-Chefstratege Christoph Blocher durchsucht, und er musste in Zürich zu einer Befragung antreten, gemeinsam mit einem Zürcher SVP-Kantonalpolitiker und einem Anwalt, der für die Partei arbeitet.

Im Juni hob die Rechtskommission des Ständerates die parlamentarische Immunität von Nationalrat Blocher auf und machte damit den Weg frei für eine umfassende Untersuchung seiner Rolle in der Affäre Hildebrand.

Blocher allerdings erklärte, er wolle mit allen Mitteln gegen die Aufhebung der Immunität ankämpfen.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) wurde 1907 gegründet, mit dem Exklusivrecht, Banknoten herauszugeben und der Aufgabe, für Preisstabilität zu sorgen.

Ihre Unternehmensform ist die einer Aktiengesellschaft, wobei die 26 Kantone als Aktionäre (Shareholder) walten.

Zwar kann eine Zentralbank nicht profitabel sein wie ein Privatunternehmen, aber die Überschüsse, falls welche anfallen, müssen zu zwei Dritteln den Kantonen und zu einem Drittel dem Bund überwiesen werden.

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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