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“Die Schweiz ist unser Vorbild”

Beghjet Pacolli mit dem kenyanischen Premierminister Raila Odinga. swissinfo.ch

Der kosovarisch-schweizerische Doppelbürger Behgjet Pacolli ist erster stellvertretender Premierminister der Republik Kosovo im Kabinett von Hashim Thaçi. Im Interview mit swissinfo.ch erzählt Pacolli, wie er um die internationale Anerkennung seines Staates wirbt, und warum er die Schweiz als Vorbild für sein Land sieht.

Behgjet Pacolli erscheint in topfit und braungebrannt zum Interviewtermin im Swiss Diamond Hotel.  Er ist der Besitzer dieses eleganten Hotels am Ufer des Luganer-Sees. Das Fünf-Stern-Haus befindet sich in unmittelbarer Nähe zu Melide, der Schweizer Wohngemeinde von Pacollis Familie.

Auf Anfrage von swissinfo.ch hat Carla Del Ponte verzichtet, zur Kritik von Behgjet Pacolli in der Affäre um den Organhandel Stellung zu nehmen.

Dick Marty hat auf die Anfrage von swissinfo.ch um eine Stellungnahme nicht reagiert.

swissinfo.ch: Welche Bilanz ziehen Sie nach den ersten 20 Monaten ihrer Regierung in Bezug auf die Auslandbeziehungen? Wie steht es um die Anerkennung des Kosovo?

Behgjet Pacolli: Bisher wurde die Republik Kosovo von 98 Staaten offiziell anerkannt, davon allein 25 Staaten  in Afrika. Ich kümmere mich persönlich um die Beziehungen mit Afrika. In eineinhalb Jahren habe ich dort 48 Staaten besucht. Ich habe mich in diesen Kontinent verliebt. Dort liegt die Zukunft.

Gleichwohl ist es mir nicht gelungen, die nordafrikanischen Staaten für eine Anerkennung des Kosovo zu gewinnen. In Ost- und Zentralafrika war ich wesentlich erfolgreicher. Nun breche ich zu einer neuen Reise auf, nach Kenia, wo ich bereits war, sowie nach Tansania, Sambia und Uganda. Im Falle Südafrikas rückt die Anerkennung näher. Dort wurde ich kürzlich vom Premierminister empfangen.

In Europa verweigern uns Spanien – wegen der Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens – sowie die  Slowakei, Rumänien, Griechenland und Zypern nach wie vor die offizielle Anerkennung. In Asien hingegen werden wir von Malaysia, Timor Ost, Brunei, Japan, Südkorea, Papua-Neuguinea, Neuseeland, Australien und anderen Ländern in Ozeanien als unabhängiger Staat betrachtet. Wir erwarten den Entscheid von Indonesien und Thailand, wo wir bereits eigene Vertretungen eröffnet haben.

Behgjet Pacolli wurde am 30. August 1951 in Marec (Kosovo) geboren. Er ist kosovarisch-schweizerischer Doppelbürger, verheiratet und Vater von sechs Kindern.

Er hat Wirtschaftswissenschaften studiert. 1973 emigrierte er vom Kosovo zuerst nach Österreich und dann nach Deutschland. Ab 1979 lebte er im Tessin (italienische Schweiz).

1991 gründete Pacolli in Lugano die Bau- und Hochbauunternehmung Mabetex SA, die heute weltweit rund 8000 Angestellte zählt. Das Unternehmen wird mittlerweile von einem Bruder Pacollis geführt.

Weltweite Beachtung fanden die Aufträge der Mabetex für die Erneuerung des Weissen Hauses in Washington sowie des Kremls in Moskau.

1999 wurde gegen Pacolli wegen Gehilfenschaft zur Geldwäscherei des damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin ermittelt.

In der Schweiz leitete Bundesanwältin Carla Del Ponte die Ermittlungen. Pacolli wurde von allen Vorwürfen freigesprochen.

Als Gründer der Allianz für ein Neues Kosovo wurde Pacolli am 22. Februar 2011 zum Präsidenten der Republik Kosovo gewählt, doch bereits am 30. März desselben Jahres wurde seine Wahl wegen Formfehlern vom Verfassungsgerichtshof des Kosovo annulliert.

Am 7. April wurde die 37-jährige Juristin Atifete Jahjaga zur Präsidentin gewählt.

swissinfo.ch: In einem Interview mit swissinfo.ch vom Februar 2011, kurz nach Ihrer Wahl zum Staatspräsidenten, sagten Sie, dass Sie die Beziehungen zur Schweiz stärken wollen. Die Schweiz ist ja ihr zweites Heimatland und Sie sind seit den 1980er-Jahren auch Schweizer Bürger. Wie würden Sie diese Beziehungen heute definieren?

B.P.: Es sind sehr solide Beziehungen. Die Kooperation ist sehr gut, auch dank der hervorragenden Arbeit der Schweizer Botschafterin in Pristina, Krystyna Marty Lang. Die Schweiz versteht uns nun besser, und umgekehrt muss die Schweiz für uns als Vorbild dienen. Ich befürworte beispielsweise ein Wachstum der Dienstleistungen nach dem Schweizer Modell.

Trotz enormer wirtschaftlicher Schwierigkeiten mit einer Arbeitslosenrate zwischen 30 und 40 Prozent verfügen wir über gut ausbildete Jugendliche, die sich für die Zukunft unsere Landes engagieren wollen.

Es ist noch sehr viel zu tun. Das will ich nicht bestreiten. Wir müssen vor allem die Wirtschaft ankurbeln und 35‘000 Arbeitsplätze  pro Jahr schaffen. 

Doch bei den Investitionen haben wir schon grosse Fortschritte gemacht. Meine Regierung arbeitet an einem Gesetz, um Investitionen im Bergbau durch Steuererleichterungen und Zollabschläge zu fördern. Wir sind ein Land mit vielen Bodenschätzen.  Da gibt es Potential.

swissinfo.ch: Am 2. Dezember 2012 hat Ihre Regierung – und dann auch die Regierung Albaniens – eine Ermittlung gegen die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, Carla Del Ponte,  gefordert. Man wirft ihr vor, die Anklage gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj trotz fehlender Beweise aufgebauscht zu haben. Er wurde mittlerweile ja freigesprochen.  Kommt es hier zu einem erneuten Schlagabtausch Pacolli gegen Del Ponte

B.P.:  Als Regierungsmitglied kann ich mich zu dieser Forderung nicht näher äussern.  Ich vermute, dass Carla Del Ponte in Bezug auf ihre frühere Arbeit als Chefermittlerin beim Haager Tribunal über eine Art Immunität verfügt. Daher kann es sein, dass man unserem Anliegen nicht weiter nachkommt.

Der Freispruch von Haradinaj war im Übrigen nicht mehr als ein Akt der Gerechtigkeit. Unser ehemaliger Ministerpräsident hat sich neun Jahre lang gegen diese Vorwürfe gewehrt. 

Für unsere Regierung ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit endlich erfährt, wie die Dinge wirklich gelaufen sind.

Meine persönliche Auseinandersetzung mit Carla Del Ponte reicht 15 Jahre zurück, als sie auf Verlangen des Staatsanwalts von Moskau, Yuri Skuratov, eine Ermittlung gegen mich wegen angeblicher Geldwäscherei einleitete. Und dies im Zusammenhang mit einem Verfahren gegen den damaligen Präsidenten Boris Jeltzin.  

Ich würde gerne einmal mit Frau Del Ponte darüber unter vier Augen sprechen, aber auch über ihren Vorwurf gegen unseren Ministerpräsidenten Hashim Thaçi, dem sie Organhandel unterstellte. Dieser Vorwurf, der von Dick Marty als Mitglied des Europarats in einem Rapport erneuert wurde,  ist infam gegenüber meinem Volk.

Ich wiederhole es nochmals: Allein die Erwägung eines solchen Organhandels ist eine Beleidigung. Carla Del Ponte hätte ihre Quellen besser prüfen müssen, bevor sie eine solche Behauptung aufstellte. Erhebungen vor Ort zeigen, dass solche Vorkommnisse absolut unwahrscheinlich sind.

Die auf Verlangen des Europaparlaments eingeleitete Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Aber ich bin überzeugt, dass sich sowohl Dick Marty als auch Carla Del Ponte bei den  Kosovaren werden entschuldigen müssen. 

2008 veröffentlichte die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Carla Del Ponte, ihre Selbstbiographie “Die Jagd – Ich und die Kriegsverbrecher”, in der sie umfangreiches Material über angebliche Organschmuggel-Aktivitäten von Kosovo-Albanern präsentierte.

So äusserte Del Ponte den Verdacht, die Kosovo-Befreiungsarmee UÇK habe im Sommer 1999 rund 300 Serben verschleppt und ihnen Organe für den Weiterverkauf entnommen. Es hätten genügend Beweise für eine Untersuchung vor dem Internationalen Gerichtshof vorgelegen, diese seien jedoch “im Keim erstickt worden”. Stattdessen habe man sich auf die Verfolgung serbischer Kriegsverbrechen konzentriert.

Das Buch sorgte international für viel Wirbel. Der Europarat erteilte dem Schweizer Europaratsabgeordneten Dick Marty den Auftrag zu weiteren Untersuchungen. Dieser ermittelte in Belgrad, Tirana und Pristina.

In seinem Abschlussbericht kommt er zum Schluss, dass viele Indizien für die Wahrheit der These von Carla Del Ponte sprechen. Marty warf insbesondere dem kosovarischen Regierungschef Hashim Thaci vor, einer der Hauptverantwortlichen in dem Organhandel gewesen zu sein.

Am 9. September 2012 erklärte der serbische Staatsanwalt für Kriegsverbrechen, Vladimir Vukcevic, dass er einen Zeugen gefunden habe, der aussage, bei der Organentnahme dabei gewesen zu sein. Es handelte sich um einen ehemaligen UCK-Kämpfer.

Dem Marty-Bericht fehlen bis heute die Beweise. Auch Marty erklärt, dass seine Schlussfolgerungen vor allem auf Aussagen und Berichte westlicher Geheimdienste basieren. Der ehemalige Parlamentarier konnte sich selbst nur an zwei von sechs Orte begeben, in denen einst UCK-Kämpfer im Gefängnis sassen. Die Untersuchung Eulex ist noch nicht abgeschlossen.

swissinfo.ch: Vor kurzem haben nationalistische Serben an den Grenzübergängen zum Kosovo demonstriert. Wie beurteilen Sie die Beziehung zwischen den beiden Nachbarstaaten?

B.P.: Diese Demos wurden von Extremisten organisiert. Die Situation an der Grenze ist es bei weitem nicht so dramatisch, wie sie durch die Berichterstattung in den Medien erscheint. Unsere Regierung hat gewaltige Fortschritte gemacht. Serbien muss sein Verhältnis zum Kosovo klären.  Acht bilaterale Abkommen haben wir bereits abgeschlossen.

Ich möchte zudem betonen, dass nicht alle 20‘000 Serben, die im Norden Kosovos leben, gegen die Autonomie sind. Die Kosovaren müssen sich nach aussen  öffnen und damit auch nach Serbien.  Wir arbeiten genau in diese Richtung,  indem wir beispielsweise die Verkehrswege verbessern. Vor kurzem wurde die Autobahn eröffnet, welche uns sowohl mit Albanien als auch mit Serbien verbindet.

swissinfo.ch: Was möchten Sie zum Abschluss dieses Gespräch zur politischen Zukunft des Kosovo sagen?

B.P.:  Gemäss unserer Verfassung könnte Präsidentin Atifete Jahjaga fünf Jahre im Amt bleiben. Anlässlich ihrer Wahl akzeptierte sie aber eine Vereinbarung mit der Demokratischen Partei des Kosovo, der Demokratischen Lega des Kosovo und meiner eigenen Partei, der Neuen Allianz für das Kosovo, dass sie sich nach Abschluss der Verfassungsänderungen zurückziehen wird.

Es liegt in der Hand des Parlaments, ob die Präsidentin ihren Rücktritt einreichen muss. Nach Abschluss der Reformen hat sie keine andere Wahl. Und dann wird es Neuwahlen geben. Und ich werde wieder mit von der Partie sein.

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Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat am 29. November 2012 den ehemaligen Premier des Kosovos, Ramush Haradinaj, in allen Anklagepunkten freigesprochen.

Die Anklage habe den Vorwurf von Mord und Folter an Serben während des Unabhängigkeitskrieges im Kosovo 1998 nicht bewiesen, erklärten die Richter in Den Haag.

Auch die beiden mitangeklagten ehemaligen Kommandeure der Kosovo-Befreiungsarmee wurden freigesprochen. Alle drei wurden freigelassen.

Der 44-jährige Haradinaj war Kommandant der Kosovo-Befreiungsarmee. Er war bereits 2008 in einem ersten Verfahren freigesprochen worden.

Der Prozess musste jedoch nach einer Entscheidung der Berufungskammer des UN-Tribunals teilweise wiederholt werden.

Die heutige Republik Kosovo war einst Bestandteil Serbiens. Die Bevölkerungsmehrheit besteht aus  Albanern muslimischen Glaubens.

Am 17. Februar 2008 hat das Parlament die Unabhängigkeit der Republik Kosovo erklärt. Als Präsidialrepublik wird sie heute von 98 der 193 UN-Mitgliedstaaten anerkannt.  

Russland und China haben sich gegen eine solche Anerkennung ausgesprochen.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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