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Stadt und Land sind politisch in festen Händen

In der Schweiz stehen die Städte politisch links, während das Land konservativ eingestellt ist. Das ist so gut wie in Stein gemeisselt, wie eine neue Auswertung von SRF zeigt. Zudem weist die Studie nach, dass das Interesse an der nationalen Politik zugenommen hat – trotz allen Klagen über mangelnde Stimmbeteiligung.

Die Untersuchung basiert auf den Ergebnissen aller nationalen Abstimmungen seit 1983: Anhand der Resultate errechnete die Forschungsstelle Sotomo zusammen mit dem Schweizer Radio und Fernsehen SRF für alle Gemeinden, ob sie sich links oder rechts, konservativ oder progressiv positionieren.

Ob links oder rechts entscheidet sich beispielsweise an der Haltung zu Polizei und Armee, zum Umweltschutz oder zum Asylwesen. Konservativ bedeutet eine Skepsis gegenüber Öffnung und Veränderung, während Progressive für gesellschaftliche Reformen sind. SRF hat diese Daten ausgewertet und in einer Visualisierung abgebildet.

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Die Untersuchung zeigt auch, wie sich die sogenannten Raumtypen entwickelt haben: Wie sich beispielsweise eine Grossstadt politisch von ihren Agglomerationsgemeinden unterscheidet, oder welche Differenzen es gibt zwischen einer sehr ländlichen Berggemeinde und einer Kleinstadt im Mittelland. Diese Differenzen sind beträchtlich und haben sich in den letzten 30 Jahren nur wenig verändert.

“Es ist erstaunlich, zu sehen, wie stabil die Gemeindetypen politisch sind”, bilanziert Politgeograf und Sotomo-Leiter Michael Hermann. So sei zum Beispiel der Stadt-Land-Graben – wenn auch nicht viel ausgeprägter als früher – immer noch Realität. Und dies, obwohl die Mobilität zwischen ländlichen und städtischen Gebieten stark zugenommen hat.

Agglomeration wird rechter und konservativer

Einzelne politische Verschiebungen hat es aber dennoch gegeben. Auffällig ist etwa, dass sich die gesamten städtischen Agglomerationsgebiete erstens zunehmend konservativ positioniert haben und zweitens leicht nach rechts gerutscht sind. Trotz dieser einheitlichen Entwicklung gibt es innerhalb der Agglomeration aber markante politische Unterschiede. Statushohe Gemeinden mit gut situierten Einwohnern stimmen deutlich liberaler ab als statustiefe Gemeinden mit einer eher einkommensschwächeren Bevölkerungsmehrheit.

Ländliche Gemeinden haben sich derweil ein Stück nach links orientiert. Sie bleiben zwar insgesamt klar rechts-konservativ eingestellt, haben sich aber dem Mittel der anderen Gemeinden angenähert. Bemerkenswert ist auch, dass der ländliche Raum sehr heterogen ist – zu ihm zählen sowohl die linkste wie auch die rechteste Gemeinde der Schweiz.

Keine Polarisierung – ausser in Grossstädten

Grafisch dargestellt zeigen die Verschiebungen der letzten 30 Jahre vor allem eines: Die politische Polarisierung, von der oft die Rede ist, bildet sich im Abstimmungsverhalten der Gemeinden nicht ab.

“Die Polarisierung findet in der Sachpolitik nicht statt”, erklärt Hermann. In vielen grossen Grundsatzfragen wie etwa der Europa- oder der Umweltpolitik lägen die Meinungen heute sogar weniger weit auseinander als früher. Hermann spricht von einer “schleichenden Annäherung”.

Eine Polarisierung gebe es hingegen bei den Parteien. Deren Exponenten verträten zunehmend extreme Positionen. “Diese können zwar Wahlerfolge bringen, sie sind für die gemässigtere Basis aber oft nicht repräsentativ.”

Nur die Grossstädte machen bei dieser Annäherung nicht mit. Sie waren schon vor 30 Jahren am linken Rand des politischen Spektrums positioniert und rückten seither noch weiter nach links.

Gleichzeitig wurden die Grossstädte auch markant liberaler: Vor 30 Jahren lagen sie in diesem Punkt noch hinter den statushohen Gemeinden zurück – meist Hochburgen der Freisinnig-Demokratischen Partei. Heute sind die Grossstädte eindeutig am progressivsten, womit der Graben zwischen den links-liberalen Grossstädten und ihren Agglomerationen noch tiefer geworden ist.

Hermann führt diese Entwicklung vor allem auf die Abstimmungsthemen der letzten Jahre zurück. Viele linke Vorlagen – etwa Initiativen für einen Mindestlohn oder eine Erbschaftsteuer – hätten statt breit zu mobilisieren nur die rot-grünen Stammwähler angesprochen, die vorwiegend in den Städten leben. Ausserhalb der Grossstädte seien diese Vorlagen so deutlich durchgefallen, dass die urbanen Zentren mit ihren Positionen noch isolierter dastünden als früher.

Interesse an nationaler Politik steigt

Überraschend ist, dass bei all diesen Abstimmungen die Stimmbeteiligung gestiegen ist. Dies, obschon in den letzten Jahren das Klagen über eine mangelnde Stimmbeteiligung zum politischen Alltag gehört.

Laut Hermann ist das kein Widerspruch. Er stellt fest, dass auf kantonaler Ebene die politische Aktivität “dramatisch zurückgeht”. Derweil stieg das Interesse an nationalen Vorlagen und an den Figuren der nationalen Politik im Vergleich zu früher.

“Es ist inzwischen auch viel populärer, für ein nationales Amt zu kandidieren als für ein lokales”, sagt Hermann. Einen Beitrag zur wachsenden Stimmbeteiligung habe zudem die Schweizerische Volkspartei geleistet. Ihr Aufstieg in den 1990er-Jahren habe die Politlandschaft aufgemischt. Mit ihren emotionalen und provokativen Kampagnen habe die Partei Abstimmungen und Wahlen wieder spannender gemacht.

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