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Presseschau vom 03.01.2004

Nicht News aus Politik oder Wirtschaft geben in den ersten Ausgaben der Zeitungen im neuen Jahr am meisten zu reden, sondern ein Foto: das offizielle Bild des neuen Bundesrates.

A propos neue Regierung: Christoph Blocher ist jetzt nicht mehr Milliardär, sondern nur noch Bundesrat.

Alle Jahre wieder erfreue uns das Bundeshaus zum Jahresanfang mit dem Gruppenbild unserer Landesregierung, schreibt der Zürcher TAGES ANZEIGER. “Und damit es nicht nur ein Gruppenbild mit Dame ist, durfte der Fotograf die Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz im roten Kleid erstmals näher ins Zentrum rücken.”

“Die Neuen stehen ganz rechts”, titelt der Berner BUND und kommentiert das Bundesratsbild so: “Christoph Blocher lacht wie ein Schulbub auf dem ersten Klassenfoto. Hans-Rudolf Merz gibt den Erfahrenen. Micheline Calmy-Rey und Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz sitzen prominent, weil das die Frauen trösten soll. Joseph Deiss ist der Mann der Mitte, Pascal Couchepin immer noch der Grösste und Samuel Schmid neu der lässig-lockere Typ. Moritz Leuenberger zeigt mit Denker-Pose und leichter Abseitsstellung, dass er immer noch nicht ganz (oder jetzt noch weniger) dazugehören will.”

“Qui rayonne au sein du nouveau Conseil fédéreal?” – “Wer strahlt im neuen Bundesrat?”, fragt die Genfer Zeitung LE TEMPS. Die Genferin Micheline Calmy-Rey, einzige Frau im Bundesrat, ist es jedenfalls nicht, wenn man das Bild betrachtet. Aber immerhin setze das Foto die Aussenministerin ganz in Weiss und Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz ganz in Rot gekleidet prominent in Szene, schreibt das Blatt. “Aber auch Hans-Rudolf Merz fühlt sich gut, ganz im Gegensatz zu Moritz Leuenberger, der Jahr für Jahr darauf beharrt, sein Gesicht auf die Hand abzustützen.”

Im Chalet statt im Käfig

Am ausführlichsten kommentiert die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG die neue Autogrammkarte des Bundesrates. Nachdem in den letzten Jahren die Selbstinszenierung Triumphe gefeiert habe, scheine im Bundeshaus eine neue Bescheidenheit einzukehren

Das Bundesratsfoto von 2003 sei wie ein Ausschnitt aus einem “Schöner wohnen in Patrizierhäusern” dahergekommen, wobei vor allem das wertvolle Parkett, die Stilmöbel und die kostbaren Vorhänge ins Bild gerückt worden seien – “das Ganze präsentiert vom Eigentümer des noblen Interieurs (Pascal Couchepin) samt Personal (übrige Bundesräte)”.

Der Kontrast zur Bundesratsfoto 2004 könnte nicht grösser sein, schreibt die NZZ. Das neue Gruppenbild sei nämlich im Büro aufgenommen worden, genauer im Bundesratszimmer, wo die Landesregierung ihre gemeinsamen Sitzungen durchführe.

Eigentlich sei alles anders geplant gewesen, weiss die NZZ weiter zu berichten. Die Gestaltung der offiziellen Autogrammkarte des Bundesrats habe sich nämlich in den letzten Jahren zu einem mehrmonatigen Projekt entwickelt, bei dem die Bundespräsidenten in spe jeweils direkt mitmischten.

“So wollte beispielsweise der Vorsteher des Departementes Ästhetik, Moritz Leuenberger, in Erwartung der präsidialen Ehren nicht einfach dem ‘Sonderstab Bundesratsfoto’ der Bundeskanzlei vertrauen. Er bot eine eigene Grafikerin und einen eigenen Fotografen zur Gestaltung des Bildes auf, das denn auch doppelt so gross wie die bisherigen Karten wurde.”

Auch für dieses Jahr, so die NZZ, habe sich die zuständige PR-Abteilung im Bundeshaus ursprünglich etwas Besonderes ausgedacht. “Im Einverständnis mit der ‘geplanten’ Bundespräsidentin Ruth Metzler suchte man nach dem dekadent-patrizischen Touch des letzten Jahres den zeitgenössischen Auftritt.”

Fündig sei man schliesslich im Berner Käfigturm geworden. Mit modernen Möbeln vor altem Gemäuer seien seit dem Sommer Probeaufnahmen gemacht worden, wobei Bundesangestellte als Statisten die Mitglieder der Landesregierung gemimt hätten. Der 10. Dezember habe die aufwändigen Vorbereitungen allerdings zur Makulatur gemacht.

“Der gewählte Bundespräsident Joseph Deiss wollte von der Inszenierung in den alten Gefängnismauern nichts wissen und bestellte zum Fototermin ins getäferte Sitzungszimmer”, schreibt die NZZ weiter. “Dort gehören die Bundesräte schliesslich auch hin – nämlich ins Chalet. So nennen die Bundeshausweibel das holzlastige Bundesratszimmer.”

Nicht mehr Milliardär, nur noch Bundesrat

Ab nächsten Montag ist Christoph Blocher praktizierender Bundesrat. “Das neue Amt macht ihn zwar nicht arm, aber doch deutlich weniger reich: Er hat seine EMS-Aktien an seine vier Kinder weitergegeben”, schreibt die BERNER ZEITUNG.

Für den TAGES ANZEIGER ist deshalb klar: “Blocher startet im Bundeshaus unbelastet”. Und die NZZ stellt fest: “Aus dem Unternehmer-Politiker wird ein Politiker pur.” Mit der Übergabe des gesamten EMS-Eigentums an seine vier Kinder habe Christoph Blocher zur Lösung des vieldiskutierten Interessenkonfliktes zwischen Politik und dem kontrollierenden Eigentum an einem Unternehmen “die radikalste aller verfügbaren Möglichkeiten” gewählt, lobt die NZZ.

“Adieu Herr Direktor, guten Tag Herr Bundesrat!” So tönt es im BLICK, für den der Schritt Blochers vom EMS-Chef zum Bundesrat nur eines sein kann: “Die Verwandlung.”

Und falls die Verwandlung Blochers dann noch weiter gehen würde, vom polternden rechtspopulistischen Oppositionspolitiker zum konsensfähigen Bundesrat etwa, so warnt SVP-Parteipräsident Ueli Maurer heute schon, wie die BASLER ZEITUNG aus dessen Internet-Neujahrsansprache zitiert: “Jetzt erst recht!” Die SVP sei auch nach dem Erfolg bei den Parlaments- und Bundesratswahlen keineswegs am Ziel. “Faule und unnötige Kompromisse, errungene Pfründen und jedes abgehobene staatsmännische Getue werden sich negativ für das Land und die Partei auswirken.”

Aufgepasst also, Herr Bundesrat Blocher!

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

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