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Presseschau vom 27.11.2003

Ausscheidungen prägen den helvetischen Blätterwald von Donnerstag: Das "Bundesrats-Ticket" der Freisinnigen Partei der Schweiz als Frontstory in allen Zeitungen.

Etwas weniger prominent auf den Frontseiten: der Sieg Valencias als Austragungsort des America’s Cup.

Beim Entscheid der Freisinnigen Partei (FDP) für Hans-Rudolf Merz und Christine Beerli (in dieser Reihenfolge!) als Kandidaten für die kommenden Bundesratswahlen vom 10. Dezember fällt auf, wie überrascht die Presse auf die Nichtwahl des eigentlich erwarteten Franz Steinegger reagiert.

“Merz statt Steinegger”, titelt der TAGES-ANZEIGER. “Steinegger n’est plus le sauveur des radicaux – Steinegger ist nicht mehr der Retter des Freisinns”, schreibt LE TEMPS. “FDP-Zeitenwende ohne Steinegger” schreibt die BASLER ZEITUNG.

Christine Beerli – “es brauchte eine Frau”

“Den ehemaligen Parteipräsidenten Franz Steinegger hat die Fraktion schnöd in den Ruhestand geschickt”, kommentiert der TAGI. “Mit Merz und Beerli offeriert die FDP dem Parlament einen Kandidaten vom konservativen Flügel und eine politisch schwer fassbare Kandidatin mit liberalem Image.”

Der Kommentator folgert daraus, dass die “traditionelle bürgerliche Mitte (mit Steinegger) in der neuen Fraktion über keine tragfähige Basis mehr verfügt”. Beerli figuriere nur auf dem Ticket, “weil die FDP eine Frau brauchte”.

Die BERNER ZEITUNG meint auf ihrer Frontseite, der Entscheid, Steinegger fallen zu lassen, sei “ein deutliches Zeichen, dass die FDP die wenig rühmliche Vergangenheit hinter sich lassen will”.

Den neuen, “scharfen Rechtswind” werde als nächstes auch Präsidentin Christiane Langenberger zu spüren bekommen…

Der Freisinn: Offen für alle Optionen

LE TEMPS kommentiert, dass der Freisinn mit diesem Vorschlag eher ein politisch weitgefasstes Spektrum als eine homogene Linie anbiete. “Le ticket qu’il propose est cependant habile sur le plan stratégique, car il laisse toutes les options ouvertes – das Ticket, das der Freisinn anbietet, ist jedoch strategisch geschickt, denn es lässt für die Wahl alle Optionen offen.”

Die Partei könne sich damit am 10. Dezember an jede Möglichkeit anpassen – und wenn nötig sich auf einen Kandidaten konzentrieren, denn es gehe ja in erster Linie um die Erhaltung des Bundesratssitzes von Kaspar Villiger.

Uneinig ist man sich dennoch in der Einschätzung dieses Ticket-Entscheids: Die NEUE LUZERNER ZEITUNG findet es einen “klugen Schachzug” der FDP-Fraktion, “die anderen Parteien vor eine echte Auswahl zu stellen und deshalb die Pole innerhalb der eigenen Partei zu betonen”.

Der BLICK sieht vieles anders

Der BLICK wiederum nimmt keine Hand vor den Mund und kalauert in bestem Boulevard-Stil: “FDP-Tölpel opfern ihren besten Mann”, “Steinegger ausgeMERZt”, und “Was für eine Katastrophe für den Katastrophen-Franz!”

Er führt den Nicht-Steinegger-Entscheid “auf das Pennen einiger seiner Fraktionskollegen” zurück, womit die “Pleiten, Pech und Pannen”-Serie in der FDP ihre Fortsetzung gefunden habe.

Altgediente Westschweizer Radikale und neue Fraktionsmitglieder hätten, so der BLICK, “auf sträfliche Art und Weise ihre Stimme zu lange dem chancenlosen Tessiner Fulvio Pelli gegeben und es prompt verpasst, noch rechtzeitig auf Steinegger umzuschwenken”.

Keine Überraschung für die NZZ

Nur für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ist das FDP-Ticket “keine Überraschung”. “Mit dem Appenzeller Hans-Rudolf Merz war seit den Parlamentswahlen zu rechnen, erst recht nachdem der politisch unverbrauchte Quereinsteiger (…) vor der Fraktion den besten Eindruck aller fünf Kandidaten hinterlassen hatte.”

Für ihn habe es auch einen klaren Start-Ziel-Sieg im ersten Ausstich gegeben. Anders Christine Beerli, die “mit ihrem Ergebnis in beiden Wahlrunden unter den Erwartungen blieb”. Dies auch dann noch, als Franz Steinegger und Fulvio Pelli zugunsten einer Frau verzichteten.

Weitere Ausscheidung: Valencia für den America’s Cup

Auch eine andere, international stark beobachtete Ausscheidung fand Beachtung auf den Frontseiten der Schweizer Zeitungen: Das Schweizer Syndikat “Alinghi” entschied sich als Austragungsort für den künftigen America’s Cup für Valencia, womit Neapel, Marseille und Lissabon leer ausgingen. In Spanien feiert man dementsprechend, und rechnet mit 10’000 neuen Arbeitsplätzen und 1,5 Milliarden Euro neuen Umsätzen.

swissinfo, Alexander Künzle

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