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Managerlöhne: Pragmatischer Schweizer Entscheid

Eigentor geschossen: Jungsozialistin beim Aufhängen der Plakate. Keystone

Ein "prachtvolles Eigentor" für die Jungsozialisten, lediglich ein "Etappensieg" der Gegner fairer Löhne oder ein "Sieg der Vernunft"? – Die Schweizer Presse wertet das Nein zur 1:12-Initiative zwar als Zeichen gegen exorbitante Löhne, aber auch als pragmatisch und als "grosser Sieg der Bürgerlichen".

“Die Jungsozialisten haben ein prachtvolles Eigentor geschossen”, kommentiert die Tribune de Genève und prophezeit, der “grosse Sieg verschafft den Bürgerlichen einen unwiderlegbaren Vorteil bei der ungleich wichtigeren Kampagne für einen Mindestlohn: Den der Glaubwürdigkeit”.

Für den Zürcher Tages-Anzeiger hingegen ist klar, dass die Kreise, welche die Initiative bekämpft haben, “die Forderung nach fairer Lohnverteilung jetzt nicht einfach abhaken” können. Denn “jeder dritte Stimmbürger in diesem doch eher liberal geprägten Land verlangte einen in der Verfassung definierten Lohndeckel”.

Das sei eine beträchtliche Zahl und wenn es jetzt nicht gelinge, den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten, dann bestehe das Risiko, dass das Volk Ja sagt “zu radikaleren Volksinitiativen – wie etwa der Mindestlohninitiative”.

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Nein zum “Klassenkampf” wirft auch im Ausland Wellen

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Schon im Vorfeld berichteten ausländische Medien darüber, dass die Schweiz den exorbitanten Managerlöhnen einen Riegel schieben wolle. Sie erinnerten an die 60-Millionen Abfindung für den ehemaligen Novartis-Boss Daniel Vasella, das Ja im Frühjahr 2013 zur Abzocker-Initiative von Thomas Minder und daran, dass es in der Schweiz überhaupt möglich sei, über solche Themen abzustimmen. Eine Deckelung…

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Pragmatischer Souverän

Die Neue Zürcher Zeitung erinnert an die im März vom Volk angenommene Abzocker-Initiative und dass danach alles denkbar geworden sei, also auch ein Ja “zu einem weltweit einzigartigen Lohndeckel von 550’000 Franken”.

Doch der Höhenflug sei nun vorbei, denn “offenbar haben sich viele umbesonnen, die noch vor kurzen aus Protest gegen Lohnexzesse stimmen wollten”. Das spreche gegen die “simple” Initiative: “Der Souverän ist gegen Populismus nicht immer ganz immun. Aber wenn es ans Eingemachte geht, bleibt er pragmatisch und verzichtet auf Experimente mit Lohnvorschriften, die nicht einmal dunkelrot regierte Länder einzuführen wagen.”

Die Abstimmung habe – so die NZZ weiter – auch die “Grenzen des Politmarketings” aufgezeigt, denn die Initiative sei von Beginn weg und “vielleicht sogar primär eine Marketingvehikel” gewesen, sollte sie doch “die zerstrittene Truppe der Jungsozialisten wieder schlagkräftig” machen.

Verständnis nicht gestiegen

“Obwohl der Missmut über teilweise astronomische Manager-Saläre nach wie vor gross ist, lässt sich mit einem starren Lohndeckel in der Schweiz kaum eine Abstimmung gewinnen”, bilanziert die Berner Zeitung. Dennoch seien jene Unternehmen jetzt “gewarnt, die Saläre in zweistelliger Millionenhöhe ausschütten. Denn das Verständnis für solches Gebaren ist mit dem gestrigen Abstimmungssonntag nicht gewachsen”.

Die “Debatte über die Ungleichheiten” sei “nicht abgeschlossen”, schreibt die Westschweizer Le Temps und an die anstehende Abstimmung zur Volksinitiative der Linken, die einen gesetzlichen Mindestlohn von 4000 Franken monatlich für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlangt. “Die Ablehnung der 1:12-Initiative hat die Hoffnungen der Gewerkschaften zwar etwas gedämpft, aber die Rauheit der wirtschaftlichen Konkurrenz hat breite Kreise der Bevölkerung alarmiert.”

“Gestern war eine Sternstunde der Demokratie. Weil das Stimmvolk gezeigt hat: Es erkennt, wo man ein Zeichen setzen kann und wo es gefährlich wird”, kommentiert die Aargauer Zeitung.

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Lohndebatte ist noch längst nicht beendet

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die 1:12-Initiative verfolgte nicht nur den Zweck, überrissenen Managerlöhnen einen Riegel zu schieben, sondern wollte umgekehrt auch eine Anhebung der untersten Einkommen bewirken. Genau dieses Ziel verfolgt explizit eine weitere Volksinitiative, die unter dem Namen “Für den Schutz fairer Löhne” vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) lanciert wurde und zurzeit im Parlament hängig ist. Diese Initiative sieht…

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Sieg der Autolobby

“Wer baut jetzt unsere Strassen fertig?” fragt das Boulevardblatt Blick auf der Frontseite und bezieht sich dabei auf das deutliche Volks-Nein zu einer Verteuerung der Autobahnvignette. Da jetzt die zusätzlichen Einnahmen fehlten, gehe “der Streit Finanzierung und Ausbauprojekte” im Strassenbau erst “richtig los”.

Weil die 300 Millionen Franken an zusätzlichen Einnahmen vor allem in den Strassenbau geflossen wären, bekämpften neben der Autolobby auch die Grünen die Preiserhöhung. “Die Autolobby jubiliert. Zu Recht. Das Nein ist ihr Sieg, nicht jener der Grünen und des VCS”, kommentiert der Tages-Anzeiger.

Konsens droht zu brechen

Es sei naiv zu glauben, das Nein werde als “Nein zum Strassenausbau” die weitere Verkehrspolitik präjudizieren. Die Linken und die Grünen hätten zwar “ihre Wasserträgerrolle tadellos gespielt” und zur “Wucht des Resultates” beigetragen, aber die Autoverbände hätten die Abstimmung dominiert.

Und das verheisse für den öffentlichen Verkehr nichts Gutes, analysiert der Tages-Anzeiger: “Eine ökologisch sinnvolle ÖV-Querfinanzierung durch die Automobilisten gehörten bislang zum verkehrspolitischen Grundkonsens. Die Autoverbände sind nun zuversichtlich, diesen Konsens brechen zu können.”

Sorge um Gotthard

Der Westschweizer Le Temps führ das Nein darauf zurück, dass eine Erhöhung von 40 auf 100 Franken jährlich einem Plus von 150% entspricht und dass ein solcher Schritt “eine sehr feine Überzeugungsarbeit” brauche. “Diese Arbeit wurde nicht gemacht”, zudem habe sich am Horizont bereits die nächste Benzinpreiserhöhung abgezeichnet. “Das hat zusammen mit der bissigen Kampagne der Gegner der Preiserhöhung den Todesstoss versetzt.”

Für die Tessiner Zeitung La Regione stellt das Nein “einen schwerwiegenden Marschhalt” in der Verkehrspolitik dar. Die Zeitung fürchtet nun auch um den Kredit für den aus Tessiner Sicht wichtigen Ausbau des Gotthard Strassentunnels auf zwei Röhren und fragt: “Wenn die Schweizer dann auch nicht zum Portemonnaie  greifen wollen, was passiert dann?”

Unterentwickelte Strukturen

“Es mangelt an Betreuungsplätzen” titelt die Aargauer Zeitung ihren Kommentar zur verworfenen Familieninitiative der Schweizerischen Volkspartei. Die SVP wollte auch Eltern, die ihre Kinder selber betreuen, Steuerabzüge gewähren. “Die Mehrheit der Bevölkerung lehnte das Anliegen ab. Es hätte Eltern, die Kinder in fremde Obhut geben, diskriminiert und ihnen den Anreiz gesetzt, auf eine Arbeit ausser Haus zu verzichten.”

“Statt den Müttern und Vätern zu sagen, sie sollten sich für die Familie und gegen einen Beruf entscheiden, sollte ihnen die Ausgangslage vereinfacht werden” schreibt die Zeitung und erinnert daran, dass “drei Viertel aller Mütter berufstätig” sind. Die Schweiz sei “punkto Kinderbetreuung unterentwickelt: Viele Kantone bereiten weder genügend Krippenplätze, noch Tagesstrukturen an”.

Neben dem SVP-Konzept

Als “Votum gegen Vater Staat” bezeichnet die Neue Zürcher Zeitung das Nein zur SVP-Initiative. Die Botschaft laute: “Kein Bevorzugung eines bestimmten Lebensmodells durch den Staat, aber Schaffung guter Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Den Ausschlag für das Nein gaben “finanzielle und steuersystematische” Argumente”, schreibt die NZZ weiter. “Die SVP hatte dem nichts entgegenzusetzen. Ihre Kampagne blieb harmlos, was wohl auch an der Erkenntnis in der Partei lag, dass diese sozialpolitische Giesskanne nicht zum SVP-Konzept passen kann.”

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