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“Die Regierung konnte keine wirksame Antwort liefern”

Mann in Burkina Faso
Der Putsch geniesst in Teilen der Bevölkerung Sympathien. Wie lange das so bleiben wird, hängt wohl vom weiteren Vorgehen der Militärjunta ab. Copyright 2020 The Associated Press. All Rights Reserved.

In Burkina Faso hat sich die Armee an die Macht geputscht. Die Situation im Sahel wird zunehmend instabiler, wie Melchior Lengsfeld von der schweizerischen Entwicklungsorganisation Helvetas sagt.

swissinfo.ch: Sie waren am Samstag noch in Burkina Faso, am Sonntagabend hat das Militär gegen die Regierung von Roch Marc Kaboré geputscht. Was ist geschehen?

Melchior Lengsfeld: Letzte Woche haben wir mit dem Team einige Orte besucht, wo wir uns engagieren, was allerdings aufgrund der angespannten Sicherheitslage nur beschränkt möglich war. In den stabileren Gegenden funktionieren unsere Programme zwar weiterhin gut, aber es gab in letzter Zeit in verschiedenen Regionen des Landes eine merkliche Verschlechterung der Sicherheitslage. Mit der sich parallel verschlechternden wirtschaftlichen Situation und dem Operieren bewaffneter Oppositionsgruppen in Teilen des Landes wurde die Grundstimmung zunehmend heikler.

Am Samstag waren Demonstrationen in der Hauptstadt Ouagadougou angekündigt, die jedoch verboten wurden. Zudem wurde eine Ausgangssperre verhängt. Gerüchte über einen anstehenden Putsch gab es schon letzte Woche, es war also klar, dass Teile der Armee unzufrieden waren.

Ende letzten Jahres wurden bereits Militärs verhaftet, die angeblich einen Putsch planten. Wie ist der Rückhalt der Regierung bei der Bevölkerung?

Die Reaktionen der Bevölkerung sind – soweit wir das überblicken können – eher positiv. Viele sind erleichtert, dass etwas passiert. Einen Putsch hat man sich wohl nicht gerade gewünscht, aber auch die Regierung konnte bisher keine wirksame Antwort auf die sich schrittweise zuspitzenden Probleme im Land liefern.

Melchior Lengsfeld
Melchior Lengsfeld (*1968) ist seit 2005 Geschäftsleiter von Helvetas, der unabhängigen Schweizer Organisation für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe. Er ist Vorstandsmitglied von Alliance Sud, der schweizerischen Allianz der Entwicklungsorganisationen, sowie Stiftungsrat und Mitglied des Stiftungsausschusses Glückskette. Maurice K. Grünig

Die Krise ist vielfältig, denn es geht nicht nur um die bewaffneten Gruppen, die vor allem in den Grenzregionen im Norden, Westen und Osten operieren. Das Land leidet auch schon länger unter einer Dürre, drei Millionen Menschen leben in Nahrungsunsicherheit, was vor allem bei Kindern zu lebenslangen Beeinträchtigungen führen kann.

Aufgrund des Konfliktes gibt es eineinhalb Millionen intern Vertriebene, die ihre Häuser zum Teil fluchtartig verlassen mussten. Die Wirtschaftslage ist sehr schlecht, die Einkünfte – etwa aus dem Goldabbau oder dem Baumwollanbau – werden kaum mit den Regionen geteilt, was zu einer Erosion des sozialen Zusammenhalts führt. In manchen Konfliktgebieten sind zudem die Schulen seit Jahren geschlossen. Die Situation ist also für viele Menschen schon länger sehr angespannt.

Gewalt und Instabilität nehmen im Sahel seit Jahren kontinuierlich zu. War es eine Frage der Zeit, bis auch Burkina Faso davon erfasst würde?

Es ist sicher ein regionales Phänomen. Die politische Stabilität ist auch in Nachbarländern, die mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, seit längerem unter Druck. Insofern war der Putsch zu erwarten gewesen, da die Antwort der Regierung auf die verschiedenen Krisen im Land zu wenig sichtbar war. Man muss auch klar sagen: Da der Konflikt so vielschichtig ist, ist eine rein militärische Lösung nicht möglich.

Viele Beobachter verstehen die Erosion der Sicherheitslage zu einem guten Teil als Resultat der ungenügenden Entwicklungsfortschritte und Perspektiven für viele Menschen im Land. Dies kann mit militärischen Mitteln allein nicht überwunden werden, sondern braucht eine umfassendere Strategie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung: Gesundheitszentren, Schulen und wirtschaftliche Chancen, gerade für junge Menschen.

Heute schliessen sich viele junge Männer bewaffneten Oppositionsgruppen an, weil sie schlicht keine Alternativen oder Perspektiven haben. Einerseits weil sie dazu gedrängt werden, andererseits weil sie so einen Sold bekommen – für manche ist es die einzige Möglichkeit, überhaupt ein Einkommen zu erzielen.

Wirtschaftskrise, Klimakrise, Sicherheitskrise: Es spielen also mehrere Faktoren ineinander. Welche Rolle spielen islamistische Gruppen, die auch in den Nachbarländern operieren?

Der islamistische Hintergrund ist ein Faktor unter anderen. Er ist bestimmt weniger stark als etwa in Zentralasien. Wir sehen zudem, dass unsere Projekte oft auch in unsicheren Gebieten weiterlaufen können. Wir sind in der Wasserversorgung tätig, im Bildungssektor, arbeiten auch im landwirtschaftlichen Sektor oder etwa beim Bau von Strassen, die den Menschen Zugang zu Märkten, Bildungseinrichtungen und Gesundheitszentren schaffen.

Dabei arbeiten wir auch mit staatlichen Gebern wie der Deza zusammen. Bisher wurden wir von den bewaffneten Gruppen nicht behelligt, überhaupt waren internationale NGOs bisher nicht das Ziel von Angriffen.

Wie lange ist Helvetas bereits in Burkina Faso präsent?

Wir sind seit 2003 vor Ort, im Moment mit etwa 60 lokalen Mitarbeitenden im ganzen Land. Die Bevölkerung ist stark ländlich geprägt, darum ist unser Engagement primär auf den Zugang zu Wasser und Hygiene ausgerichtet. Aber auch der Strassenbau ist wichtig, das hat sich – in einem Land, in dem die Infrastruktur sehr schwach ausgebaut ist – als grosser Entwicklungsbeschleuniger herausgestellt. Ein weiterer Schwerpunkt sind Bildungsprogramme.

Ich kenne das Land bereits seit fast 20 Jahren. Wir arbeiten mit lokalen Akteur:innen und dem lokalen Privatsektor zusammen. Unsere Programme führen wir meist in Zusammenarbeit mit gewählten Behörden durch. Das schafft Nachhaltigkeit und Kontinuität. Denn auch in Burkina Faso gibt es mittlerweile starke Partner, die kompetent und zuverlässig arbeiten. Es gibt also durchaus positive Entwicklungen, die Hoffnung machen.

Wie geht es nun weiter mit Helvetas vor Ort?

Aus Sicherheitsgründen haben wir unsere Arbeit im Moment ausgesetzt und beobachten die Situation genau. Allerdings gehen wir nicht davon aus, dass der Putsch massive Auswirkungen auf uns haben wird, und hoffen, in den nächsten Tagen oder Wochen die Arbeit wieder aufnehmen zu können.

Was das Land angeht: Das weitere Verhalten des Militärs wird entscheidend sein, vor allem, was den versprochenen Übergang zu einer zivilen, verfassungsgemässen Ordnung angeht. Der Rückhalt der Gesellschaft kann schnell erodieren, wenn keine Lösungen für die zahlreichen Probleme gefunden werden.

Eine Einschätzung der Lage können Sie auch bei der SRF-Sendung “Echo der Zeit” nachhören:

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