Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Rätseln über abrupten Kindle-Abgang bei ABB

Fred Kindle ist ab sofort nicht mehr der starke Mann bei ABB. Keystone

Überraschender Abgang an der ABB-Spitze: Konzernchef Fred Kindle verlässt das Unternehmen per sofort. Der Grund: "unüberbrückbare Differenzen über die Führung des Unternehmens".

Der Elektrotechnik-Konzern gab auch erste Ergebnisse für 2007 bekannt: Der Umsatz wurde gegenüber 2006 um 20% gesteigert, der Reingewinn verdoppelt.

Nach dem überraschenden Abgang des ABB-Konzernchefs Fred Kindle ranken sich Spekulationen über die Gründe.

ABB spricht von “unüberbrückbaren Differenzen”. Analysten sehen ein Zerwürfnis mit dem Verwaltungsrat über die Wachstumsstrategie des Konzerns.

Der Abgang der ABB sei überraschend, heisst es in Analystenkreisen. Da sich der Verwaltungsrat vollumfänglich hinter die eingeschlagene Strategie stelle, könnten die Differenzen bei der Wachstumsstrategie liegen.

Es stelle sich die Frage, ob der Bruch mit dem Verwaltungsrat aufgrund unterschiedlicher Haltungen gegenüber allfälligen, seit langem geplanten Übernahmen entstanden seien und ob nun eine eher vorsichtiger oder offensiver behaftete Marschrichtung eingeschlagen werde.

Namentlich wird als Gegenspieler Verwaltungsrats-Präsident Hubertus Von Gründberg genannt. Er wurde erst seit Mai 2007 als Nachfolger von ABB-Sanierer Jürgen Dormann in diese Position gewählt.

Aufwärtskurs unter Kindle

“Der Weggang von Fred Kindle wird von keinerlei Misstönen begleitet”, sagte von Grünberg am Mittwoch. “Er ist eine ethisch höchst integre Persönlichkeit, der Verwaltungsrat hatte völliges Vertrauen in ihn.”

Noch im vergangenen Dezember war Kindle zum Schweizer Unternehmer des Jahres gekürt worden. Er kam 2004 zu ABB und wurde bereits ein Jahr später CEO (Operativer Chef). Seither ist der der Konzern in die Profitzone zurückgekehrt und verzeichnet ein starkes Wachstum.

Volle Kriegskasse

Seit langem besteht die Diskussion über die Verwendung der voll gefüllten Kassen bei ABB. Kindle zeigte sich bislang zurückhaltend, was grössere Akquisitionen anbelangt.

Erste Priorität hatten für ihn Investitionen in interne Verbesserungen. Firmenübernahmen kämen in zweiter Priorität, sagte er Ende November. Grundsätzlich seien kleinere Zukäufe eleganter, weil das Risiko leichter zu verdauen sei.

Eine Rückzahlung an die Aktionäre sah der scheidende ABB-Chef erst in dritter Priorität. ABB dürfte rund 4 Mrd. Franken flüssige Mittel in der Tasche haben.

Ehrgeiziger Fünfjahresplan

Im letzten September hielt ABB die strategischen und finanziellen Ziele für den Konzern fest. Strategisch will der Konzern das Hauptaugenmerk auf Strom und Automation legen.

Weil bereits 2007 die finanziellen Ziele von 2009 erreicht sind, gab sich der Konzern einen ehrgeizigen Fünfjahresplan 2007 bis 2011. Neu sollte der Umsatz durchschnittlich zwischen 8 und 11% jährlich wachsen. Bislang hatte der Konzern ein Umsatzwachstum von über 5% angepeilt.

Das Wachstumsziel für die Betriebsgewinnmarge (EBIT) wurde von über 10% auf einen Korridor von 11 bis 16% nach oben geschraubt. Der Reingewinn pro Aktie soll jährlich um 15 bis 20% zulegen.

Die untere Bandbreite des neuen Zielkorridors solle auch dann erreicht werden, wenn die Märkte in schlechter Verfassung seien “und wir mit allerlei Garstigkeiten zu kämpfen haben”, sagte Kindle. Die obere Bandbreite gelte bei guter Wirtschaftslage.

swissinfo und Agenturen

Im Januar 2007 bestrafte die EU-Kommission ein Kartell von elf Elektrokonzernen mit Rekordbussen von über 750 Millionen Euro. Der mitbeteiligten ABB wurde die Busse von 215 Mio. Euro erlassen, weil sie die Aufdeckung ermöglichte.

Im April 2006 einigte sich ABB im Fall des Asbest-Vergleichs mit Klägern und zahlte 1,43 Mrd. Dollar.

ABB meldete im Februar 2006 verdächtige Zahlungen in Nahost, die unter das Antikorruptionsgesetz der USA fallen dürften.

Im Juli 2004 zahlte ABB 20 Mio. Franken, nachdem die US-Behörden den Konzern der Bestechung von Regierungsmitgliedern in Afrika und Asien schuldig gesprochen hatte.

Einen Monat zuvor hatte ABB Unregelmässigkeiten in Italien entdeckt.

2001 schrieb ABB einen Verlust von 691 Mio. Dollar. Gleichzeitig öffnete der Konzern den beiden Leitern Percy Barnevik und Göran Lindahl goldene Fallschirme von 148 Mio. und 85 Mio. Franken. Nach dem Riesenverlust stand ABB die nächsten beiden Jahre am Abgrund.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft