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Ruanda will ein Vorzeigestaat werden

Andenken an den Genozid in Kigali. Reuters

15 Jahre nach dem Genozid möchte Ruanda stabil und entwicklungsfähig werden und zum Vorzeigestaat Afrikas avancieren. Die Schweiz unterstützt vor Ort die Demokratisierung und Dezentralisierung des Landes.

Während dem Genozid 1994 in Ruanda brachten innerhalb von 100 Tagen fanatische Hutus rund 800’000 Tutsis und gemässigte Hutus um.

Schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen flüchteten. Wirtschaftlich und sozial war das Land zerstört. Zwar gehört Ruanda gemäss Human Development Index 2008 noch heute zu den 20 am wenigsten entwickelten Staaten weltweit (Platz 165 von 179 Ländern).

Mit der “Vision 2020” soll sich das jedoch ändern. Das im Jahre 2000 unter Präsident Paul Kagame lancierte Entwicklungskonzept zeigt auf, wo Ruanda in 11 Jahren stehen soll: Als internationale Investmentplattform an der Spitze Ostafrikas.

Dafür sorgen soll eine pro-aktive Wirtschaftspolitik, der Ausbau an Bildungsinstitutionen und der Infrastruktur.

Zum heutigen Zeitpunkt ist das Land jedoch noch von der Entwicklungshilfe abhängig. Die internationale Gemeinschaft finanziert 50% des Gesamtbudgets des Landes.

Fragiler Staat

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) investiert jährlich rund 5 Millionen Franken. “Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf dem politischen Dialog, so wie auf lokalen Projekten. Die Strukturen des Gesundheitssystems sollen gestärkt und der Prozess der Dezentralisierung unterstützt werden”, erklärt Markus Reisle, stellvertretender DEZA Landeschef in Kigali.

Doch ist die Schweizer Entwicklungshilfe in einem Land, das 2008 nach eigenen Angaben ein Wirtschaftswachstum von 11% vorlegte noch gerechtfertigt?

“Ruanda ist immer noch ein fragiler Staat, der sich im Umbruch befindet. Die Dezentralisierung und Demokratisierung stehen im Vordergrund. Es gibt wohl kaum ein Land, das in diesen zwei Bereichen mehr Erfahrung hat als die Schweiz. Unsere Erkenntnisse sind gefragt und hilfreich”, betont der Schweizer.

Investoren als Schlüsselfiguren

Doch nur mit Entwicklungshilfe wird Ruanda seine Situation nicht grundlegend verändern. Rund 90% der Bevölkerung leben heute von der Landwirtschaft. Das Bevölkerungswachstum nimmt zu. Das Land wird knapp. Auf einer Fläche halb so gross wie die Schweiz, leben 10 Millionen Menschen; 60% davon unter der Armutsgrenze.

Die Rahmenbedingungen der Vision 2020 sind denkbar schlecht. Hoffnungen werden darum in die Wirtschaft gesetzt. “Um die Vision 2020 verwirklichen zu können, brauchen wir Investoren”, erklärt Claire Akamanzi, stellvertretende Direktorin der Rwanda Investment and Export Promotion Agency (RIEPA).

Die junge Ruanderin kümmert sich um das Anwerben von Investoren. Eine Chinesische Unternehmergruppe hat vor kurzem in der Hauptstadt ein Hotel mit Casino fertiggestellt. Ein neuer Flughafen ist in Planung. Für das 20 Millionen Projekt werden momentan Investoren gesucht. Die Finanzkrise ist aber auch in Ruanda spürbar.

Grossinvestoren fehlen

Projekte werden verschoben, gewisse Investoren haben sich zurückgezogen. “Bis 2020 werden wir nicht alle Ziele erreicht haben. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Entwicklungspotenzial haben wir noch in allen Bereichen – sei es in der Wirtschaft, der Agrikultur oder dem Tourismus”, betont die 30 Jährige. Unternehmen aus Europa, China, Indien, den USA und Dubai sind in Kigali präsent.

Eidgenössische Grossinvestoren fehlen bis jetzt. “Die Schweizer Wirtschaft ist eher auf Produkte als auf Dienstleistungen spezialisiert. Ihr Fehlen in Ruanda erstaunt mich darum nicht”, analysiert Akamanzi die Situation.

Bleibende Schweizer Präsenz

Nicht mehr wegzudenken aus Ruanda ist bis heute das Internationale Komitee des Roten Kreuz (IKRK) mit Sitz in Genf. Nach dem Genozid gehörte die Delegation in Ruanda in den 90er-Jahren zu den grössten IKRK Missionen weltweit mit mehreren hundert Mitarbeitern vor Ort. Heute ist die Delegation auf 17 internationale Delegierte geschrumpft.

“Unsere Arbeit hat sich grundlegend verändert. Es ist keine Nothilfe oder materielle Unterstützung mehr, sondern Sensibilisierung, Capacity Building und Monitoring. Der Staat trägt die Verantwortung. Wir unterstützen ihn beim Aufbau von Strukturen und Systemen”, erklärt Tobias Epprecht, Leiter der IKRK Delegation in Kigali.

Die totale Auflösung der Delegation steht nicht zur Frage. “Ruanda spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität der ganzen Region. Hier präsent zu sein, bedeutet auch Veränderungen wahrzunehmen und reagieren zu können.”

Im Moment gilt Ruanda als stabiler Staat. Wie sich das Land in Zukunft entwickelt, ist fraglich. Die Vision 2020 betrachtet Epprecht kritisch. “Die Ziele sind in diesem Zeitraum wohl kaum realistisch. Wichtig ist, dass die Veränderungen stattfinden – auch wenn es vielleicht bis 2040 dauert”.

swissinfo, Christa Wüthrich, Kigali

Die Schweiz ist seit den 1960er-Jahren in der Region der Grossen Seen präsent.

Ruanda gehörte bis 1994 zu den Schwerpunktländern der Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit. Durch den Völkermord wurde das Schweizer Engagement kritisch beleuchtet und in Frage gestellt.

Der Roman “100 Tage” von Lukas Bärfuss, der die Rolle der Schweiz während des Völkermords beleuchtet, liefert zusätzlichen Zündstoff.

Seit 1994 hat sich der Fokus der Schweizer Entwicklungsarbeit grundlegend verändert. Die vorwiegend strukturelle Betrachtung wich einer ganzheitlichen Sichtweise.

Der Staat soll durch die internationale Hilfe und einen aktiven politischen Dialog gestärkt und stabilisiert werden. Im Vordergrund stehen die Staatsführung und deren Strukturen.

Als Basis der Zusammenarbeit dient die Deklaration von Paris (2005). Darin verpflichten sich die internationalen Entwicklungsorganisationen gegenseitig koordinierte und ergebnisorientierte Arbeit zu leisten und die Eigenverantwortung des Staates zu fördern.

In Ruanda leben heute 115 Schweizer Staatsbürger. Die DEZA ist mit vier Schweizer Mitarbeitern und 11 lokalen Angestellten vor Ort tätig

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